Dicker Kater nach dem Rausch
Am Ende musste es mal wieder Malaika Mihambo richten.
Die dreimalige Sportlerin des Jahres setzte am letzten Tag der Leichtathletik-EM im zweiten Versuch eine phänomenale Weite von 7,22 Meter in die Weitsprunggrube und dürfte für ein kollektives Aufatmen beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) gesorgt haben.
Komplett ohne Titelgewinn bei einer Europameisterschaft zu bleiben, hätte den DLV noch mehr in Bedrängnis gebracht, als er ohnehin schon ist. Einmal Gold, dreimal Silber und siebenmal Bronze lautet die ernüchternde Bilanz der sechs Tage von Rom.
Im Medaillenspiegel bedeutet das Rang 12 - weit abgeschlagen hinter der Schweiz, die zwar nur ein Zehntel der deutschen Einwohnerzahl aufweist, aber mit vier EM-Siegen einen historischen Erfolg feierte.
Wenn es bei der EM in München vor zwei Jahren einen Medaillenrausch gab (7 x Gold, 7 x Silber, 2 x Bronze) dann hat das deutsche Team in Rom - um im Bild zu bleiben - am Ende einen dicken Kater.
Da erscheint es befremdlich, dass Sportvorstand Jörg Bügner am Donnerstag vom Rückenwind für das deutsche Team Richtung Olympia sprach - ausgelöst durch den letzten EM-Tag. Bereits zwei Tage zuvor hatte der DLV-Chef eine „kleine Trendumkehr“ im Vergleich zur WM in Budapest gesehen, in der die deutschen Athleten bekanntlich keine einzige Medaille gewonnen hatten.
Einige Lichtblicke
In der ungarischen Hauptstadt fehlte jedoch die damals verletzte Mihambo - und im Weltmaßstab hängen die Trauben deutlich höher. Ein Aufwärtstrend ist also (zumindest noch) nicht zu erkennen.
Dabei soll nicht verhehlt werden, dass es in Rom durchaus einige positive Überraschungen gab, wie die Hindernisläufer Karl Bebendorf und Frederik Ruppert, Stabhochspringer Oleg Zernikel, Hammerwerfer Merlin Hummel oder 800-Meter-Läuferin Majtie Kolberg.
Dennoch haben bei den Olympischen Spielen in Paris, da dürfen wir uns nichts vormachen, nicht viel mehr als eine Handvoll Athleten echte Medaillenchancen. Das sind neben Mihambo und Speerwerfer Julian Weber, der am letzten Tag in Rom im letzten Versuch noch auf Platz 2 verdrängt wurde, noch Hindernisläuferin Gesa Krause, Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye - und allen voran Zehnkämpfer Leo Neugebauer.
Der Shootingstar der deutschen Leichtathletik ist neben Mihambo das größte Zugpferd des DLV - auch wenn dem Verband Neugebauers damaliger Wechsel in die USA sichtlich missfiel. Im Collegesport blühte der heute 23-Jährige aber dermaßen auf, dass ihm sogar der Olympiatitel zuzutrauen ist. Ob ihm das auch unter der Obhut des DLV gelungen wäre, darf zumindest bezweifelt werden.
Bügners schwere Aufgabe
Dass Bügner, der erst seit einem guten Jahr im Amt ist, die verkrusteten Strukturen des DLV nicht im Handumdrehen aufbrechen kann, ist klar - allerdings sind längst nicht alle Weichen auf die vor einem Jahr versprochene Rückkehr in die Weltspitze im Jahr 2028 gestellt worden.
Wie man sich eindrucksvoll aus der Versenkung zurückmelden kann, haben die Italiener gerade bei ihrer Heim-EM bewiesen. Mit elf Gold-, neun Silber- und vier Bronzemedaillen setzten sie die Maßstäbe und deklassierten die anderen Nationen um Längen.
Bügner verwies ausschließlich auf den Heimvorteil der Gastgeber, der mit Sicherheit auch eine Rolle spielte - doch bei weitem nicht der einzige Grund für die Medaillenflut war. Fragen nach den möglichen strukturellen Gründen des Italien-Hochs ließ der DLV-Boss dagegen unbeantwortet.
Es ist zwar richtig, dass das föderale System in Deutschland große Herausforderungen im Hochleistungssport mit sich bringt. Dennoch gibt es Themen, die jenseits dieser Debatte angegangen werden müssen - vor allem in Sachen Trainerausbildung und Spitzensportförderung.
Kürzlich erklärte Mihambo im SPORT1-Interview, dass sie überrascht war, wie sie vor einigen Jahren nach einem verletzungsbedingten Ausfall an ihre finanziellen Grenzen kam.
Dass sie es dennoch bis ganz nach oben schaffte, darf sich die 30-Jährige selbst auf ihre Fahne schreiben - und bildet eine große Ausnahme.