Putzmann macht Abschluss in Altphilologie an New Yorker Eliteuni

Gac Filipaj besuchte vor der Arbeit Kurse und lernte in der Nacht

Jahrelang hat Gac Filipaj die Flure und Toiletten an der Columbia University gewischt. Am Sonntag war dann der große Tag der Reinigungskraft der New Yorker Eliteuniversität: Zusammen mit halb so alten Studenten wurde dem 52-Jährigen am Sonntag bei einer Zeremonie seine Abschlussurkunde für den Bachelor in Altphilologie ausgehändigt. Als Angestellter der Universität darf der während des Bürgerkriegs aus Jugoslawien geflohene Mann kostenlos die Lehrveranstaltungen besuchen. Die hohen Studiengebühren hätte er sich bei einem Stundenlohn von 22 Dollar wohl auch nicht leisten können.



Sein Abschluss mit Auszeichnung ist der Lohn für jahrelanges Lernen bis tief in die Nacht. Bevor er seine Schicht um 14.30 Uhr antrat, besuchte er Kurse, und nach Feierabend um 23.00 Uhr lernte er in seiner Wohnung im Stadtteil Bronx. Vor Examen oder der Abgabe von Hausarbeiten arbeitete er oft die ganze Nacht durch.

Seine Lieblingslektüre seien die Schriften des römischen Philosophen und Staatsmanns Seneca, sagt Filipaj. "Ich liebe Senecas Briefe, weil sie in dem Geist geschrieben sind, in dem ich in meiner Familie erzogen wurde - nicht nach Ruhm und Reichtum zu streben, sondern ein einfaches, ehrliches und ehrenhaftes Leben zu leben."

Lesen Sie auch: Kodak-Geheimnis: Atomreaktor im Keller

"Er ist ein sehr stolzer Mann, egal ob er putzt oder akademische Arbeit leistet", sagt Peter Awn, Dekan der für das Studium generale zuständigen Fakultät und Professor der Islamwissenschaften. "Er ist unwahrscheinlich bescheiden und dankbar, aber er ist jemand, der seine Zukunft selbst gestaltet."

Flucht vor dem Militärdienst

Bevor Filipaj an der Columbia University aufgenommen wurde, musste er Englisch lernen. Seine Muttersprache ist Albanisch. Als er 1992 Montenegro, das damals noch Teil des zerfallenden Jugoslawiens war, verließ, war er nicht viel älter als die meisten seiner Kommilitonen, mit denen er nun Abschluss feiert. Der katholische Albaner verließ mit seiner Flucht den Bauernhof seiner Familie in dem kleinen Dorf Donja Klezna in der Nähe der Küstenstadt Ulcinj, weil er in die von Serben dominierten jugoslawischen Streitkräfte eingezogen werden sollte. Kurz vor seinem Abschluss an der juristischen Fakultät in Belgrad floh er in die USA.

Dort kam er bei einem Onkel in New York unter und arbeitete als Hilfskellner in einem Restaurant. Inzwischen hat er die US-Staatsbürgerschaft. "Ich habe die Leute gefragt, welche die beste Schule in New York ist", erzählt Filipaj. Weil Columbia immer wieder genannt wurde, "ging ich dorthin, um zu sehen, ob ich dort einen Job bekomme". Ein Teil seines Lohns schickt er noch immer jeden Monat an seinen Bruder, seine Schwägerin und ihre zwei Kinder in Montenegro. Er selbst hat keinen Computer. Für seine Verwandten, die als Milchbauern leben, hat er aber einen gekauft. Um Geld zu sparen, besitzt er auch kein Mobiltelefon.

Er wünscht sich, sein Vater wäre noch am Leben, um diesen Erfolg mitzuerleben, sagt der frisch gebackene Akademiker. Aber er sei im April verstorben. Zur Beerdigung flog er in die alte Heimat, war aber drei Tage später wieder zurück - bei der Arbeit und im Hörsaal.
"Wenn es mir zu viel wird, gehe ich einfach schlafen"

Um sich zu entspannen, rauche er manchmal eine Zigarette und trinke einen Grappa, sagt Filipaj. "Und wenn es mir zu viel wird, gehe ich einfach schlafen", lacht er. Während des Interviews mit der Nachrichtenagentur AP zeigt er keine Verbitterung oder Bedauern über sein hartes Leben. Stattdessen erzählt er freudig von seinen Begegnungen mit jüngeren Studenten, die sich wundern, warum ihr Kommilitone nach der Vorlesung hinter ihnen aufräumt.

Sein Ziel sei ein Masterabschluss oder sogar eine Doktorarbeit über die römischen und griechischen Klassiker, sagt Filipaj. Er hoffe, eines Tages Lehrer zu werden und seine Lieblingsklassiker ins Albanische zu übersetzen. Fürs Erste versucht er aber, einen besseren Job zu bekommen, vielleicht als Aufseher der Putzkräfte oder so etwas. Wenn möglich an der Columbia University.

Das Ziel seines akademischen Strebens sei aber nicht mehr Geld, sagt Filipaj. "Der Reichtum ist in mir, in meinem Herzen und meinem Kopf, nicht in meinen Taschen", sagt er und greift zu seinem Besen und seiner Kehrschaufel und macht sich wieder an die Arbeit.

(Verena Dobnik ist Korrespondent der AP)