"Wir sind überzeugt, dass klimaneutral schwierig ist": ARTE-Doku kritisiert CO2-Kompensationsgeschäfte

Der Klimatologe Daniel Huppmann (links) erklärt einem Gärtner im Großen Palmenhaus Schönbrunn, wie viele derartiger Anlagen nötig wären, um alles überschüssige CO2 auf der Erde zu kompensieren. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)
Der Klimatologe Daniel Huppmann (links) erklärt einem Gärtner im Großen Palmenhaus Schönbrunn, wie viele derartiger Anlagen nötig wären, um alles überschüssige CO2 auf der Erde zu kompensieren. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)

Mit den Auswirkungen des Klimawandels steigt der Wunsch bei Unternehmen und Verbrauchern, zumindest irgendetwas gegen die allgemeine Erderwärmung zu unternehmen. CO2-Kompensationszertifikate versprechen schnelle Lösungen. Doch ist dies der Weisheit letzter Schluss? Eine ARTE-Doku geht auf Spurensuche.

Es ist ein Milliardengeschäft mit dem schlechten Gewissen: In einer Zeit, in der die Auswirkungen des Klimawandels zunehmend ins Bewusstsein der Menschen rücken, versuchen viele Unternehmen, ihren eigenen CO2-Fußabdruck durch den Erwerb sogenannter Kompensationszertifikate zu reduzieren. Diese Projekte versprechen, mit dem eingenommenen Geld Regenwälder aufzuforsten oder die Bevölkerung in ärmeren Regionen der Erde in einem umweltfreundlicheren Lebensstil zu unterstützen. Doch wie effektiv sind diese Strategien wirklich? In der österreichisch-deutsch-französischen ARTE-Dokumentation "Die CO2-Lüge" (Dienstag, 11. Juni, 23.15 Uhr) blicken die Filmemacher Martin Voill und Paul Peraus hinter die Kulissen.

"Jedes Jahr werden weit mehr als 30 Milliarden Tonnen CO ausgestoßen", heißt es zu Beginn der hochspannenden Doku: "Nur noch weitere 250 Milliarden darf die Menschheit maximal in die Atmosphäre blasen, damit sich die Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad beschränkt." Die Europäerinnen und Europäer seien nach wie vor für circa zehn Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Dabei betrage ihr Anteil an der Weltbevölkerung nur sechs Prozent. Einen Ausweg aus dem Ungleichgewicht versprechen die Kompensationszertifikate: Rund zwei Milliarden Tonnen CO2 sollen dadurch angeblich zurückgewonnen worden sein. Doch wie verlässlich sind diese Zahlen wirklich?

Im honduranischen Dschungel wollen die Filmemacher mehr über ein Mangrovenschutzprojekt erfahren. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)
Im honduranischen Dschungel wollen die Filmemacher mehr über ein Mangrovenschutzprojekt erfahren. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)

 

Der Brasilianer Thales West hat früher selbst als Auditor für Kompensationsprojekte gearbeitet. Doch im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Freien Universität Amsterdam kamen ihm Zweifel: In einer im "Science Magazine" veröffentlichten Studie wurden 56 Wald-Kompensationsprojekte mit Satellitendaten genauer überwacht. West erklärt: "Alleine auf der Grundlage der von uns bewerteten Objekte gehen wir davon aus, dass über 90 Prozent der CO2-Gutschriften, die Projektentwickler verkaufen könnten, Fake sind."

Die Filmautoren Martin Voill und Paul Peraus wollen es genauer wissen: Sie reisen nach Honduras, wo ein 2017 begonnenes Kompensationsprojekt zukünftige Abholzungen vermeiden und die Pflanzung von Mangrovenwäldern fördern soll. Rund vier Millionen Dollar sollten dem Projekt aus Kompensationszertifikaten zur Verfügung stehen: "Wir würden einen Damm bauen zum Schutz von Barra Patuca, um die Menschen zu schützen", stellt Donaldo Rivas Donaire, der Koordinator CO2-Kompensationsprojekt, die ambitionierten Pläne der Einheimischen vor: "Die andere Idee ist, Mangroven anpflanzen und Bäume aufforsten." Doch bis heute kam kein Geld bei den Menschen vor Ort an.

Die EURO 2024 soll die klimafreundlichste Fußball-EM aller Zeiten werden. Doch nicht alle Fans sind bereit, das oft schnellere und günstigere Flugzeug gegen den langsameren und teureren Zug als Anreisemöglichkeit zu wählen. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)
Die EURO 2024 soll die klimafreundlichste Fußball-EM aller Zeiten werden. Doch nicht alle Fans sind bereit, das oft schnellere und günstigere Flugzeug gegen den langsameren und teureren Zug als Anreisemöglichkeit zu wählen. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)

 

Auch stellt sich die Frage, wie viel derartige Investitionen dem großen Ziel, mehr CO2 zu kompensieren nutzen würden, denn: "Die Leute, die die Natur kaputt machen, sind nicht von hier", erklärt Douglas Bosem Antonia, Rat der Indigenen in Lainasta: "Wir zum Beispiel in der Mosquitia und andere Indigene haben keinen Zugang zu großen Maschinen, die viel Schaden verursachen könnten. Wir fällen vielleicht hier und da einen Baum, um die Pfähle eines Drahtzauns oder ein Haus zu errichten. Wir verbrauchen nicht viel." Von den Europäern fordert er andere Lösungen.

