Analyse: Wieviel Klimawandel steckt im aktuellen Hochwasser?

Ganze Regionen im Krisenmodus: Es droht weiterer Dauerregen und damit eine Überschwemmungslage. Die Deiche weichen auf. Ist das Wetter oder schon Klima? Ein Blick auf die Experten zeigt, ob für die Lage auch Menschenhand verantwortlich zeichnet.

Bundeskanzler Olaf Scholz besucht ein Hochwassergebiet in Niedersachsen. (Bild: Guido Bergmann/BPA/Handout via REUTERS)
Bundeskanzler Olaf Scholz besucht ein Hochwassergebiet in Niedersachsen. (Bild: Guido Bergmann/BPA/Handout via REUTERS)

Eine Analyse von Jan Rübel

Die Situation als dramatisch zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Plötzlich ist das Wasser da. Wo das gewohnte Auge immer nur den Fluss oder Bach sah, ist nun anschwellende Flut. Regionen, die alle Jubeljahre sowas kannten, müssen sich für die Katastrophe wappnen: für ein Land unter in Deutschland. Während sich die Lage in Sachsen und Thüringen leicht entspannt, muss Niedersachsen mit dem Schlimmsten rechnen. Das, was für viele Deutsche einfach nur das Heim ist, könnte von einem Moment auf den anderen verschwinden.

Woran liegt das? Meteorologen verweisen auf den Jetstream. Dieser schnelle Windstrom ist in zehn Kilometern Höhe und in den Worten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eine "Schnellstraße für Tiefdruckgebiete". "Wenn wir eine glatte Strömung haben, dann folgt ein Tief dem anderen", sagte DWD-Meteorologe Christian Herold der "tagesschau". "Das ist typisch für so milde Winter." Diese Tiefs tragen feuchte Tropenluft mit sich. Die stößt auf die kältere Luft bei uns – und es kommt zum Regen.

Den Jetstream gab es schon immer. Bei einem einzelnen Wetterereignis lässt sich so gut wie nie sagen: Das liegt an diesem oder jenem. Und so verhält es sich auch mit der Frage, ob der Klimawandel ein Grund für die aktuelle Wetterlage ist. Aber eines ist sicher. Solche Extremwetterlagen häufen sich. Und Zufälle sind sie nicht.

Feuchte Zukunft

2023 war das Jahr der Überschwemmungen. Im Mai schlossen Wassermassen in Italien Menschen in ihren Häusern ein. Österreich und Slowenien wurden zu Tatorten von gekappten Straßen und Erdrutschen. Der Südwesten der USA wurde von Starkregen heimgesucht, und im September sorgte solch einer in Griechenland und in Libyen für das Brechen von Staudämmen; New York in Amerika war lahmgelegt. Woher kommt der ganze Regen?

Fakt ist, dass die Temperaturen weltweit steigen. Angetrieben wird dieses Mehr an Wärme durch die Treibhausgase – und die schicken wir Menschen in die Luft. Je wärmer aber die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen. Sie saugt sich voll, wandert los – und schüttet dann wie gerade der Jetstream ihre Fracht in Europa aus. "Extremniederschläge nehmen durch die #Erderwärmung weltweit und auch bei uns zu. Davor warnen Klimaforscher seit über 30 Jahren; längst bestätigen das die Daten von Wetterstationen", schrieb der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmsdorf an Heiligabend auf der Plattform X.

Hinzu kommt, dass die Winter immer milder werden – auch wieder wegen der Erderwärmung. Wenn aber weniger Schnee fällt, der vom Boden besser gespeichert werden kann, und dafür im Gegenzug mehr Regen, der darüber hinwegrauscht, dann verschärft sich die Lage. Immerhin haben wir in Deutschland von den vergangenen Fluten gelernt: Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass versiegelter Boden schlecht für Überschwemmungsschutz ist, dass Beton zur Wasserautobahn wird, dass landwirtschaftlicher Boden unter einseitigen Nutzpflanzen und immer schwereren Traktoren leidet. Und dass es bei Flüssen mehr Auen bedarf, mehr Flächen, auf die Wasser abfließen kann, ohne ins nächste Dorf rauschen zu müssen. All dies haben Umweltschützer in den vergangenen Jahrzehnten gefordert, erhört werden sie aber erst jetzt. Die woken Grünen, die mit ihrem Predigtton die Allgemeinheit nervten, behielten recht. Ihr Mahnen rettet derzeit Leben.

Trockene Zukunft

Dass die Sommer auch immer wärmer werden, dass dann die Dürre zunimmt und den Boden austrocknet, hilft nicht. Denn dann treffen die Niederschläge auf eine Erde, die abgehärtet ist und weniger Wasser aufnimmt. Es ist ein Teufelskreislauf. Der DWD hat dokumentiert, dass zum Beispiel das Jahr 2022 den sonnenscheinreichsten, drittwärmsten und fünfttrockensten Sommer in Deutschland seit Aufzeichnungsbeginn durch den DWD sah.

Die Klimawebsite Carbon Brief hat über 350 wissenschaftliche Studien ausgewertet, die sich mit der Zuordnung von Extremwetterereignissen beschäftigen. Ihre Analyse zeigt nach Angaben der Fernsehsendung "ARD Alpha", dass "70 Prozent der 405 untersuchten Extremwetterereignisse durch den menschengemachten Klimawandel entweder wahrscheinlicher oder stärker gemacht wurden, 9 Prozent hingegen weniger wahrscheinlich oder schwächer. Das bedeutet: 79 Prozent aller untersuchten Ereignisse waren bis zu einem gewissen Grad vom Klimawandel und dadurch vom Menschen beeinflusst".

Das ist das neue Normal – so wie die ritualisierte Silvestergewalt. Gegen letztere lässt sich etwas unternehmen. Gegen den Staffellauf von Dürren und Starkregen auch. Nur haben das Politiker im Jahr 2023 versucht. Allerdings wurden sie gestoppt, mitunter von einer Bevölkerung, die sich lieber über Wärmepumpen aufregte als nach den Gründen zu fragen, warum ihr die Keller absaufen.

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