Die größte Katastrophe seit Jahrhunderten: Tsunami in Europa?

Die über 16 000 Menschen in Japan, die 2011 von derselben Riesenwelle getroffen wurden, die die Katastrophe von Fukushima auslöste, hatten keine Chance. (Bild: ddp)
Die über 16 000 Menschen in Japan, die 2011 von derselben Riesenwelle getroffen wurden, die die Katastrophe von Fukushima auslöste, hatten keine Chance. (Bild: ddp)

Den Tsunami, der 2004 im Indischen Ozean entstand und 230.000 Menschen das Leben kostete, hatte niemand vorhergesehen. Dass eine ähnlich verheerende Katastrophe auch in Südeuropa jederzeit möglich ist, legt nun eine Dokumentation nahe.

Die Dokumentation „La Gran Ola“ ist nichts für schwache Nerven. Darin kommen 40 Wissenschaftler zu Wort, die alle dieselbe These vertreten: Irgendwann wird es im Golf von Cádiz ein Erdbeben geben, das eine riesige Flutwelle auslösen wird. Denn das bei Touristen beliebte Urlaubsgebiet zwischen Spanien und Portugal liegt genau auf einer tektonischen Zone, die derart gewaltig ist, dass sie die größte Katastrophe seit Jahrhunderten auslösen könnte.

Und niemand ist darauf vorbereitet, wie der Regisseur Fernando Arroyo gegenüber der Zeitung „El Pais“ sagte: „Tagelang wird man große Bereiche nicht evakuieren können. Es wird weder Strom, noch Kommunikationsmöglichkeiten, noch Wasser geben.“ Die Küstenregion würde komplett zerstört, zehntausende Menschen von dem Tsunami getroffen. Vom wirtschaftlichen Schaden noch gar nicht gesprochen.

Wissenschaftler sind sich einig: Es ist nur eine Frage der Zeit

“Die Frage ist nicht, ob die Welle kommen wird, sondern wann”, ist sich Begona Perez, Leiter der ozeanographischen Abteilung der spanischen Häfen, sicher. Wie apokalyptisch das enden kann, weiß man aus dem Jahr 1755. Etwa 70.000 Menschen starben, als am 1. November drei Erdbeben Lissabon samt Umgebung erschütterten. Brücken, Paläste und Kirchen fielen in sich zusammen, der aufsteigende Staub versetzte die Stadt zuerst in Dunkelheit, bevor sie dann lichterloh in Flammen stand. Der durch die Beben ausgelöste Tsunami mit Wellen von 15 Metern Höhe überflutete den Hafenbezirk Lissabons, Menschen in ganz Europa und sogar in Teilen Afrikas konnten die gewaltige Erschütterung spüren.

Lesen Sie auch: Diese Asteroiden kommen uns gefährlich nahe!

Ein Szenario, das heute genauso wieder geschehen könnte. „Im Golf von Cádiz könnten mehrere Verwerfungen jederzeit ein Erdbeben auslösen“, sagt auch Luis Matias, der am Dom Luiz Institut in Portugal seismische und tektonische Risiken untersucht, in der Dokumentation. Wie seinen Kollegen macht ihm vor allem eines Angst: Die Tatsache, dass es in der Risikozone kein Frühwarnsystem gibt.

Wie funktionieren Frühwarnsysteme?

In neun von zehn Fällen lösen Erdbeben unter dem Meeresboden einen Tsunami aus. Und dann kann es schnell gehen, bis die Riesenwelle aufs Land trifft. 2004 vergingen vom Beben der Stärke 9,1 nur 20 Minuten, bis die gigantische Flutwelle die indonesische Insel Sumatra erreicht hatte. Die Maxime bis heute: Da sich die Menschen dort aus einem Küstenstreifen von zwei Kilometern Breite retten müssen, sollten vom Beginn des Bebens bis zum Alarm höchstens fünf Minuten vergehen. Ein System, dass das schafft, ist das German Indonesian Tsunami Early Warning System (Gitews), das nach dem Tsunami unter Mitarbeit des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) Potsdam entwickelt wurde.

Lesen Sie auch: So gefährlich sind Supervulkane

Heute melden entlang der Küste der Inseln Sumatra und Java installierte GPS-Stationen, sobald sich der Meeresboden unter ihnen hebt oder senkt. Die Meeresforscher haben den Boden des Ozeans im Hinblick auf Unterwasserberge und Inselketten, die die Richtung eines Tsunamis umlenken könnten, genau kartiert. Mit diesen Daten hat das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven tausende Computermodelle erstellt, mittels derer sich der potenzielle Weg eines Tsunamis bis zur Küste berechnen lässt.

Ein Seismologe zeigt am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam auf eine seismographische Darstellung eines Erdbebens vor der Küste Sumatras. (Bild: ddp)
Ein Seismologe zeigt am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam auf eine seismographische Darstellung eines Erdbebens vor der Küste Sumatras. (Bild: ddp)

Dadurch sind Rückschlüsse etwa auf die Höhe der Wellen oder den genauen Aufschlagsort möglich, die den Katastrophenschützern vor Ort wichtige Informationen an die Hand geben. So können sie besser einschätzen, wohin die Menschen flüchten sollen und wie viel Zeit ihnen dafür bleibt.

Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben

Das als Sumatra-Andemen bezeichnete Erdbeben von 2004 gehört zu den fünf stärksten Beben, die jemals gemessen wurden. Neben den menschlichen Verlusten entstand ein wirtschaftlicher Schaden von 14 Millionen US-Dollar. Wie viele Menschenleben ein Frühwarnsystem damals hätte retten können, lässt sich unmöglich sagen. Und auch heute ist es noch so, dass die Zeit unter Umständen zwar noch ausreicht, um die Menschen zu warnen – aber nicht mehr, um sie auch in Sicherheit zu bringen.

2010 löste ein Erdbeben vor den Mentawi-Inseln in der Nähe Sumatras einen Tsunami aus, der schon wenige Minuten später die Küste erreichte und 20 Dörfer komplett zerstörte. Die 500 Todesopfer hatten keine Chance.

Sehen Sie auch: Surfer nach 32 Stunden aus dem Wasser gerettet