Analyse: Zerlegt sich die Klimabewegung?

Polizisten tragen einen Straßenblockierer der
Polizisten tragen einen Straßenblockierer der "Letzten Generation" in Berlin weg (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Die einen wollen Berlin lahmlegen, die anderen Wahlen gewinnen oder die Herzen der Bürger. Klimaaktivisten stehen vor einer Zerreißprobe. Vorerst nimmt jeder nur seine Rolle ein. Bleibt die Frage, ob Fliehkräfte überhandnehmen werden.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine Frühlingsrebellion, das klingt ziemlich militärisch. Aber die Gruppe mit dem kaum weniger dramatischen Namen „Letzte Generation“ mag keine Untertreibungen. Schließlich sieht sie ja gewisse Bedrohungen auf uns zurollen, aber dazu später mehr. Jedenfalls hat die Organisation für Berlin Bambule angesagt. Ende April wollen die Spezialisten in Sachen Straßenkleber massiver denn je vorgehen und den Verkehr der Hauptstadt lahmlegen.

Schon jetzt koordiniert sich ein Protestcamp in der Stadt, und vor der FDP-Zentrale und Firmen wurde schwarze Farbe an die Wand gekippt; mit Wasser abwaschbar, natürlich. Aber eine gewisse Aufregung sollte schon her.

Und die kriegten die Aktivisten geschwind. Das Lager der Klimaschützer beginnt sich in Deutschland zu teilen. Denn die Kritik unter ihnen an der „Letzten Generation“ schwillt an. Die Grünen begleiten die Aktionen schon seit langem kritisch und anklagend. Zum einen hat sich die Partei eben nicht nur für parlamentarische Arbeit entschieden, sondern auch fürs Regieren. Das verträgt sich weniger mit Blockieren und Sabotieren. Und auch die breiteste Klimabewegung, die „Fridays for Future“ (FFF), distanzieren sich erstmals klar von den Klebern. Sie befürchten, dass damit Bürger für Klimaschutz desensibilisiert werden, wenn sie von der „Letzten Generation“ schuldlos in eine Mitleidenschaft gezogen werden – etwa, wenn sie aus ländlichen Regionen in die Stadt fahren müssen und dann aufgehalten werden.

Eine gegenseitige Eskalation?

So scheint es, dass diese drei „Player“ nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Grüne und FFF befürchten, dass die Kleber und Farbschmeißer der Klimabewegung einen Bärendienst erweisen: Dass sich immer mehr Bürger abwenden und damit auch von der Einsicht, dass gegen den Klimawandel tatsächlich mehr getan werden muss, als es gegenwärtig geschieht.

Der „Letzten Generation“ wiederum kann man vieles vorwerfen, aber nicht mangelnden Realitätssinn. Diese Gruppe will gar nicht erst Sympathiepunkte in der Bevölkerung sammeln. Sie nimmt bewusst die Rolle des „Bad Guy“ ein. Sie erpresst und will konkrete Forderungen umsetzen: Die Einführung eines Neun-Euro-Tickets und Tempo Hundert auf Autobahnen. Die Einsetzung eines Bürgerrats dagegen erscheint da schon schwammiger, da nicht Wenige darin zurecht ein Konkurrenzinstrument zur Demokratie an sich sehen.

Die „Letzte Generation“ aber setzt bewusst auf Risiko. Sie sieht eine Dringlichkeit durch den Klimawandel, sieht das tatsächliche Versagen der Politik und zieht daraus radikale Konsequenzen. Ihr Verhalten muss automatisch besserwisserisch rüberkommen, dafür kann die Gruppe nichts. Sie muss aber aufpassen, nicht ins Sektiererische abzudriften, sich wirklich für Besseres zu halten. Die Verlockung ist natürlich da, denn die Aktionen tragen in sich ein naturgemäßes Pathos und einen Narzissmus, die abfärben können.

Die Kalkulation der „Letzten Generation“ kann gutgehen, solange alle drei Player bei ihren Rollen bleiben und nicht der eine für den Auftritt des anderen verantwortlich gemacht wird; daher jetzt auch die Distanzierungen von Grünen und FFF von der „Letzten Generation“.

Die Rechnung wird indes schiefgehen, wenn sich ein derart großer Überdruss einstellt, der bei Grünen und FFF abgeladen wird. Der dann von Klimaschutz nichts mehr hören will, weil: Das seien doch diese Spinner, die dafür sorgen, dass ich meinen Termin, auf den ich Wochen lang gewartet habe, nicht einhalten konnte.

Wie dies ausgeht, ist völlig ungewiss. Im schlimmsten Fall wird es die Klimabewegung kurzzeitig zerlegen. Dies würde aber nicht lange andauern.

Was jedenfalls kommen wird

Denn der Klimawandel an sich interessiert sich nicht für menschliche Scharmützel. Er schreitet voran. Und nur Fakten können ihn in seinen Folgen abschwächen. Somit würde er dann einer Gesellschaft ohne große Klimabewegung vor die Füße fallen, dass diese sich neuformieren und größer denn je erscheinen würde. Denn vielen von uns ist wirklich noch nicht klar, was auf die Welt und auf Deutschland zukommt. Im Nachhinein werden die Zwiste über verunzierte Gemälde und historische Mauern als belanglose Petitessen dastehen.

Ferner wird auf der Rechnung stehen, ob sich eine noch radikalere Gruppe von Klimaschützern herausschält, die den Weg der Gewalt einschlagen werden, so etwas wie Öko-Terroristen werden – aber diese Frage wird unabhängig vom Ausgang des aktuellen Techtelmechtels zwischen Grünen, FFF und „Letzter Generation“ beantwortet werden.

Video: "Frühlingsrebellion": Klimaaktivisten beschmieren FDP-Zentrale