"Anonymität ist das Kostbarste überhaupt"

"Ich kann jemand, der gewisse Grundvoraussetzungen mitbringt, darin bestärken, dass er Weltklasse ist. Extrem gesagt: Ich krieg die letzte Pfeife hochgequatscht." Harald Schmidt glaubt an seine eigenen Qualitäten als Coach. (Bild: Dennis Hundt / Amazon Prime Video / Leonine Studios 2022)
"Ich kann jemand, der gewisse Grundvoraussetzungen mitbringt, darin bestärken, dass er Weltklasse ist. Extrem gesagt: Ich krieg die letzte Pfeife hochgequatscht." Harald Schmidt glaubt an seine eigenen Qualitäten als Coach. (Bild: Dennis Hundt / Amazon Prime Video / Leonine Studios 2022)

Ein kurzes Comeback beim Streaming-Dienst: Harald Schmidt coacht in der neuen Amazon-Show "One Mic Stand" (ab 15.Juli) zwei Fußball-Weltmeister auf ihrem Weg zum Stand-up-Comedian. Im Interview präsentiert sich der Ex-Late-Night-Talker eloquent wie eh und je: ohne Netz, aber mit vielen doppelten Böden.

"Ich bin eine Interviewmaschine", sagt Harald Schmidt und lässt Worte folgen. 65 Jahre wird er am 18. August, das Fernsehen hat er inzwischen weit hinter sich gelassen. Schmidt spielt Theater, setzt sich unter anderem für die Stiftung Deutsche Depressionshilfe ein und plaudert ab und an mit der Presse. Jetzt aber kommt's zum, wenngleich ziemlich kleinen, Bildschirm-Comeback. In der neuen Amazon-Show "One Mic Stand" (ab 15. Juli) gehört er zu den fünf erfahrenen Stand-up-Comedians, die auf prominente Persönlichkeiten aus völlig anderen Bereichen treffen. Als Coach bereiten er sowie Michael Mittermeier, Hazel Brugger und andere ihre "Auszubildenden" auf einen großen Bühnenauftritt vor, der am Ende jeder Episode der fünfteiligen Reihe auch gezeigt wird. Schmidt hat sich zunächst um Mats Hummels und später um Christoph Kramer zu kümmern.

teleschau: Lange nichts gehört von Ihnen, Herr Schmidt. Wie geht es Ihnen?

Harald Schmidt: Sensationell. Sensationell. Ich gehe auf die 65 zu. Ein Traumalter. Hätte ich gewusst, wie toll es ist, wäre ich schon früher 65 geworden. Kann ich nur empfehlen ...

teleschau: Kommt Rente vom Staat?

Schmidt: Ja, wenngleich überschaubar. Aber ich habe, wie wir Arbeitnehmer sagen, die 15 Jahre vollgemacht. Es wird sicher was reinregnen, ich vertraue da sehr auf die Ampel.

teleschau: Und gesundheitlich? Keine Gebrechen?

Schmidt: Nein, toi, toi, toi. Was natürlich nicht heißt, dass ich morgen rausgehe und umfallen könnte. Aber da ich nie Sport getrieben habe, habe ich keine kaputten Gelenke. Anderthalb Stunden nach dem Aufstehen bin ich jedenfalls topfit. Diese Zeit brauche ich aber dann schon.

Harald Schmidt wird am 18. August 65 Jahre alt. Rente vom Staat gibt es auch. (Bild: Hannes Magerstaedt/Getty Images for Best Brands)
Harald Schmidt wird am 18. August 65 Jahre alt. Rente vom Staat gibt es auch. (Bild: Hannes Magerstaedt/Getty Images for Best Brands)

"Ich krieg die letzte Pfeife hochgequatscht"

teleschau: Was hat Sie überzeugt, bei "One Mic Stand" mitzumachen? Sieht man von den Überredungskünsten Ihres alten Weggefährten Fred Kogel ab, der als Produzent fungiert ...

Schmidt: Die Kombination Mats Hummels und Christoph Kramer. Weil ich natürlich ein Fan von Weltklassespielern bin und mal hören wollte, was sie hinter den Kulissen erzählen - vom Training, von der Mannschaft, vom Konkurrenzdruck. Das hat mich interessiert.

teleschau: Haben Sie ein Lehrer-Gen in sich?

Schmidt: Überhaupt nicht. Mir fehlt jedes pädagogische Talent. Aber ich habe ein echtes Coach-Gen in mir.

teleschau: Was bedeutet das?

