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Es gewittert im Gerichtssaal

Im NSU-Prozess wird die Stimmung immer hitziger - bei allen Beteiligten. Ankläger und Verteidiger attackieren sich gegenseitig in scharfem Ton - während der Prozess wegen einer Flut von Anträgen quälend auf der Stelle tritt.

Es werde ein „Antragsgewitter der Verteidigung“ geben, hatte ein Opferanwalt schon vor Beginn des NSU-Prozesses prophezeit. Er sollte Recht behalten. Es gewittert mächtig an diesem Mittwoch. Es gibt Befangenheitsanträge gegen zwei Vertreter der Bundesanwaltschaft, einen Antrag auf Aufzeichnung der Hauptverhandlung, einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens und weitere Anträge.

Der Ton ist rauer geworden an diesem Morgen im Saal 101 des Oberlandesgerichts München. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ist sichtlich bemüht, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen und manche Dinge auch mal formlos zu klären. Die Verteidigung von Beate Zschäpe aber macht es ihm nicht leicht. Die Scharmützel vom Vortag gehen weiter.

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Edith Lunnebach, Anwältin eines Nebenklägers, möchte etwas sagen. Verteidiger Wolfgang Heer missfällt das. Er beantragt, ihm zuerst das Wort zu erteilen. Götzl will wissen, weswegen. Heer ziert sich. Lunnebach sagt aus der Tiefe des Saals irgendetwas Unverständliches. „Ich rede und niemand sonst“, sagt Heer. Gelächter im Saal. Heer möchte nicht, dass gelacht wird. Schon gar nicht, wenn er spricht. Mehr Gelächter. Sein Kollege, Wolfgang Stahl, springt ihm erst zur Seite und dann von seinem Stuhl auf. „Der ganze Gerichtssaal lacht! Das kann doch wohl nicht sein!“, ruft er und verlässt den Saal. Götzl möge doch bitte die Prozessbeteiligten „zur Sachlichkeit“ ermahnen, fordert Heer wiederholt und mit Verve – auch als längst niemand mehr lacht. Irgendwann wird auch Götzls Ton eine Nuance schärfer. „Wofür die ganze Aufregung gut sein soll, kann ich nicht nachvollziehen“, sagt er. Götzl fordert „Kooperation“ und „guten Willen“. Auch von der Verteidigung.

Verteidigerin Nicole Schneiders fordert die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten Ralf W. und alle anderen Angeklagten. Ein fairer Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten W., André E., Holger G. und Carsten S. sei vor „keinem deutschen Gericht“ mehr möglich. Sie begründet dies unter anderem mit der „medialen Vorverurteilung“. Ein Opferanwalt wirft ihr „Stimmungsmache“ vor. „Heiße Luft und mehr nicht“, sagt ein anderer. Anträge der Verteidigung, in diesem Fall von Ralf W., als „heiße Luft“ zu bezeichnen, sei „unmöglich“, entgegnet Zschäpes Anwältin Anja Sturm.

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Am späten Nachmittag spricht sich die Mehrzahl, mutmaßlich alle, Nebenklagevertreter vehement gegen die Überlegung Götzls vom Vortag aus, das Verfahrens um den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße von 2004 vom aktuellen Prozess abzutrennen. Bei dem Anschlagen waren Dutzende Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Jener Anschlag sei nicht von den restlichen Vorwürfen gegen Zschäpe und die weiteren Angeklagten zu trennen. Der Bombenanschlag sei in den Worten eines der Opferanwälte als „Bekenntnis“ des NSU „zu einem rassistisch motivierten Massenmord“ verstehen. Eine Abtrennung käme einem Erfolg für den NSU gleich. „Es wäre eine Kapitulation vor solchen Massenverbrechen“, sagt ein dritter Opferanwalt. Bis zum frühen Abend hat das Gericht über keinen der Anträge entschieden.

Unterdessen wurde das Murren unter den Journalisten über die Arbeitsbedingungen lauter. Im abgesperrten Bereich, den die Medienvertreter in den Pausen nicht verlassen können, ohne ihren Platz zu verlieren, dürfen sie nur Wasser konsumieren, Brötchen und Schokoriegel kaufen. Äpfel, Plastikflaschen, selbst Wurstsemmel wurden von Sicherheitsbeamten konfisziert. Wer sitzen will, nimmt auf kalten Fliesen Platz. Es ist ein begehrtes Fotomotiv an diesem Tag.


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