Ein Leben lang Pizza: Vom Zwang, nur ein Gericht essen zu können

Von Pizza bis Chicken McNuggets: In den Boulevardmedien kursieren immer wieder bizarre Geschichten über Menschen, die sich angeblich jahrelang nur von einem einzigen Lebensmittel ernähren. Aber was ist wirklich dran an dem Phänomen „Selective Eating Disorder“? Wir haben bei Experten nachgefragt.

Die 17-jährige Britin Stacey Irvin mag Chicken McNuggets – und zwar so sehr, dass sie sich angeblich in den letzten 15 Jahren ihres Lebens fast ausschließlich von der McDonald’s-Mahlzeit ernährt hat. „Ich habe sie so geliebt, dass ich nichts anderes mehr essen wollte“, sagte sie der Tageszeitung „Daily Mail“. „Meine Mutter hat es vor Jahren aufgegeben, mir etwas anderes zu geben.“ Obst oder Gemüse habe sie noch nie angerührt.

Wenig verwunderlich, dass das Mädchen irgendwann zusammenbrach und mit schwerem Vitamin- und Mineralmangel ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Mutter des Mädchens macht sich große Sorgen. „Man hat ihr klar und deutlich gesagt, dass sie sterben wird, wenn sie so weitermacht“, sagte sie der Zeitung.

Auch die 33-jährige Claire Simmons hat eine verhängnisvolle Vorliebe für ein bestimmtes Gericht: Pizza mit Tomaten und Käse. Und sie fängt nach eigenen Angaben an, zu zittern, wenn sie etwas anderes zu sich nehmen soll. Die britische Boulevardzeitung „The Sun“ nennt Simmons‘ ungesunde Angewohnheit „Selective Eating Disorder“ (dt. selektive Essstörung). Egal, wie oft die Ärzte sie und ihre Eltern in den letzten 31 Jahren bereits vor den gesundheitlichen Folgen ihrer einseitigen Ernährung gewarnt haben – sie könne nicht anders. „Ich habe sogar Angst vor Obst und Gemüse”, sagte die Britin dem Blatt. „Ich werde so wütend, wenn die Leute denken, ich sei bloß wählerisch – das ist nämlich eine echte Krankheit.“ Womit sie eindeutig recht hat, wie wir von zwei Expertinnen erfahren haben.

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Essstörung: Abwehr negativer Gefühle

„In der international anerkannten Klassifikation der psychischen Krankheiten werden selektive Essstörungen nicht speziell erwähnt“, so die Diplom-Psychologin Kristina Schlecht zu Yahoo! Nachrichten. Eine Erklärung für Stacey Irvins und Claire Simmons‘ Ernährungsweise hat die Mitarbeiterin des Internetportals „Hausmed“, einer Initiative des deutschen Hausärzteverbandes e.V., trotzdem. „Womöglich liegen einem solchen Essverhalten zwanghafte, hypochondrische oder somatoforme (körperliche Beschwerden, die nicht eindeutig organisch zu begründen sind, Anm. d. Red.) Tendenzen zugrunde. Solche Verhaltensweisen können auch auf andere neurotische Symptome hinweisen“, sagte sie. Auch wahnhafte Tendenzen seien in einem solchen Fall nicht auszuschließen. Um das eindeutig zu klären, bedürfe es jedoch eines persönlichen Gesprächs und eines gründlichen diagnostischen Prozesses.

Fest steht: Wenn ein Mensch nur ein einziges Gericht zu sich nehmen kann, verbirgt sich dahinter etwas ganz anderes als wählerisches Verhalten. „Bei Essstörungen geht es immer um die Abwehr negativer Gefühle“, erklärt Barbara Gmöhling, Diplom-Psychologin in Nürnberg und Expertin von „Psychologe.de“. Die oben aufgeführten Beispiele hält sie für sehr extrem: „Die Frage ist, ob so etwas überhaupt noch therapierbar ist.“ Und stellt klar: „Essstörung ist Sucht. Man nutzt sie, um die eigenen Stimmungen zu regulieren.“

Pica und Essphobie

Die Liste bekannter Essstörungen ist lang – sie geht weit über Magersucht und Bulimie hinaus. Dabei kommen die abstrusesten Symptome vor. „Es gibt eine Essstörung mit dem Namen Pica“, so Expertin Kristina Schlecht. Diese äußere sich im absichtlichen Verzehr ungenießbarer oder ekelerregender Sachen. Yahoo! Nachrichten berichtete beispielsweise von einer Dreijährigen, die an dieser Störung leidet.

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Ein weiteres Beispiel ist laut Gmöhling die Essphobie – die Betroffenen meiden spezifische Speisen zwanghaft. „Sie haben Angst, dass sie durch bestimmte Lebensmittel durch Krankheit oder Gefahr bedroht werden“, so die Psychologin. „Da steckt eine nicht reale, neurotische Angst dahinter.“

Die gesundheitlichen Folgen

Was Stacey Irvins und Claire Simmons angeht, so benötigen die beiden nach Ansicht der Experten nicht nur psychologische Hilfe, sondern auch medizinische. „Eine ausgewogene gesunde Ernährung ist in der Regel nicht durch den Verzehr eines einzelnen Produktes zu erreichen, da dies nicht alle für den Körper notwendigen Vitaminen und Nährstoffe enthält, die er benötigt“, erklärt Daniela Krug, ebenfalls Expertin bei „Hausmed“. Eine derart unausgewogene Ernährung führe im Regelfall über kurz oder lang zu einer Störung verschiedener Stoffwechselvorgänge und damit zu diversen Erkrankungen. „Die Liste der möglichen Folgen ist lang und hängt vor allem von dem Mangel der jeweils wichtigen Nährstoffe ab“ – ein paar Beispiele seien Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Gicht, Gallensteinleiden und verschiedene Krebsarten.