Doch wie viel Wald bräuchte es überhaupt, um ausreichend CO2 zu kompensieren? Das hat der österreichische Klimaforscher Daniel Huppmann berechnet - mit überraschendem Ergebnis: Pro Mensch gibt es auf der Erde eine Waldfläche von 5.000 Quadratmetern. Das entspricht in etwa zweimal dem historischen Palmenhaus im Botanischen Garten in Schönbrunn. Pro Europäer bleiben jährlich ungefähr fünf Tonnen CO2 ungebunden in der Luft. Um diese zu kompensieren, bräuchte es zu diesen zwei Palmenhäusern weitere dreieinhalb pro Mensch dazu - eine unvorstellbar große Fläche.

"Die Leute, die die Natur kaputt machen, sind nicht von hier", erklärt Douglas Bosem Antonia, Rat der Indigenen in Lainasta in der Doku: "Wir zum Beispiel in der Mosquitia und andere Indigene haben keinen Zugang zu großen Maschinen, die viel Schaden verursachen könnten." (Bild: ARTE / Diego5 Studios)
"Die Leute, die die Natur kaputt machen, sind nicht von hier", erklärt Douglas Bosem Antonia, Rat der Indigenen in Lainasta in der Doku: "Wir zum Beispiel in der Mosquitia und andere Indigene haben keinen Zugang zu großen Maschinen, die viel Schaden verursachen könnten." (Bild: ARTE / Diego5 Studios)

 

Doch nicht nur die Waldprojekte zur Kompensation sind fraglich: "Substanzielle Übertreibungen" sieht die CO2-Kompensationsexpertin Barbara Haya auch an anderen Stellen: Ein österreichischer Lebensmitteldiscounter warb mit seinem Erwerb von CO2-Zertifikaten im Rahmen eines Wasserdesinfektionsprojekt in Bangladesch: Dabei wird Wasser mit den UV-Strahlen der Sonne gereinigt anstelle es abzukochen. Ein solarbetriebenes Messgerät zeigt an, wann der Reinigungsprozess abgeschlossen ist. Durch das Projekt soll Brennholz gespart werden, doch in der Praxis benutzen die Menschen das Gerät logischerweise nur in der Trockenzeit. Die gesamte Einsparung ist also geringer als gedacht.

Die europäische Politik ist sich der Schwachstellen des CO-Zertifikathandels bewusst: "Noch vor den EU-Parlamentswahlen wurde eine neue Richtlinie verabschiedet", heißt es in der Doku: "Sie verbietet Unternehmen, nicht fundierte Klimaversprechungen zu machen."

Im Rahmen eines Wasserdesinfektionsprojekt in Bangladesch soll Wasser mit den UV-Strahlen der Sonne gereinigt werden. Ein solarbetriebenes Messgerät zeigt an, wann der Reinigungsprozess abgeschlossen ist. Durch das Projekt soll Brennholz gespart werden, das zum Abkochen benötigt würde. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)
Im Rahmen eines Wasserdesinfektionsprojekt in Bangladesch soll Wasser mit den UV-Strahlen der Sonne gereinigt werden. Ein solarbetriebenes Messgerät zeigt an, wann der Reinigungsprozess abgeschlossen ist. Durch das Projekt soll Brennholz gespart werden, das zum Abkochen benötigt würde. (Bild: ARTE / Diego5 Studios)

 

Und wie gehen die Verantwortlichen der Fußball-Europameisterschaft mit dem Thema um? Nach dem Willen der UEFA soll die EURO 2024 die nachhaltigste EM aller Zeiten werden. Doch die Bemühungen, die Fans zur Anreise mit der Bahn anstelle mit dem Flugzeug zu bewegen, zeigen wenig Wirkung: "Wir sind überzeugt, dass klimaneutral einfach schwierig ist, weil am Ende sind Sie nie klimaneutral", gesteht Andreas "Mex" Schaer, Geschäftsführer der EURO 2024 GmbH. Stattdessen versuche man, wo es geht, CO2 zu vermeiden oder zu reduzieren.

Sieben Millionen Euro aus dem Gesamtbudget für die EM sollen zudem in Klimaprojekte kleiner Fußballvereine fließen. Ein Fußballverein in Frankfurt etwa kann sich vorstellen, das Geld in ein Sammeltaxi zu investieren, um den Individualverkehr bei den Eltern junger Nachwuchskicker zu reduzieren. Es ist nur ein kleiner Trost angesichts des ernüchternden Fazits nach rund 50 Minuten Dokumentation: "Private CO2-Kompensationsprojekte sind bisher vor allem eines: Geschäfte", heißt es darin: "Einen wahrnehmbaren Einfluss auf die nach wie vor stark steigende CO2-Kompensation in der Atmosphäre haben sie nicht."