Schmidt: Ich kann jemanden, der gewisse Grundvoraussetzungen mitbringt, darin bestärken, dass er Weltklasse ist. Extrem gesagt: Ich krieg die letzte Pfeife hochgequatscht. Es geht ja oft nur um Bestätigung und um die Ermutigung, sich nicht verunsichern zu lassen. Ich merkte das schon, als ich im Zivildienst Jugendfreizeiten leitete. Da arrangierte ich mit den Kindern kleine Theateraufführungen. Hinterher kamen die Mütter auf mich zu und berichteten mir, dass ihre Kinder in der Schule so aufgeregt sind, wenn sie mal drankommen. Und bei mir waren sie begeistert, auf der Bühne zu stehen und Theater zu spielen. Es geht eben nur darum, das Selbstvertrauen zu vermitteln.

teleschau: Mit diesen Fähigkeiten hätten Sie mal Intendant werden sollen, zu Hause in Stuttgart zum Beispiel.

Schmidt: Um Gottes willen, nein. Was glauben Sie, was Sie sich da anhören müssen, wem Sie da alles schöntun müssen. Wo sie überall ausgleichen müssen. Das wäre nicht mal ansatzweise was für mich gewesen.

Dank seiner Mitwirkung an der Show "One Mic Stand" ist Harald Schmidt laut Amazon jetzt auch "Fachmann in Storytelling-Fragen". Und, wie er selbst hinzufügt: "Auch im Binging. Und irgendwas mit Talent Unique Selling Point." (Bild: Dennis Hundt / Amazon Prime Video / Leonine Studios 2022)
Dank seiner Mitwirkung an der Show "One Mic Stand" ist Harald Schmidt laut Amazon jetzt auch "Fachmann in Storytelling-Fragen". Und, wie er selbst hinzufügt: "Auch im Binging. Und irgendwas mit Talent Unique Selling Point." (Bild: Dennis Hundt / Amazon Prime Video / Leonine Studios 2022)

Fernsehen? - "Ich hatte es bis zur Genüge"

teleschau: Sie tragen wieder Bart, wie damals vor knapp 20 Jahren, als der "Spiegel" in Ihnen eine Mischung aus "Käptn Blaubär und Elmar Gunsch" erkannte.

Schmidt: Kürzlich sagte jemand zu mir, es gehe jetzt Richtung Hemingway. Gefiel mir natürlich gut. Wobei ich im Gespräch den Hinweis auf sein Ende weggelassen habe. Stichwort: Hemingway - begeisterter Jäger.

teleschau: Aber das Leben bis dahin könnten Sie doch jetzt führen wie er.

Schmidt: Absolut. Könnte ich. Getreu dem alten Dean-Martin-Motto: "Begrabt mich an der Theke".

teleschau: Sind Sie ein Lebemann?

Schmidt: Nein. Dazu bin ich zu bequem. So ein richtiger Lebemann bringt schließlich seine ganze Energie in dieses Dasein ein. Da müssen Sie Rosen aus dem Hubschrauber rauswerfen oder exquisite Essen organisieren. Das ist nichts für mich. Ich bin eher der Typ: "Da ist ne Tanke, lass uns frühstücken."

teleschau: Wie gestaltet sich derzeit Ihr Alltag? Sie haben ja nichts zu tun, oder?

Schmidt: Das stimmt nicht! Ich muss Text lernen. Ich habe einen Abend gemacht an der Oper Zürich zur Premiere des "Rheingold". Im Herbst spiele ich Operette in Wien. Und ans Theater nach Stuttgart kehre ich auch zurück. Sie sehen, ich habe mehr als genug zu tun. Ich befinde mich eben nur nicht mehr in diesem Hamsterrad.

teleschau: Fehlt Ihnen das Fernsehen?

Schmidt: Nein. Ich hatte es bis zur Genüge. Es war eine fantastische Zeit, der ich ja auch meinen ganzen Lebensstandard verdanke. Aber jetzt soll mal der Nachwuchs ran.

teleschau: Aber es fehlt doch jemand, der einen allabendlich glücklich und zufrieden ins Bett bringt. Gefühlt gibt es zig Late-Night-Shows, aber keine richtige. Alle kommen nur ein paarmal im Jahr, zu unregelmäßigen Zeiten. Warum gibt es dieses Format hier nicht mehr?

