Denkzettel für die Ampel-Parteien - AfD bei EU-Wahl hinter Union auf Platz zwei

Bei der Europawahl am Sonntag haben die Ampel-Parteien Verluste erlitten. Die Kanzlerpartei SPD erzielte laut ersten Prognosen von ARD und ZDF ihr bislang schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen und landete auf Platz drei. (Kay Nietfeld)
Bei der Europawahl am Sonntag haben die Ampel-Parteien Verluste erlitten. Die Kanzlerpartei SPD erzielte laut ersten Prognosen von ARD und ZDF ihr bislang schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen und landete auf Platz drei. (Kay Nietfeld)

Bei der Europawahl haben die Wählerinnen und Wähler in Deutschland den Ampel-Parteien einen Denkzettel verpasst. Die Kanzlerpartei SPD fiel am Sonntag Hochrechnungen zufolge auf Platz drei hinter die AfD zurück, die laut ARD und ZDF in Ostdeutschland stärkste Kraft wurde. Bundesweit mit Abstand am besten schnitt die Union ab. Die stärksten Einbußen im Vergleich zur EU-Wahl 2019 verzeichneten die Grünen. Die neue Wagenknecht-Partei BSW schaffte aus dem Stand rund sechs Prozent.

In der Entwicklung in Deutschland spiegelt sich ein EU-weiter Trend wider: das Erstarken der Kräfte am rechten Rand, das in Frankreich nun zur Auflösung des Parlaments und damit zu Neuwahlen führt. Die AfD erzielte trotz eines von Skandalen begleiteten Wahlkampfs den größten Zuwachs unter den bislang schon im EU-Parlament vertretenen deutschen Parteien.

Für die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fiel die Abstimmung gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl ernüchternd aus. Die Koalitionsparteien kommen zusammengerechnet nur noch auf knapp über 30 Prozent.

CDU-Chef Friedrich Merz sprach von einer "letzten Warnung" für die "Ampel". Deren Politik schade dem Land, sagte er. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte Scholz auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. CSU-Chef Markus Söder sagte: "Die 'Ampel' ist de facto abgewählt."

Laut Hochrechnungen von ARD und ZDF kam die Union mit 30,2 bis 30,3 Prozent auf Platz eins (EU-Wahl 2019: 28,9 Prozent). Die AfD erzielte mit 15,8 bis 15,9 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei Europawahlen - blieb damit aber deutlich hinter den Werten zurück, die sie noch vor wenigen Monaten in Umfragen erzielte (2019: 11,0 Prozent).

Die SPD fuhr mit 13,9 bis 14,0 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen (2019: 15,8 Prozent). Die Grünen stürzten nach ihrem Rekordergebnis von 2019 (20,5 Prozent) auf nur noch 11,9 Prozent ab. Die FDP kam auf 5,0 bis 5,1 Prozent (2019: 5,4 Prozent).

Die Bundeswahlleiterin begann nach Schließung der letzten Wahllokale in der EU um 23.00 Uhr mit der Veröffentlichung von Teilergebnissen. Zu dieser Zeit fehlte aber noch knapp ein Drittel der Wahlkreise, insbesondere die Bezirke in Ostdeutschland, in denen die AfD besonders stark gewesen sein dürfte. Ein vorläufiges amtliches Ergebnis wird erst in den frühen Morgenstunden des Montags erwartet.

Die frühere Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht erzielte mit ihrer Partei-Neugründung BSW 6,0 bis 6,1 Prozent - und überrundete damit die Linkspartei. Diese erhielt nur noch 2,7 Prozent. Wagenknecht nannte das BSW-Ergebnis "grandios".

Wegen des Fehlens einer Sperrklausel können auch kleinere Parteien mit Sitzen im Europaparlament rechnen. Dies betrifft den Hochrechnungen zufolge die Freien Wähler (drei Sitze), Volt und die Gruppierung Die Partei (je zwei Sitze) sowie die Tierschutzpartei, die Familienpartei und die ÖDP (je einen Sitz).

AfD-Chefin Alice Weidel zeigte sich erfreut über das Erstarken ihrer Partei: "Wir müssen festhalten, dass nach dem holprigen Start in den Wahlkampf wir extrem gut in den Endspurt gegangen sind." In Ostdeutschland wurde die AfD laut den Hochrechnungen stärkste Kraft. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen im September Landtagswahlen an.

Die Ampel-Parteien gestanden ihre Niederlagen ein. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von einem "frustrierenden Ergebnis". Generalsekretär Kevin Kühnert hob hervor, für eine Personaldebatte um Kanzler Scholz gebe es aber keinen Anlass: "Es wäre schlechter Stil, das jetzt einer Person allein in die Schuhe zu schieben." Klingbeil sagte, die Wahl sei "keine Abstimmung über den Bundeskanzler" gewesen.

Grünen-Chef Omid Nouripour zeigte sich besorgt darüber, dass seine Partei vor allem bei Wählenden unter 30 Jahren verloren habe. Mit Blick darauf, dass Klimaschutz diesmal im Wahlkampf weniger im Fokus stand, machte er aber deutlich: "Klima ist nicht Kernthema der Grünen, sondern für die Menschheit."

FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zeigte sich erleichtert, dass ihre Partei nur leicht verloren hat. Das Resultat nannte sie "eine gute Nachricht".

Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zur EU-Wahl 2019 deutlich gestiegen - laut ARD und ZDF auf 64 bis 65 Prozent. Vor fünf Jaren lag sie bei 61,4 Prozent. Zum ersten Mal durften in Deutschland auch 16- und 17-Jährige wählen.

mt/hol