„Die AfD soll sich auf was gefasst machen“

Junge Deutsche interessieren sich nicht für Politik? Dieser Vorwurf ist alt und falsch. Immer mehr junge Menschen gründen politische Initiativen – aus Sorge um den Zustand der Demokratie in Deutschland.

Wenn die deutschen Bürger in einem Monat an die Wahlurne gehen, stimmen sie über die politische Zukunft eines Landes ab, das umzingelt ist von rechtsnationalistischen Populisten. Ungarn hat Victor Orban, Polen Jaroslaw Kaczynski, die Niederlande Geert Wilders, Frankreich Marie le Pen, Österreich die FPÖ, die Schweiz die SVP, Großbritannien den Brexit-Befürworter, Russland hat Putin, die Türkei Erdogan und die USA Donald Trump.

Die internationale Gemengelage voller pöbelnder Populisten macht vor den deutschen Landesgrenzen nicht halt. Über die sozialen Medien wird rechtes und nationalistisches Gedankengut auch nach Deutschland infiltriert und landet geradewegs in den Köpfen vieler deutscher Bürger und Wähler. Sie wählen die AfD, die sich vier Jahre nach ihrer Gründung am 24. September aller Wahrscheinlichkeit nach den Weg in den deutschen Bundestag geschimpft haben wird. Laut aktuellen Prognosen dürfte die AfD auf etwa neun Prozent der Stimmen kommen und damit die drittstärkste Kraft werden.

Wie konnte es nur soweit kommen? Es gibt viele Erklärungsversuche. Doch Erklärungsversuche – das reicht zahlreichen jungen Menschen in Deutschland nicht mehr. Sie wollen etwas gegen den Rechtspopulismus im Land tun. Ausgerechnet die Generation Y, die sich für Politik jahrelang nicht interessiert hatte, ist um den Zustand der Demokratie im Land besorgt.

Immer mehr Organisationen entstehen, die von jungen Menschen gegründet werden. „DEMO“, „Informationen für Deutschland“, „Kleiner Fünf“, „Polis 180“, „#ichbinhier“, „Kaffee & Kapital“, um nur einige zu nennen. Sie alle eint der Kampf gegen den Rechtspopulismus und für die Demokratie in Deutschland. „Die junge Generation ist teilweise aufgewacht“, erklärt Paulina Fröhlich von Kleiner Fünf.

Fröhlich ist 25 Jahre alt. Ein Jahr vor den Bundestagswahlen hat sie zusammen mit Freunden die Initiative „Kleiner Fünf“ gegründet. „Die Bundestagswahl ist das Narrativ unserer Gründung“, erklärt Fröhlich. Ihr Ziel ist klar: Rechte Parteien vom Bundestag fernhalten. Ihr Mittel: Argumente. „Junge Menschen, die beim Abendessen sitzen und Magenschmerzen bekommen, wenn sie sich anhören müssen, wie ihre Eltern auf Argumente der AfD hereinfallen oder wenn auf Familienfesten oder im Freundeskreis abfällige Bemerkungen über Flüchtlinge aufkommen – für diese Menschen wollen wir da sein und sie mit Argumenten unterstützen.“

Kleiner Fünf bietet neben diversen Workshops auch sogenannte Facebook-Bots an, die Menschen mit Argumentationshilfen in Diskussionen über rechtspopulistische Positionen versorgen. Unter dem Hashtag #wasverlierstdu will Kleiner Fünf zur Diskussion einladen. „Wir wollen statt politischer Sprachlosigkeiten zwischen den Bürgern einen Dialog herstellen. Es soll diskutiert werden und zwar mit radikaler Höflichkeit“, erzählt Fröhlich. Um nicht in einer Facebook-Filterblase zu verschwinden, wurden Vorkehrungen getroffen. „In unserem Team arbeiten auch Menschen, die die Algorithmen hinter der Facebook-Filterblase verstehen und brechen können“, erklärt die Studentin. Über 6500 Menschen folgen Kleiner Fünf auf Facebook.

