Was bedeutet der Rechtsruck in Europa für den Wähler?


Im neuen EU-Parlament werden mehr Rechtspopulisten und Neonazis sitzen als zuvor. Welche Folgen hat ihr Erstarken – gibt es nun einen Politikwechsel in Straßburg und Brüssel?
Eine Analyse von Jan Rübel
 
Udo Voigt sitzt auf gepacktem Koffer. Aufgeregt? „Ja klar“, sagt er im Gespräch mit Yahoo Nachrichten, „das ist ein ganz tolles Gefühl“. Seit Jahrzehnten kennt man den ehemaligen Vorsitzenden der rechtsextremen NPD als isolierten und aussichtslosen Politiker. Udo Voigt, ein Neonazi alter Schule, blieben bisher höhere parlamentarische Weihen verwehrt; nur in die Bezirksversammlung Treptow-Köpenicks schaffte er es. Das wird nun anders. Das 62-jährige Aushängeschild der deutschen Rechtsextremisten wird ausgerechnet im Ausland Abgeordneter, nämlich als Mitglied im neuen Europa-Parlament, samt Büros und Mitarbeitern in Straßburg und in Brüssel. Der Wegfall der Sperrklausel ermöglicht es der NPD, mit 1,0 Prozent der abgegebenen Stimmen den Ex-Hauptmann der Bundeswehr dorthin zu schicken.

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In vielen Ländern der EU haben populistische und rechte Parteien Zulauf erhalten. Dabei ist das Spektrum sehr groß. Voigt und die NPD sitzen am rechten äußersten Rand. Es gibt aber an diesem Rand auch ganz andere Gruppen, zum Beispiel pure Europakritiker oder Islamkritiker. Manche sind offen antisemitisch, andere schwärmen für Israel. Werden sich nun Teile dieser Kräfte vereinen?

Dass man sich zerstreitet, ist eine Frage der Zeit

Zunächst wird sich die Frage stellen, ob die Vertreter von rechts einen Fraktionsstatus erhalten. Das würde ihnen mehr Redezeit verschaffen, mehr Rechte im Parlamentsapparat. Zwar reichte die Zahl der Abgeordneten theoretisch dafür aus, allein der rechtsextreme „Front National“ aus Frankreich verfügt über 22 der dafür notwendigen 25 Mandate. Aber es müssen auch Vertreter aus sieben verschiedenen europäischen Ländern sein – und da fangen die Schwierigkeiten für die notorisch untereinander zerstrittenen Parteien an.

Gemäßigte Rechtspopulisten wie die deutsche AfD oder die britische UKIP haben bereits abgewunken. FN-Chefin Marine Le Pen benötigt nach ersten Schätzungen noch zwei Ländervertreter. Wird sich die NPD ins Spiel bringen? „Es kommt drauf an, ob das siebte Land fehlt“, sagt Voigt. Und schiebt viel sagend hinterher: „Nach der Wahl ist immer alles anders.“ Und hofft ungesagt, dass Rechtspopulisten wie Le Pen oder Geert Wilders aus den Niederlanden mit ihm – dem eigentlich auch in diesen Kreisen Geschmähten – an einen Tisch setzen werden. Grundsätzlich schließe er Gespräche mit niemandem aus, aber man sei noch in der Phase informeller Gespräche. Das klingt schon alles nach einem versteckten Flirtversuch mit Le Pen.

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Doch insgesamt werden die direkten Folgen für den Wähler daheim sehr gering ausfallen. Selbst wenn es zur Bildung einer rechten Fraktion im Parlament kommt, hätte sie eine überwältigende Mehrheit aus Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten, Linken und Grünen gegen sich. Und überhaupt: Noch ist das Europaparlament sehr schwach, Gesetzgebungsinitiativen verpuffen in der Regel.

Indirekt könnten Rechtspopulisten Einfluss nehmen

Allerdings könnte der Erfolg der Rechten dazu führen, dass an einigen Stellschrauben gedreht wird. Die Wirtschaftspolitik zum Beispiel setzt bisher den Fokus auf Finanzstabilität. Während Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande nun nach dem Desaster seiner Sozialisten von Steuerreduzierungen für ärmere Schichten spricht, wäre das nur ein erster kleiner Schritt. Denn Hollandes Berater suchen nach Möglichkeiten zur Besänftigung der Wähler des FN. Weitere Schritte könnten indes sein, das Augenmerk weg von Stabilität und hin zu Wachstumsprogrammen zu lenken.

Auch die EU-Flüchtlingspolitik könnte von der Kommission und einzelnen Mitgliedsländern neu unter die Lupe genommen werden. Bei all den rechten Parteien ist Fremdenfeindlichkeit mehr oder weniger deutlich Programm. Zwar verfährt Europa mit Flüchtlingen sehr rigide, aber Forderungen - wie die nach mehr Bewegungsfreiraum oder nach Arbeitsrechten für Flüchtlinge - werden künftig wohl noch schwerer durchzusetzen sein. Oft reagieren die Regierenden auf das Erstarken von Gegnern, wie jetzt den Rechtspopulisten, indem sie hier und da Zugeständnisse machen oder Parolen übernehmen.

Die Ökonomen jedenfalls geben Entwarnung: Die Wirtschafts- und Finanzwelt zeigt sich unbeeindruckt vom Rechtsruck in Europa. Überhaupt zeigt ein Blick in die Geschichte des EU-Parlaments: Populisten, Rassisten und Neonazis gab es dort schon immer. 1979 zogen italiensche Neofaschisten ebenso ein wie dänische Rechtspopulisten, später folgten der FN und die deutschen Republikaner. Doch die Rechten haben ein Problem. Je mehr Ressentiments man gegen Andere schürt, desto weniger Freunde hat man. Bisher haben sich die Gruppen im EU-Parlament früher oder später zerstritten, fühlten sich jeweils beleidigt oder in ihrer Würde gekränkt – da beißt sich bei Rechten die Katze in den eigenen Schwanz.

Udo Voigt jedenfalls plant seine Zukunft als Parlamentarier. „Wir sind schon vor drei Wochen von Vertretern der ‚British National Party’ in die EU-Parlamentsarbeit eingewiesen worden.“ Nun wird er sich nach möglichen Partnern umsehen. Auch die Gruppe der fraktionslosen Abgeordneten komme in Betracht, „da könnte man eine Untergruppe bilden, wenn die Weltanschauung passt“. Seine ersten politischen Ziele bei der Parlamentsarbeit? Gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA wolle er protestieren, und: „Wir werden versuchen, eine breite Front gegen die Überfremdung Europas zu schmieden. Das ist zwischen den verschiedenen Gruppen auch der kleinste gemeinsame Nenner.“ Womit man wieder bei der Katze und ihrem eigenen Schwanz wäre.

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