Schmidt: Es war einfach eine andere Zeit. Sie finden sicher keinen Sender mehr, der heute den Mut hätte, das zu riskieren. SAT.1 hat damals mit Senderchef Fred Kogel drei Jahre durchgehalten, bevor es richtig lief. Und ganz wichtig: Es gab damals noch kein Internet. Wenn heute etwas Boulevardtaugliches passiert, sehe ich im Netz nach einer halben Stunde so viele sensationelle Clips und Beiträge dazu. Da gibt es für die Menschen keinen Grund mehr, bis abends um 23.15 Uhr zu warten.

teleschau: Es ging ja nicht nur um die Inhalte, sondern vor allem um die Atmosphäre und den Spaß. Darum, im Studio einen Stoffaffen eine kleine Skisprungschanze hinunterfahren zu lassen.

Schmidt: Er trat gegen eine tiefgefrorene Weihnachtsgans an, wenn ich mich recht erinnere. Aber: Das ist 25 Jahre her. Da war Kohl Kanzler, und Berti Vogts war Bundestrainer.

teleschau: Aber lustig war es. Und in den USA läuft Ähnliches immer noch gut.

Schmidt: Es gibt dort natürlich eine andere Tradition, das Publikum ist damit groß geworden. Dazu gibt es die Metropolen Los Angeles und New York und vor allem die englischsprachige Welt mit vielen potenziellen Gästen. All das hatten wir nicht.

teleschau: Und doch fragt man sich: Wer könnte es heutzutage? Wer könnte als neuer Schmidt für die Zuschauerinnen und Zuschauer allabendlich den Tag beschließen?

Schmidt: Ich mache mir keine Gedanken darüber. Sicher ist: Wenn es jemanden gäbe, dann muss er da auch durchbrettern. Der muss das wirklich wollen, der muss es an sich reißen. Von außen sollte man das an niemanden herantragen. Aber ich bleibe dabei: Letzten Endes sind die Möglichkeiten dazu in Deutschland zu begrenzt.

Fernsehauftritte von Harald Schmidt sind selten. Zum zehnten Geburtstag von "Expedition in die Heimat" führt er nun durch eine Folge der SWR-Reisereportage. In der Sonderausgabe begibt er sich auf die Spuren seiner Herkunft. Der SWR zeigt "Expedition in die Heimat - Takeover Harald Schmidt" am Freitag, 12. August, 20.15 Uhr. (Bild: SWR / Jo Müller)
Fernsehauftritte von Harald Schmidt sind selten. Zum zehnten Geburtstag von "Expedition in die Heimat" führt er nun durch eine Folge der SWR-Reisereportage. In der Sonderausgabe begibt er sich auf die Spuren seiner Herkunft. Der SWR zeigt "Expedition in die Heimat - Takeover Harald Schmidt" am Freitag, 12. August, 20.15 Uhr. (Bild: SWR / Jo Müller)

"Ich gebe wahnsinnig gerne Interviews"

teleschau: Sie sind nun eine Weile raus aus dem regelmäßigen TV-Geschäft. Können Sie in ein Café gehen und dort Ihre Ruhe haben?

Schmidt: Ich habe komplett Ruhe. Auch beim Einchecken im Hotel zum Beispiel, wo mich die Dame nicht mehr erkennt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie großartig es ist, unerkannt zu sein. Zu meiner Zeit damals gab es ja noch kein Handy, aber die Leute gingen auf Mallorca rückwärts mit der Videokamera vor mir her. Wenn ich mir das heute vorstelle, mit den Handys, das wäre für mich der blanke Wahnsinn. Klar, bei Menschen 50 plus sieht es anders aus. Aber schon von den jungen Leuten nicht mehr erkannt zu werden, ist ein unschätzbarer Vorteil für mich. Die Anonymität ist das Kostbarste überhaupt.

teleschau: Um so erstaunlicher, dass Sie heute dann doch für so ein Format wieder dabei sind und sogar Interviews dazu geben.

Schmidt: Das macht mir Spaß. Ich gebe ja wahnsinnig gerne Interviews. Für mich muss es halt immer gut klingen. Mir geht es im Interview nicht um irgendwelche Wahrheiten und schon gar nicht darum, konkret mit irgendjemandem abzurechnen. Ich bin einfach gerne so eine Interviewmaschine. Produzenten habe ich schon vorgeschlagen, mich mit einer Perücke Interviews zu einer neuen Serie geben zu lassen, in der ich aber gar nicht mitspiele.

teleschau: Es kommt bei Ihnen im Gespräch eben verlässlich was Heiteres und was Intelligentes.