130 Menschen engagieren sich ehrenamtlich für Kleiner Fünf. Die Organisation finanziert sich vor allem durch viele kleine private Spenden. Unternehmensspenden hingegen fragen sie nicht an. „Geholfen hat uns eine Förderung der Bewegungsstiftung in Höhe von 15.000 Euro. Das war sozusagen der Startschuss für Kleiner Fünf“, erklärt Fröhlich die Entstehungsgeschichte. Mit dem Geld konnte beispielsweise die Internetpräsenz aufgebaut werden.“

Trotz aller Bemühungen: Die AfD im Bundestag wird Kleiner Fünf nicht verhindern können. Entmutigen lässt sich Paulina Fröhlich davon aber nicht. „Wir werden nicht verzagen. Die AfD und andere recht Parteien sollen sich auf was gefasst machen“, droht Fröhlich in Richtung der Partei.


DEMO-Gründerin war schon bei Maybritt Illner

Für Mareike Nieberding war Donald Trumps Wahl ein traumatisches Ereignis. Trump war noch keinen Tag gewählter Präsident der USA, als die Journalistin auf Facebook die Jugendbewegung DEMO gegründet hatte. „DEMO ist aus einem persönlichen Anti-Trump-Impuls entstanden. Ich hatte damals das Gefühl, dass hier etwas mächtig schiefläuft“, erzählt Nieberding dem Handelsblatt. „Im vergangenen Jahr gab es noch die Brexit-Entscheidung, die AfD ist in zahlreiche Landtage eingezogen und in Deutschland brannten Flüchtlingsheime. Ich wollte darüber nicht nur sprechen und schreiben, sondern auch etwas gegen diese Entwicklung tun.“

Nieberding ist 29 Jahre alt. DEMO hat auf Facebook mittlerweile über 4700 Follower. Die Journalistin wurde in den Polit-Talk von Maybritt Illner eingeladen, wo sie unter anderem mit Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart über den Ausgang der US-Wahlen diskutierte. Nieberding war in den USA und hat gesehen, was Donald Trump mit der US-Gesellschaft angestellt hat. Genau das will sie in Deutschland verhindern. „In den USA konnte man während der Präsidentschaftswahlen eine tiefe Spaltung der Gesellschaft sehen und zwischen Demokraten und Republikaner herrschte eine Sprachlosigkeit, die wir in Deutschland mit DEMO verhindern wollen. Wir sind eine überparteiliche Bewegung, die Menschen aus verschiedenen politischen Strömungen zum Dialog einladen möchte,“ erklärt Nieberding.

Im Gegensatz zu Kleiner Fünf konzentriert sich DEMO im Social Media auf junge Menschen. „Mittlerweile bieten wir aber auch Aktionen auf Marktplätzen und Workshops an Schulen an, vor allem an Berufsschulen“ erzählt Nieberding. Ihr Eindruck wäre, dass im Gegensatz zu Gymnasien an Berufsschulen weniger Zeit für politische Bildung bliebe. Bis zu den Bundestagwahlen will DEMO noch 20 Workshops absolvieren.

Außergewöhnlich ist die Mitgliederstruktur von DEMO. Es seien nicht alle Grünen- oder SPD-Wähler. Es gebe auch Mitglieder, die damit liebäugeln die AfD zu wählen. „Da musste ich auch erst einmal schlucken“, gibt Nieberding zu. Ihre Bewegung wolle aber keine abgeschlossene Gruppe sein. Ein Gespräch könne nur dann entstehen, wenn Menschen aus verschiedenen politischen Strömungen zum Gespräch eingeladen werden. „Die Bürger sollen sich einmischen und mitdiskutieren, vor allem die jungen Wähler. Nur so funktioniert eine Demokratie.“

