ZDFzeit über Deutsche und Türken: Sind wir wirklich Nachbarn?

Friedliche Koexisenz oder doch schon innige Freundschaft: Wie steht es zwischen Deutschen und Türken? Foto: Screenshot / ZDF
Friedliche Koexisenz oder doch schon innige Freundschaft: Wie steht es zwischen Deutschen und Türken? Foto: Screenshot / ZDF

Es war vor 60 Jahren, als türkische Gastarbeiter in die BRD kamen. Mittlerweile sind sie in der dritten Generation in Deutschland. ZDFzeit fragt, ob aus den Fremden nun endlich Nachbarn geworden sind. Dabei setzt das Rechercheteam “Nachbarn” mit “Freunden” gleich. Und darin liegt der Fehler.

Ein Kommentar zur Sendung von Maria Timtschenko

Zuerst ist da eine kleine Umfrage: Was ist der häufigste deutsche Nachname? (Müller) Und was ist der häufigste türkische Nachname? (Yilmaz) Wer ist diese Sängerin auf dem Bild? (Helene Fischer) Und wer ist dieser Sänger? (Tarkan) Am Ende sagt die Sprecherin der ZDF-Doku: “In unserem kleinen Test schneiden die Türken etwas besser ab. Sie wissen mehr über ihre deutschen Nachbarn als umgekehrt.”

Man möchte ihr entgegnen: Alles andere wäre eigenartig. Schließlich leben die Türken ja in Deutschland, haben so also weitaus mehr Berührungspunkte mit ihren “deutschen Nachbarn” als Deutsche mit “türkischen Nachbarn”. Und auch über den Wert dieser Umfrage lässt sich streiten.

Aber das nur als Einstieg. 2,8 Millionen Türken leben in Deutschland. Davon hat die Hälfte den türkischen Pass, die andere Hälfte hat einen deutschen Pass oder beide Staatsbürgerschaften. Auch 60 Jahre nach den ersten Gastarbeitern, die aus der Türkei nach Deutschland kamen, ist die Durchmischung immer noch nicht ganz gelungen. Das liegt zum Teil daran, dass damals von Seiten der Türken relativ wenig Interesse bestand, Deutsche kennen zu lernen. Und ebenso wenig umgekehrt. Die Menschen waren zum Arbeiten in Deutschland und würden bald wieder weg sein. “Integration” war einfach nicht der Mühe wert, so dachten viele.

Doch sie sind geblieben, haben hier geheiratet und ihre Kinder bekommen. Deshalb ist es umso trauriger, dass alle Menschen der Elterngeneration der Türken ihre Interviews mit ZDFzeit nicht auf Deutsch geben. In einer fremden Sprache die richtigen Worte zu finden, ist nicht immer leicht, man kann nicht ausdrücken, was man möchte, man spricht Dinge falsch aus und begibt sich so in eine exponierte Stellung. Aber: Könnten sie auch nur ein wenig Deutsch sprechen, es würde einem das Herz erwärmen, sie in der Sprache ihres Gast- oder vielleicht schon Heimatlandes reden zu hören.

Dafür spricht die Generation junger befragter Türken umso besser Deutsch. Beispielsweise Yasemin Schmidt. Sie ist verheiratet mit Christian Schmidt, einem Deutschen. Für ihn hat sie die Familie verlassen, erst Jahre später konnten sie und ihre Eltern sich wieder annähern. Besonders für ihre Mutter war der deutsche Schwiegersohn zunächst ein Problem, sie fühlte sich von ihrer Tochter verraten. “Mittlerweile”, sagt sie auf Türkisch, “kann ich mir keinen besseren Schwiegersohn mehr vorstellen.”

94 Prozent der Türken heiraten lieber untereinander. Migrationsforscher Ruud Kopmans sagt: “Diese Zahlen sind bei anderen muslimischen Nationen ähnlich hoch – und daran merkt man auch schon, was der Hauptgrund dafür ist.” Die Religion nämlich, bzw. die kulturelle Tradition. Dabei ist es interessant, dass besonders die türkischen Mütter mit deutschen Schwiegerkindern ein Problem haben. 25 Prozent möchten das lieber nicht. Unter deutschen Eltern wollen zehn Prozent keinen Türken als Schwiegersohn oder Schwiegertochter. Übrigens: Auch über 80 Prozent der Deutschen heiraten lieber einen anderen Deutschen.

In trauter Freundschaft vereint: Ein Deutscher wedelt mit der türkischen Flagge, ein Türke hat die deutsche Flagge in der Hand. Foto: Screenshot / ZDF
In trauter Freundschaft vereint: Ein Deutscher wedelt mit der türkischen Flagge, ein Türke hat die deutsche Flagge in der Hand. Foto: Screenshot / ZDF

Ein weiteres Thema zwischen Deutschen und Türken: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. In der Doku hört man Stimmen, die sagen: “Erdogan hat die Demokratie in die Türkei gebracht.” 420.000 Türkischstämmige haben 2017 für ihn abgestimmt, das klingt nach viel. Genau genommen sind es aber nur 16 Prozent der in Deutschland lebenden Türken. Migrationsforscher Jochen Oltmer erklärt das so: “Die SPD oder die Grünen zu wählen, heißt nicht, dass man nicht auch Erdogan wählen kann. Man kann fest verankert sein in dieser Demokratie in der BRD, aber man kann eine sehr nostalgische Perspektive auf die Türkei haben und das Gefühl, die Türkei müsse groß sein und das Gefühl haben, Präsident Erdogan sei genau der Richtige dafür.”

Und auch der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak gibt zu bedenken: “Viele sehen in Erdogan nicht den Autokraten und solange diese Menschen sich demokratisch verhalten, kann ich ihnen nicht verbieten, an was sie glauben. Das muss eine Demokratie aushalten.” Gefragt in einem Vorort, wo sich ein Deutscher und ein Türke gemeinsam den Hinterhof teilen, spielt Erdogan dann keine Rolle mehr. Ebenso wie Angela Merkel. Viel mehr sind Themen wie Fußball und Gartenpflege hier angesagt.

Unter der Oberfläche bleiben jedoch viele Dinge nicht ausdiskutiert. Wenn beispielsweise eine Moschee eröffnet wird und die AfD dagegen Stimmung macht. Wenn 44 Prozent der Deutschen sagen, dass sie keine Muslime ins Land lassen würden. Wenn Erdogan zur Eröffnung einer Moschee Redezeit erhält, die Bürgermeisterin des Ortes aber nicht. Wenn 83 Prozent der unter-30-Jährigen Türkischstämmigen sagen, dass sie große Ungleichheiten zwischen sich und Deutschen im Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen wahrnehmen und so weiter.

Auch 60 Jahre nachdem die ersten Gastarbeiter gekommen sind, sind sich Türken und Deutsche vielerorts immer noch fremd. Eine Nachbarschaft im traditionellen Sinne, wo aus Nachbarn Freunde werden, die gemeinsam zum Grillfest gehen oder sich Eier borgen – so weit scheint die Gesellschaft in Deutschland noch nicht zu sein. Hier braucht es weiter Aufklärung und Integration.