Schmidt: Ach, das weiß ich nicht. Ich rede einfach ohne Rücksicht auf Verluste. Und das ist ja in diesen Zeiten schon mal ziemlich viel. Weil die meisten eben ziemlich abgesichert sprechen. Oder sie hauen einen Satz raus, kriegen dafür eins auf die Mütze, entschuldigen sich und müssen gleich zu "Ein Herz für Kinder", um Abbitte zu leisten. Viele nutzen solche Interviews auch, um zu zeigen, dass sie "eigentlich ganz anders" sind. Einer, der sein Leben lang in den Pudding gesprungen ist und damit reich geworden ist, möchte im Interview deutlich machen, dass er ein ganz nachdenklicher Mensch ist, der sich Gedanken über unseren Planeten macht.

In der Amazon-Show "One Mic Stand" treffen deutsche Comedians auf prominente Persönlichkeiten ohne Stand-up-Erfahrung und laden sie in ihre Welt ein. Harald Schmidt (links) bekam es  mit den Fußballern Mats Hummels (Mitte) und Christoph Kramer zu tun. (Bild: Amazon Prime Video / LEONINE Studios / Daniel Dornhöfer)
In der Amazon-Show "One Mic Stand" treffen deutsche Comedians auf prominente Persönlichkeiten ohne Stand-up-Erfahrung und laden sie in ihre Welt ein. Harald Schmidt (links) bekam es mit den Fußballern Mats Hummels (Mitte) und Christoph Kramer zu tun. (Bild: Amazon Prime Video / LEONINE Studios / Daniel Dornhöfer)

"Mein Sohn musste mir zeigen, wie man ein Bild verschickt"

teleschau: Sind Sie eigentlich viel im Netz und in sozialen Medien unterwegs?

Schmidt: Nein. Ich nehme das Bisschen, das ich quasi für lau im Netz kriege. Wobei ich ja mit meinen Daten bezahle. Ich schaue mir an, was vor der Bezahlschranke kommt. Beim Rest sehe ich die Überschrift und kann mir die Artikel denken.

teleschau: Und wie gehen Sie mit Ihren Kindern um? Müssten Sie sich nicht als verantwortlicher Erziehungsberechtigter mit diesen neuen Medien auskennen?

Schmidt: Nein, da klingt dann schnell wie "Opa erzählt vom Krieg". Die Kinder müssen ihren Weg selbst finden. Ich kann nur Leitplanken bieten und zum Beispiel darauf hinweisen, dass das Internet nichts vergisst. Und nichts heißt hier: Nichts! Überlegt also genau, was Ihr macht. Aber ich kann ja technisch gar nicht mehr kontrollieren, was meine Kinder auf dem Handy tun. Im Gegenteil: Mein Sohn musste mir zeigen, wie man ein Bild verschickt.

teleschau: Das klingt schon nach dem Klischee des 65-jährigen Technikverweigerers ...

Schmidt: Ich bin wieder auf dem besten Wege, mir Briefe schreiben zu lassen. Ich sehe doch diese ganzen Menschen mit dem Telefon am Ohr. Und ich sage Ihnen: Das sicherste Zeichen, dass sie ein Loser sind, ist, wenn sie noch beim Einsteigen in ein Flugzeug telefonieren. Dann ist klar: Sie sind maximal im Mittelfeld, wenn Sie sich noch zulabern lassen müssen, während Sie ins Flugzeug einsteigen. Andere sind einfach nicht erreichbar ... für drei Tage. Ich sehe so viele Menschen mit iPods am Flughafen ... Aber was ich da an Sprachfetzen vernehme, ist im Grunde alles sinnlos.

teleschau: Das sind eben die modernen, hippen Zeiten. Bei der großen Pressekonferenz zu "One Mic Stand" wimmelte es ja, vom Titel mal ganz abgesehen, von Anglizismen.

Schmidt: Absolut. Sie können sich selbst denken, was mir da durch den Kopf ging, aber in der Gage ist ein interessierter, professioneller Gesichtsausdruck inbegriffen.

teleschau: Sie sind demnach, vermutlich ohne es bisher geahnt zu haben, Fachmann in "Storytelling"-Fragen.

Schmidt: Auch im "Binging". Und irgendwas mit "Talent Unique Selling Point" (lacht). Ändert aber alles nichts daran, dass ich im Grunde einer bin, der auf die Bühne kommt und sagt: "Guten Abend, meine Damen und Herren. Kommt ne Frau beim Arzt ..." Den Witz hat mein Kollege Hugo Egon Balder jeden Mittag, wirklich jeden Mittag, damals beim Düsseldorfer Kom(m)ödchen gebracht. Er setzt übrigens eine gewisse Grammatikkenntnis voraus.

teleschau: Bei "Sketchup" gab es den Sketch, bei dem die Frau aus dem Fenster schaut und sagt: "Der Morgen graut." Und ihr Mann korrigiert sie: "Dem Morgen, dem Morgen ..."

