AfD-Chef: Demokratie als "Krebsgeschwür?"

Bei Anne Will zu Gast: Gesine Schwan, Edmund Stoiber, Bernd Lucke, Ulf Poschardt und Serdar Somuncu. (Screenshot: ARD)

Die AfD war die Überraschung der Bundestagswahl. Doch ihr Chef Bernd Lucke sorgte bereits am Wahlabend für Irritationen und heizte die Spekulationen an, wie rechts die Partei wirklich ist. In einer Anne-Will-Sendung befeuerte er diese Diskussion mit einem Spruch.

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Schon im kommenden Jahr steht die Europawahl an, neben den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Dabei dürfte Kanzlerin Angela Merkel vor allem ein Ziel haben: Die "Alternative für Deutschland" (AfD) nicht zu stark werden lassen. Moderatorin Anne Will lud am Mittwochabend zum Talk über das Thema: "Euro-Kritiker auf dem Vormarsch. Kann Merkel sie kleinhalten?"


Nach Ansicht des Journalisten Ulf Poschardt sei Merkel am Erfolg der AfD vor allem selber schuld. "Merkel hat den Raum zu verantworten, in den sie gestoßen sind", sagt er zu Bernd Lucke, Sprecher der AfD. Neben Lucke und Poschardt sitzen auch Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, Genossin Gesine Schwan und Kabarettist Serdar Somuncu in der Talk-Runde.

Doch AfD-Sprecher Lucke hat an diesem Abend ein Problem: Er kann sich nicht so recht von den Vorwürfen freimachen, seine Partei sei "rechts". Dies findet vor allem Serdar Somuncu, Comedian und geborener Türke. Am Wahlabend sprach der AfD-Sprecher auf der Bühne von der "Entartung der Demokratie". In der Sendung vergleicht er den Begriff mit einem "Krebsgeschwür". Der Begriff Entartung ist historisch aus der Zeit des Nationalsozialismus vorbelastet. "Die Demokratie ist kein Krebsgeschwür. Was sie sagen, spricht doch Bände", sagt Somuncu. "Das soll nicht rechts sein?" Somuncu tourt mit seinem Comedy-Programm "Hassprediger Reloaded" durch Deutschland und ist damit vor allem eines: kontrovers, fast so wie sein Gegenüber.

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Lucke will sich allerdings nicht in eine linke oder rechte Ecke stellen lassen. "Ich lasse mich nicht in irgendeine Schublade stopfen", sagt er zu Moderatorin Anne Will. Der AfD-Sprecher dominiert die Talkshow. Es geht vor allem um ihn, um die neue Partei, die keiner so richtig einordnen kann. Dabei erhält Lucke erst um 0:28 Uhr das Wort, nachdem die Sendung bereits 39 Minuten läuft. Zuvor saß er außerhalb des Quintetts um Moderatorin Will, auf einem Sofa zwischen Publikum und Bühne.

Zuvor will Anne Will über die Äußerungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble sprechen, der Steuererhöhungen nicht mehr ausschließt. Stoiber mischt sich ein und macht klar: "Vorher sagen, dass es mit der Union keine Steuererhöhung geben wird, halte ich für taktisch falsch", sagt er. Er sei überrascht, dass ein so alter Stratege ein Signal sendet, das die 18 Millionen Wähler von CDU/CSU verwirrt. "Dass kann man mal am Ende machen, aber doch nicht am Anfang." Somuncu entgegnet: "Anlügen darf man den Wähler also, er soll es nur nicht so schnell merken oder wie?" Damit vertritt er die Position des Wählers. Immerhin ist er neben dem Journalisten Poschardt der Einzige in der Runde, der kein richtiger Politiker ist. Stoiber kneift die Augen zusammen und verteidigt: In der Demokratie müsse man kompromissfähig sein, so der CSU-Politiker.

"Dieser professorale Ton geht mir auf den Wecker"


Auch die Rolle der SPD und eine mögliche Schwarz-Rote Koalition wird im Gespräch angetastet: Die SPD brauche endlich die Möglichkeit zu regieren, so Professorin und SPD-Politikerin Gesine Schwan. Dabei hält sie ihr Wasserglas wie einen guten Whisky, mit abgespreiztem Zeigefinger. Währenddessen zeigt die Kamera Bernd Lucke, wie er emotionslos dasitzt und zuhört. Es ist noch nicht sein Thema. Das kommt ein paar Minuten später: "Die SPD muss endlich eine Debatte über die Europapolitik entwickeln", sagt Schwan auf die Frage, ob sie für eine große Koalition ist. Die EU-Politik der letzten Regierung sei dermaßen unehrlich gewesen, so Schwan.

Kurze Zeit später geht Anne Will zu AfD-Sprecher Lucke, fragt ihn was er sich jetzt wünsche. Lucke daraufhin: "Wir würden Neuwahlen natürlich begrüßen." Moderatorin Will spielt ein Bild eines Wahlplakates der Alternative für Deutschland ein. Darauf der Satz: "Einwanderer ja. Aber nicht in unsere Sozialsysteme." Die Runde ist unruhig, diskutiert durcheinander. Lucke zieht ein Papier aus seinem Jackett, liest aus dem Regierungsprogramm der Union. Dort steht ähnliches: Eine Zuwanderung, die darauf aus sei, sie sozialen Sicherungssysteme unseres Landes auszunutzen, lehne die Union ab. Lucke hat sich vorbereitet. Er schaut triumphierend in die Runde. Stoiber kann das nicht auf sich sitzen lassen, versucht zu argumentieren. "Wir sind ein tolerantes Land", ruft er in die Runde.

"Dieser professorale Ton geht mir auf den Wecker", sagt Journalist Poschardt daraufhin zum AfD-Sprecher. "Politik soll das Wohl des deutschen Volkes mehren", sagt Lucke. Die aktuelle Politik tue dies nicht, so der Ökonomie-Professor. Dann beschwert sich Stoiber, dass Lucke schon wieder redet. Lucke: "Diesen Satz noch: Die Europäische Union entwickelt sich auseinander..." Will versucht zu unterbrechen. Lucke: "Moment, einen Satz noch.."

Kein anderer hatte an diesem Abend die Chance so viele Parolen unterzubringen, wie Lucke. Immerhin, Edmund Stoiber konnte streckenweise Paroli bieten. Dennoch zeigt sich: Niemand kann die neue Partei so richtig einordnen, nicht mal Lucke selber kann das.

(Handelsblatt)


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