Die Macht der Worte im Schatten der Gewalt

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Wieder eine Gewalttat, diesmal ein Anschlag in Ansbach: Besonnenheit sollte zur ersten Bürgerpflicht werden – und bei den Politikern anfangen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wenn eine Gewalttat den Alltag erschüttert, bleibt erstmal Sprachlosigkeit, immerhin ist kein Ort in Deutschland wie Tel Aviv, wo die Menschen gezwungenermaßen damit lernen müssen, mit der Gefahr von Anschlägen zu leben. Den einen gelingt dies dort gut, anderen weniger.

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Deutschland wird nicht Tel Aviv, aber gerade erlebt das Land ein Phänomen, das Polizisten fürchten: Nachahmungstaten im Schatten Gewaltattacken wie einem Axtangriff in Würzburg oder des Amoklaufs in München. Und damit muss es klar kommen.

Noch ist wenig über den Mann bekannt, der sich am Sonntagabend nun in Ansbach in die Luft sprengte, sich selbst dabei tötete und andere verletzte, einige schwer: Ein Asylbewerber aus Syrien, straffällig geworden, Antrag abgelehnt, zwei Suizidversuche, Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik.

Asyl sagt garnix

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Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ist in diesen Tagen besonders gefordert, und er strahlte bisher eine Ruhe aus, die gut tat. Doch zu Ansbach scheint erstmals, als habe er in der Nacht seine nötige Besonnenheit noch nicht gehabt. Herrmann sagte, er sei entsetzt, dass der Asylschutz missbraucht werde. „Das ist ungeheuerlich”, dass jemand menschenverachtend Asylrecht missbraucht. Es müsse alles unternommen werden, dass derartiges Verhalten nicht weiter um sich greife.

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Aha. Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, sollten noch einmal daran erinnert werden, dass sie, bittschön, doch keine Bomben legen, sozusagen neben der Ermahnung immer in Hosen auf die Straße zu gehen und Postkarten ausreichend zu frankieren?

Ungeheuerlich ist die Tat eines MENSCHEN, die andere MENSCHEN ins Leiden zieht. In der Bewertung eines solchen grausamen Aktes ist es egal, woher jemand kommt. Entsetzlich ist nicht der Missbrauch von Asylschutz, entsetzlich ist solch eine Tat. Herrmann treibt mit seinen Worten einen Keil, er teilt in WIR und DIE DA. Das sollte er unterlassen. Oder sprach er ähnlich über den Amokläufer vom vergangenen Freitag? Wie würde er urteilen über den Unglückspiloten der German-Wings-Maschine, der so viele Menschen mit sich in den Tod riss? Gegen welches Gesetz hatte der wohl verstoßen?

Herrmann hat in dieser Zeit ein großes Vorbild. Markus Söder ist ein Meister des Dampfplauderns, der schnellen unbedachten Sprüche über Twitter. Doch der Christsoziale schweigt derzeit. Das tut gut. Anders natürlich André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt, der Krawall-AfDler setzt seinen verbalen Amoklauf munter fort: „Geht der Terror weiter?“, tweetete er. Schon komisch, dass er dahinter kein Smiley setzte.

Spielte Religion eine Rolle?

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Über die Tat von Ansbach lässt sich zusammenfassen: Ob dies ein Anschlag oder ein Amoklauf war, wird die Polizei analysieren. Jedenfalls merken wir, dass Wahnsinn kein westeuropäisches Privileg ist. Der Mann wollte in den Tod. Womöglich hat ihm da einer geholfen: Herrmann sprach von einem möglichen islamistischen Hintergrund. Was ihn zu dieser Äußerung führte, verdeutlichte er nicht. Sollte dies stimmen, sagt es uns, wer da die Bedrohung des Abendlandes darstellt: Menschen, die offensichtlich so große Probleme mit sich selbst haben, dass sie nicht mehr leben wollen; aber nicht allein abtreten. Sollte in Ansbach Religion eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel die Ideologie oder gar praktische Hilfe des Terrorpatennetzwerks „Islamischer Staat“ (IS), so wird sich der Selbstmordattentäter in seinem Wahn eingeredet haben, mit solcher Tat werde er in den Himmel kommen. Das ist so verzweifelt wie billig.

Besonnenheit ist jetzt erste Bürgerpflicht. Politische Debatten wie über den Einsatz der Bundeswehr im Land sind überflüssig. Soldaten hätten den Anschlag in Ansbach auch nicht verhindert. Ruhe bewahren gilt auch gegenüber Menschen mit psychischen Problemen. Der kritische Blick sollte ebenso wenig jetzt auf sie fallen wie auf Menschen, die einen Asylantrag stellen. Nicht jeder, der sich in Behandlung begibt, ist ein möglicher Amokläufer.

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Deutschland muss zur Ruhe kommen, unabhängig von Anschlägen. Seine innere Mitte wiederfinden. Das geht durch Muße und Demut. Durch Bescheidenheit und empathischen Blick auf andere. Jedenfalls nicht durch Abgrenzung.

Bilder: dpa

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