Schmidt: Das ist Shakespeare-Niveau. Aber mit so was erleiden Sie heute natürlich Schiffbruch. Der Erste, der Ihnen das rausstreicht, ist der zuständige öffentlich-rechtliche Redakteur. Entweder mit dem Satz: "Wir wollen unser Publikum nicht bevormunden". Oder mit dem Satz: "Meine Mutter versteht das nicht". Wobei ich mir in so einem Fall schon rausnehmen würde, zu antworten: "Deine Mutter ist wahrscheinlich einfach zu blöd."

Moderator Teddy Teclebrhan (Mitte) begrüßt in einer der fünf Ausgaben von "One Mic Stand" Fußball-Weltmeister Christoph Kramer (links) und Harald Schmidt. (Bild: Amazon Prime Video / LEONINE Studios / Daniel Dornhöfer)
Moderator Teddy Teclebrhan (Mitte) begrüßt in einer der fünf Ausgaben von "One Mic Stand" Fußball-Weltmeister Christoph Kramer (links) und Harald Schmidt. (Bild: Amazon Prime Video / LEONINE Studios / Daniel Dornhöfer)

"Heute würde meine Sendung nach einer Woche abgesetzt werden"

teleschau: Ist Stand-up-Comedy heute anders als früher? Oder hat sich eigentlich gar nicht so viel geändert?

Schmidt: Das Prinzip ist schon noch das gleiche. Im Grunde kommt jemand raus und schildert, dass er mit der Welt auch nicht mehr zurechtkommt. Oder er versucht eben, irgendwie mitzuhalten. Wobei: Es geht in der Branche auch einfacher: Mancher, der am Anfang einfach zehn Minuten lang schreit: "Isch lieb Euch alle", hat 10.000 Leute in der Halle.

teleschau: Dialekt wird immer noch gerne genommen ...

Schmidt: Mein Tipp: Kölsch funktioniert immer.

teleschau: In Fragen von Haltung und der viel zitierten politischen Korrektheit gelten aber dann doch andere Regeln als früher ...

Schmidt: Heute würde meine Sendung nach einer Woche abgesetzt werden. Jedes Jahr eröffnete ich am Weltfrauentag die Show mit den Worten: "Guten Abend, meine Damen und Herren. Meine Herren, denken Sie daran: Heute ist Weltfrauentag. Stellen Sie Ihrer Gattin eine Rose ins Putzwasser." Wäre heute unmöglich. Der Intendant würde sofort darauf verweisen müssen, dass er selbst daheim putzt.

teleschau: Dennoch wurde Ihnen schon damals viel verziehen. Weil eben bis heute bei Ihnen, auch in jedem Interview, eine doppelte Ebene mitkommt: Was meint er ernst, was nicht? Wenn wir jetzt das Gespräch beenden, ist diese Ebene dann verschwunden?

Schmidt: Nein. Ich sehe den Alltag eben genau so. Und auch das Fernsehen: Meine Lieblingssendung ist die Reportagereihe "37°" im ZDF. Da kann ich richtig lachen. Andere sehen da unglaubliche Schicksale. Ich sage: Da kapieren Menschen nicht, dass sie im Fernsehen vorgeführt werden. Sie können in meinem Job nicht an- und abschalten. David Letterman hatte in seinem Abspann immer klein stehen: "There is no off position on the genius switch." Dem schließe ich mich an.

teleschau: Das meiste haben Sie ja jetzt überstanden. Sie können nur noch Dinge tun, die Ihnen Spaß machen.

Schmidt: Absolut. Ich fahre jetzt ins Zillertal. Soll ich dort jemanden von Ihnen grüßen?

teleschau: Nein. Ich weiß nichts vom Zillertal.

Schmidt: Ich auch nicht. Also fahre ich mal hin ...

Harald Schmidt (rechts) schickte die Weltmeister Mats Hummels und Christoph Kramer (links) zum Comedy-Crashkurs.  (Bild: Dennis Hundt / Amazon Prime Video / Leonine Studios 2022)
Harald Schmidt (rechts) schickte die Weltmeister Mats Hummels und Christoph Kramer (links) zum Comedy-Crashkurs. (Bild: Dennis Hundt / Amazon Prime Video / Leonine Studios 2022)