Wie Kleiner Fünf sieht sich auch Nieberding mit DEMO am Anfang ihrer Kampagne. Die Arbeit gehe nach den Bundestagswahlen weiter. Der jungen Journalisten ist es wichtig junge Menschen dazu zu bewegen an sich und ihre politische Überzeugung zu glauben. „DEMO will ihnen zeigen, dass jede Stimme zählt, auch ihre.“


Informationen für Deutschland: Plakate statt Facebook

Nele Wolfram ist 23 Jahre alt, David Nonhoff 25. Zusammen mit zwei Freunden haben die Berliner zwei Monate vor der Bundestagswahl die Kampagne „Informationen für Deutschland“ gegründet – und gehen dabei einen völlig anderen Weg. Während „Kleiner Fünf“ und „DEMO“ vor allem auf den Social-Media-Kanälen aktiv sind, versucht ihre Kampagne die Menschen ganz klassisch mit gedruckten Plakaten zu erreichen. Ein Grund dafür sind die sogenannten Filterblasen bei Facebook. „Deswegen haben wir uns bewusst für Plakate entschieden“, erklärt Studentin Nele.

Zwei Wochen vor den Bundestagswahlen wollen sie 1200 Plakate im Großraum Berlin aufhängen. Dafür haben sie in den vergangenen Wochen 22.000 Euro eingesammelt. Das Geld kommt von zwei Unternehmen, der Baustofflogistik in Berlin und dem Großhändler für Gastronomietechnik, AfG Berlin, sowie aus einer Crowdfunding-Kampagne, die etwa 11.500 Euro eingebracht hat.

Die Plakate sind schlicht gehalten. Sie wollen durch ihre Unauffälligkeit auffallen und nicht im Kunterbunt der Werbeplakate untergehen. Auf den Plakaten wollen sie verschiedene Zahlen in Relation setzen. Beispielsweise wie hoch die entgangenen Steuereinnahmen durch Cum-Ex-Geschäfte waren und was im Vergleich dazu der Bund im vergangenen Jahr für Geflüchtete Menschen in Deutschland ausgeben musste. Damit begeben sich die jungen Berliner zwar auf dieselbe verkürzende Argumentationsweise, wie beispielsweise die AfD. Aber „die AfD wirbt zum Beispiel auch mit ‚Bikini statt Burka‘. Das hat keinerlei Informationsgehalt und zielt lediglich auf Emotionen ab“, meint David Nonhoff. „Wir dagegen wollen sachlich bleiben, was nicht heißt, dass wir die Menschen auch auf der Emotionsebene erreichen wollen.“

Obwohl es „Informationen für Deutschland“ noch nicht lange gibt, scheinen die jungen Berliner den Nerv rechter Gruppierung getroffen zu haben. „Wir haben jetzt schon erste Hasskommentare auf unseren Online-Kanälen bekommen“, erzählt David. Für die beiden ein gutes Zeichen auf dem richtigen Weg zu sein. „Sollte die Plakataktion gut ankommen und es unsere finanzielle Lage erlauben, können wir uns vorstellen künftig auch außerhalb von Berlin Plakate aufzuhängen“, blickt Nele in die Zukunft.

Die drei Initiativen sind jung und die Bundestagswahl ist bereits in 30 Tagen. Sie haben verschiedene Ansätze aber dasselbe Ziel. Erreichen werden sie es in der kommenden Legislaturperiode nicht. Dafür sind sie derzeit schlichtweg noch zu klein. Insgesamt folgen den drei Organisationen auf Facebook etwas mehr als 12.000 Menschen. Mit den Millionen von AfD-Wählern können sie es nicht aufnehmen – noch zumindest. Die jungen Menschen hinter den Initiativen, Paulina Fröhlich, Mareike Nieberding, Nele Wolfram und David Nonhoff, sehen in ihren Initiativen eine Entwicklung, die weitergehen wird – AfD im Bundestag hin oder her.