„Zu einem guten Abend gehörte eine Polizeikontrolle“

An Skrupel bei der Waffenübergabe an den NSU kann sich Carsten S. nicht erinnern – auch sonst plagen ihn vor Gericht Gedächtnislücken.

„Ich weiß es nicht.“ „Ich kann mich nicht erinnern.“ „Ich kriege es nicht mehr zusammen.“ Seine Erinnerungen an die Vergangenheit sind mehr als vage. Woher kannte er Ralf Wohlleben? Welche Unterlagen hat Zschäpe in einem Chemnitzer Kaufhauscafé unterschrieben? Welchem Uwe hat er die Pistole überreicht? Er wisse es nicht mehr, antwortet Carsten S. in Variationen.

Es scheint ihm überaus schwer zu fallen, seine rechtsextreme Vergangenheit beim Namen zu nennen. Am sechsten Tag des NSU-Prozesses setzt der 33-Jährige vor dem Oberlandesgericht München seine Beichte fort. Am Tag zuvor hatte er bereits zugegeben, der rechten Terrorzelle um Beate Zschäpe die Waffe besorgt zu haben mit der neun Männer türkischer und griechischer Herkunft ermordet wurden. Carsten S. ist deshalb wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

Nun spricht er über „spontane Aktionen“ in seiner Jugend mit Freunden in Jena. Eine Dönerbude hätten sie umgekippt. Fensterscheiben zerstört. Dann erzählt er von einem weiteren Vorkommnis: An einer Haltestelle in Jena hätten er und seine Freunde, wohl 1998, nach einem Kirmesbesuch auf zwei Personen eingeschlagen. Plötzlich kommen Carsten S. Tränen, seine Stimme bricht.

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Stockend schildert er, wie auch er auf einen der Männer ein-, vielleicht zweimal eingetreten habe. Er wischt sich mit einer Hand über die Augen. Die Männer sollen einen seiner Kumpel als „Nazi“ beschimpft haben. „Nazi“, offenbar selbst unter Neonazis ein Schimpfwort. Ob sie die Männer verletzt hätten, fragt der Richter Manfred Götzl. „Ich meine, es stand in der Zeitung, dass sie schwer verletzt waren“, antwortet S., wieder scheint er den Tränen nahe.

Warum kippt man Dönerbuden um, fragt Richter Götzl weiter. Carsten S. schweigt lange, dann gibt er eine ausweichende Antwort: Naja, man hätte zusammengesessen, getrunken, dann habe irgendjemand halt die Idee gehabt. So sind seine Antworten. Der Richter hakt nach, fragt, welche politischen Vorstellungen dahintersteckten. Nach langem Zögern sagt S.: „Hätte da jetzt eine Bockwurstbude gestanden, hätten wir das nicht gemacht, vermute ich.“ Götzl reicht das noch nicht.

„Ich gehe davon aus, dass das ein gewisses Feindbild war, diese Dönerbude“, sagt Carsten S. schließlich. „Wen meinen Sie denn mit Feind?", fragt Götzl. Wieder Schweigen. Dann holprige Erklärungsversuche. Dass er damals schon irgendwie einem rechten, „schwarz-weißen“, eher „schlichten Weltbild“ nachgehangen habe, sagt S., beeinflusst durch Musik, die sie hörten. Etwa von den „Zillertaler Türkenjägern“. Es sei nicht um Ideologie gegangen. „Oft stand halt der Spaß im Vordergrund“, so Carsten S. Sie hätten das damals lustig gefunden.

Spaß hatten sie auch daran, Polizisten zu ärgern. Ein Spiel hieß „Cops running“. Sahen sie einen Streifenwagen, liefen sie abrupt weg und freuten sich, wenn das Blaulicht anging und sie mit den Polizisten Räuber und Gendarmen spielen konnten. Carsten S.: „Zu einem guten Abend gehörte auch eine Polizeikontrolle dazu.“

Dann fragt der Richter nach seinem Kontakt zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Er habe sie nur flüchtig gekannt, vielleicht zwei-, dreimal gesehen, sagt S. Warum ausgerechnet er ausgewählt wurde, Telefonkontakt zu dem untergetauchten Trio zu halten, habe er nie gefragt. Carsten S. nimmt an, dass Ralf Wohlleben vor ihm diese Aufgabe hatte. Weil Wohlleben fürchtete, überwacht zu werden, hätten er und ein Freund dann S. gebeten, den Kontakt zwischen Wohlleben und den Dreien herzustellen. So reimt es sich Carsten S. zusammen.

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Beate Zschäpe sitzt keinen Meter vor Carsten S. Sie kann kaum still sitzen, während er spricht. Irgendwann schreibt sie ihrer Anwältin Anja Sturm einen Zettel. Sturm sucht einen Stift, will antworten, überlegt es sich anders. Zschäpe rutscht weiter auf ihrem Stuhl herum.

Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos seien untergetaucht, weil sie eine Gefängnisstrafe fürchteten, so erzählte man es sich laut Carsten S. in der Szene. Er habe ihnen helfen wollen. Eines Tages kam dann die Bitte der beiden Uwes nach der Waffe.

Hätte er denn alles gemacht, was man von ihm verlangte, fragt Richter Götzl irgendwann. Gab es gar keine Grenzen? Einbruch, Motorraddiebstahl, Waffenlieferung. Habe er nie Skrupel gehabt? Carsten S.: „Kann ich mich nicht daran erinnern.“

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