Rechtsmediziner: Spurensuche an Toten

Leichen sind ihr tägliches Geschäft: Rechtsmediziner schneiden die Toten auf. (Bild: Thinkstock)

Sie schneiden Tote auf und weisen Morde nach, schließen von Blutspuren auf den Tathergang und lassen sich von Insekten den Todeszeitpunkt verraten. Ihr berufliches Leben dreht sich um den Tod. Yahoo erklärt die spannende Arbeit der Rechtsmediziner.

Fast wäre der Leichnam verbrannt worden und ein Mord unentdeckt geblieben. Doch weil bei Einäscherungen die Leiche erneut begutachtet werden muss, entdeckte der Frankfurter Rechtsmediziner Marcel A. Verhoff etwas, das der Hausarzt übersehen hatte: Eine Stichverletzung am Rücken. Der Tote war ermordet worden, der Täter konnte noch gefasst werden.

 Verhoff ist Direktor des Institutes für Rechtsmedizin am Frankfurter Universitätsklinikum. Als Sachverständiger arbeitet er vorwiegend für die polizeilichen Ermittler Staatsanwaltschaften und Gerichte. Die Aufgabe: Todesursache, Todesart, Identität des Opfers und Todeszeitpunkt herausfinden. Meist wird der Leichnam dazu aufgeschnitten. Standard bei der Obduktion ist die Eröffnung der drei Körperhöhlen Schädelhöhle, Brusthöhle und Bauchhöhle. „Man muss krankhafte Veränderungen wie Leberzirrhose oder Herzinfarkt erkennen können, um eine nicht natürliche Todesart ausschließen zu können“, sagt Verhoff. Bei Unfallopfern kann es vorkommen, dass jeder Zentimeter Haut vom Körper entfernt werden muss. Wenn nötig, werden Hilfsmittel wie Röntgengerät oder CT hinzugezogen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Pistolenkugeln im Körper gesucht werden. Bei Vergiftungen und bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch nehmen die Fachleute zusätzliche kleine Proben.

Lesen Sie auch: Grausames Puzzlespiel: So arbeiten Profiler bei der deutschen Polizei

 Verhoff ist aber auch für die Leichenschau zuständig, die in Deutschland jeder Verstorbene bekommt. Stellen die Rechtsmediziner dabei eine nicht natürliche oder ungeklärte Todesart fest, schalten sie die Polizei ein. Innerhalb der Ermittlungen kann es dann ebenfalls zur Obduktion kommen. Die Forensiker kennen sich aus in der Toxikologie, der Drogenforschung, der Molekularbiologie, der Traumatologie und weiteren Bereichen. „Wir bedienen uns allen naturwissenschaftlichen Themen, die zur Wahrheitsfindung dienen“, sagt Verhoff. Die Befunde werden objektiv dokumentiert. Fortwährend ziehen die Mediziner Schlussfolgerungen, schließen bestimmte Dinge aus. Nach der Obduktion richten die Präparatoren den Leichnam für die Beerdigung her.

Jede Blutspur erzählt eine Geschichte

 Rechtsmediziner werden häufig bereits an den Fundort der Leiche gerufen. Manchmal müssen sie den Toten gar nicht aufschneiden, um die Todesursache zu erkennen. Bei Alkoholikern können beispielsweise bestimmte Blutungen zum Tod führen, was die Experten durch alleinige Betrachtung erkennen. Auch bei Kapitalverbrechen wie Schussverletzungen und Messerstichen machen sich die Rechtsmediziner am Tatort ein Bild von der Situation, bevor der Leichnam später obduziert wird.

Häufig sind es die Details, die ausschlaggebend sind. Jede Blutspur erzählt den Experten individuelle Geschichten und gibt Rückschlüsse auf den Ablauf der Tat. „Blutspuren können beispielsweise verraten, aus welchem Gefäß das Blut kam, aus welcher Höhe es tropfte, spritzte  oder ob es abgeschleudert wurde“, so Verhoff. Die Todeszeit erkennt der Rechtsmediziner anhand der Totenflecken, der Totenstarre, der Fäulnis und der Temperatur. „Bei Zimmertemperatur findet in den ersten zwei Stunden keine Abkühlung statt, danach kühlt der Leichnam etwa ein Grad pro Stunde ab“, erklärt er. Seltener helfen Insekten, den Todeszeitpunkt festzustellen. Weil die den Menschen meist erst nach dessen Tod besiedeln, ist es möglich, anhand der Insektenart und deren Entwicklungsstadium Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt zu ziehen.

