Das Mädchen, der Vater und der Mord

Souza Barakat hatte die Bevormundung durch ihre Eltern endgültig satt. Sie wollte nicht mehr länger die Strenge ihres jesidischen Vaters ertragen müssen, sondern ein unbeschwertes und selbstbestimmtes Leben führen können, so wie ihre Freundinnen aus ihrer niedersächsischen Heimat.



Im Sommer 2011 fasste die 13-Jährige aus Nienburg an der Weser einen mutigen Entschluss: Sie türmte aus dem Elternhaus, begab sich in die Obhut des Jugendamts und wohnte fortan auf eigenen Wunsch in einem Heim. Doch die Eltern wollten ihre Tochter nicht einfach aufgeben. Am 5. Dezember 2011 trafen sich Vater, Mutter und Tochter zu einem Mediationsgespräch in einer psychologischen Praxis im benachbarten Stolzenburg. Nach der Zusammenkunft wollte Souza gerade gemeinsam mit einer Begleiterin des Jugendamts in ein Auto steigen, als der Vater nochmals auf sie zuging. Aus nächster Nähe soll er, so die Ermittler, seiner Tochter auf offener Straße zwei Mal in den Kopf und einmal in den Hals geschossen haben. Das Mädchen war sofort tot. Die Mutter hatte alles mit angesehen. Ali Barakat rannte davon.

Seither fahndet die Polizei fieberhaft nach dem 37-jährigen Kurden wegen Mordes.  Zwei Mal bereits wurde der Fall in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" vorgestellt, zuletzt im September vergangenen Jahres. Ohne Erfolg. Die Mordkommission "Moko Allee" ging insgesamt 165 Hinweisen nach. "Leider führte uns keiner zum Gesuchten", sagt Gabriela Mielke, Sprecherin der Polizei Nienburg. Allerdings wurde bei diversen Hausdurchsuchungen ein Bild gefunden, das Barakat entspannt vor dem Riesenrad im Wiener Prater zeigt. Zudem sind inzwischen auch Barakats Frau und die drei gemeinsamen Söhne im Alter zwischen sieben und 13 Jahren verschwunden. "Mittlerweile könnte es zu einer Familienzusammenführung gekommen sein", sagt Annette Marquardt von der Staatsanwaltschaft Verden. "Vielleicht führen uns die Mutter und die fließend deutsch sprechenden Kinder zum Aufenthaltsort Ali Barakats", ist nun ihre Hoffnung.

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Allerdings verliefen die Ermittlungen nicht immer reibungslos. Eine kuriose Panne sorgte zwischendurch für Schlagzeilen. Wenige Tage nach der Tat entdeckten Polizisten das Fluchtauto in Minden. Im August 2012 wurde der Wagen dann über einen Gerichtsvollzieher verkauft. Der neue Besitzer fand darin die Tatwaffe. "Ich gehe davon aus, dass es sich um einen Individualfehler der zuständigen Beamten gehandelt hat", erklärte der Leiter der Polizeiinspektion in Göttingen damals.

Auf dem Fahndungsfoto hat Barakat schütteres Haar und trägt einen Oberlippenbart. Das Verbrechen hatte damals die Debatte um Ehrenmord und Selbstjustiz erneut angefacht. Ali Barakat flüchtete aus dem Irak nach Deutschland. Er ist Kurde und Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Jesiden, bei der strenge Sitten herrschen. Die Strukturen sind patriarchalisch, die Männer geben den Ton an. Zwangsehen sind zwar offiziell verboten, und dennoch werden häufig Cousins und Cousinen zusammengebracht. Wenn ein Mädchen versucht, außerhalb der Gemeinschaft zu heiraten, wird das oft als Beschmutzung der Familienehre und Bruch mit dem Glauben bewertet.

Dabei gab sich Barakat noch wenige Tage vor den tödlichen Schüssen geradezu versöhnlich. Am 1. Dezember 2011 haben die Eltern ihrer Tochter noch einen Brief geschrieben: "Nun haben wir verstanden, dass wir einige Fehler dir gegenüber gemacht haben; einer davon ist, dass wir nicht mit dir gesprochen haben. Es kann auch sein, dass wir als Mutter oder als Vater sehr viel von dir verlangt haben, ohne dich zu fragen, wie es dir dabei geht", zitiert das Online-Portal welt.de. "Wir sind keine Richter oder Richterin und keine Polizei; wir sind deine Eltern." Ob der mutmaßliche Täter zu diesem Zeitpunkt schon beschlossen hatte, selbst über seine Tochter zu richten, ist unklar. Die Polizei geht allerdings davon aus, dass Ali Barakat die Tat geplant hat.

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