„Ich sammle Fakten und bin absolut emotionslos“

„Es gibt auch Fälle, wo ein Tötungsdelikt erst durch die Obduktion herauskommt“, erklärt Verhoff. Ein Beispiel: Der verweste Leichnam einer Frau wurde in ihrer Wohnung mit einer Plastiktüte über dem Kopf gefunden, das Gesicht war von ihrer Katze angefressen. Die Polizei sei, sagt Verhoff, davon ausgegangen, dass es sich um einen Suizid gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft habe dem nicht getraut und eine Obduktion beantragt. Verhoff konnte anhand von Hämatomen, Abwehrverletzungen und eines Zungenbeinbruchs feststellen, dass die Frau erwürgt worden war und die Plastiktüte nachträglich übergestülpt bekommen hatte, damit ihr Tod wie ein Selbstmord aussehen sollte. Ohne die Obduktion wäre der Täter davon gekommen, es war der Freund der Toten.

Rechtsmediziner schaffen Gerechtigkeit, doch für das gute Gewissen ist die Arbeit nichts. „Da ist keine Genugtuung dabei“, sagt Verhoff. „Ich will niemanden ins Gefängnis bringen, ich sammle Fakten und bin absolut emotionslos.“ Belastend sei die Arbeit nicht. Dennoch hat sie einen kleinen Einfluss auf den Alltag des Frankfurters. Fahrrad und Motorrad lässt er stehen und im Dunkeln zieht er keine dunklen Jacken mehr an, seit er weiß, was einem passieren könnte.

Lesen Sie auch: Ballistiker: Den Waffen auf der Spur

Verhoffs Spezialgebiet ist die forensische Osteologie. Werden Knochen gefunden, muss er klären: Sind es menschliche oder tierische Knochen? Ist der Tote vor einigen Jahren gestorben oder bereits im Mittelalter? Wie kam die Person ums Leben? Dabei können kleinste Verletzungen an den Knochen über die Todesart Aufschluss geben. Krimigucker kennen die Arbeit mit menschlichen Überresten aus der Fernsehserie „Bones, die Knochenjäger“. Verhoff hat jede Folge auf DVD. „Bones ist gar nicht so unrealistisch und sehr gut recherchiert“, sagt er.

Wie wird man Rechtsmediziner?

Wer wegen der zahlreichen Fernsehserien über Rechtsmediziner selbst den Beruf ergreifen möchte, muss Geduld mitbringen. Nach sechs Jahren Medizinstudium folgen eine vierjährige rechtsmedizinische Weiterbildung sowie jeweils ein halbes Jahr in der Pathologie und in der Psychiatrie. Die Ausbildung schließt ab mit der Facharztprüfung zum Rechtsmediziner. Wie fühlt es sich dann an, wenn man das erste Mal eine Leiche aufschneidet? So plötzlich komme das nicht, sagt Verhoff, man werde im Studium schrittweise herangeführt. „Wenn es dann dazu kommt, empfinde ich keine Freude, sondern eine spannende Erwartung, das ist für mich eine intellektuelle Herausforderung. Ich will herausfinden, was dahinter steckt“, sagt er.

Neben den Toten untersucht Verhoff auch die Lebenden. Dank der Erfahrung mit den Leichen kann er anhand von Hämatomen auf Verletzungen oder zum Beispiel Kindesmisshandlungen schließen. Weitere Bereiche seines Jobs sind die forensische Toxikologie, dabei geht es um das Feststellen von Drogen und Alkohol, sowie die forensische DNA-Analyse. Mittels Hautzellen, Blut, Speichel und Sperma können so Täter gefasst und unbekannte Leichen identifiziert werden. Die DNA-Analyse kann aber auch eine Vaterschaft bestätigen, dann bringt sie etwas Leben in den vom Tod beherrschten Arbeitsalltag.