Erdbebengebiete: Zahl der Toten steigt weiterhin

Fünf Tage nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien steigt die Zahl der Todesopfer und Verletzten unaufhörlich weiter.

Zwölf Festnahmen nach Einsturz tausender Gebäude in der Türkei

Nach dem Einsturz Tausender Gebäude in den türkischen Erdbebengebieten hat die Polizei rund zwölf mutmaßliche Verantwortliche festgenommen. Zu den am Samstag Festgenommenen zählten mehrere Bauunternehmer aus den Provinzen Gaziantep und Sanliurfa, wie die türkische Nachrichtenagentur DHA berichtete. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu erließ der Staatsanwalt der ebenfalls von dem Beben betroffenen Provinz Diyarbakir am Samstag 29 weitere Haftbefehle. In weiteren Provinzen wurden Ermittlungen eingeleitet.

Bei dem verheerenden Erdbeben am frühen Montagmorgen im türkisch-syrischen Grenzgebiet kamen nach jüngsten Angaben knapp 25.900 Menschen ums Leben, darunter allein über 22.300 in der Türkei.

Viele Menschen machen die schlechte Bauqualität für den Einsturz von Tausenden Gebäuden in den türkischen Provinzen verantwortlich. Das türkische Justizministerium wies die Staatsanwaltschaft in den zehn betroffenen Provinzen an, spezielle Ämter zur Untersuchung von "Vergehen in Verbindung mit dem Erdbeben" einzurichten.

Militärschutz für Hilfsteams

Das österreichische Militär setzt seine Rettungsarbeiten nach dem Erdbeben in der Türkei nach einer Unterbrechung nun mit türkischem Militärschutz fort. Die türkische Armee habe den Schutz der Soldatinnen und Soldaten der Katastrophenhilfseinheit übernommen, twitterte der Sprecher des österreichischen Bundesheers am Samstagnachmittag. Österreich ist seit Dienstag mit 82 Militärangehörigen in der türkischen Provinz Hatay im Einsatz.

Oberstleutnant Pierre Kugelweis hatte der Nachrichtenagentur APA am Samstagmorgen gesagt, die Suche nach Überlebenden sei wegen Sicherheitsrisiken unterbrochen worden. «Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein», sagte Kugelweis. «Wir würden gerne weiterhelfen, aber die Umstände sind, wie sie sind.»

Zahl der bestätigten Toten bei 25.000

Die Zahl der bestätigten Toten überschritt derweil die Schwelle von 25.000. Die Trauer ist groß. Auch in Berlin gedachten Menschen der vielen Opfer.

Die Überlebenschancen sind am Tag fünf nach der Naturkatastrophe verschwindend gering. Normalerweise kann ein Mensch höchstens 72 Stunden ohne Wasser auskommen. Hinzu kommen die kühlen Temperaturen. Vereinzelt gab es am Samstag aber noch Wunder-Meldungen.

Die Überlebenschancen sind am Tag fünf nach der Naturkatastrophe verschwindend gering (Bild: dpa)
Die Überlebenschancen sind am Tag fünf nach der Naturkatastrophe verschwindend gering (Bild: dpa)

Den Rettern bereitet nun ein anderer Aspekt Bedenken: Ist die Sicherheit der Helfer noch gewährleistet? «Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein», sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer der Nachrichtenagentur APA.

Trauer weicht der Wut

I.S.A.R-Einsatzleiter Steven Bayer sagte: «Es ist festzustellen, dass die Trauer langsam der Wut weicht.» Tamara Schwarz, Sprecherin der THW-Zentrale in Bonn, sprach von «tumultartigen Szenen». Der Schutz der Ehrenamtlichen stehe jetzt im Vordergrund. Die Teams blieben aber weiter vor Ort. THW und I.S.A.R teilte weiter mit: «Grund dafür scheinen unter anderem die Verknappung von Lebensmitteln und die schwierige Wasserversorgung im Erdbebengebiet.»

Deutsche Retter unterbrechen Erdbebenhilfe wegen Sicherheitsrisiken

Das Technische Hilfswerk (THW) und die Hilfsorganisation I.S.A.R Germany unterbrechen wegen Sicherheitsbedenken ihre Rettungsarbeiten im Erdbebengebiet in der Türkei. In den vergangenen Stunden habe sich nach verschiedenen Informationen die Sicherheitslage in der Region Hatay geändert, teilten die Organisationen am Samstag mit. Such- und Rettungsteams blieben vorerst im gemeinsamen Basislager in der Stadt Kirikhan. Wenn es einen konkreten Hinweis gebe, dass man jemand lebend retten könne, werde man aber dennoch hinausfahren, sagte die THW-Sprecherin Katharina Garrecht vor Ort der Deutschen Presse-Agentur.

THW und I.S.A.R teilte weiter mit: «Grund dafür scheinen unter anderem die Verknappung von Lebensmitteln und die schwierige Wasserversorgung im Erdbebengebiet.»

I.S.A.R-Einsatzleiter Steven Bayer sagte: «Es ist festzustellen, dass die Trauer langsam der Wut weicht.» Tamara Schwarz, Sprecherin der THW-Zentrale in Bonn, sprach von «tumultartigen Szenen». Der Schutz der Ehrenamtlichen stehe jetzt im Vordergrund. Die Teams blieben aber weiter vor Ort.

Auch österreichische Retter betroffen

Zuvor hatten Soldatinnen und Soldaten einer Katastrophenhilfseinheit des österreichischen Militärs ihre Rettungsarbeiten in der Provinz Hatay eingestellt. «Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein», sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer der Nachrichtenagentur APA. Auch die österreichischen Retter bleiben aber vor Ort und stehen für weitere Einsätze bereit.

«Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein», sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer der Nachrichtenagentur APA am Samstag. «Der erwartbare Erfolg einer Lebendrettung steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem Sicherheitsrisiko.»

Die 82 Soldatinnen und Soldaten der Katastrophenhilfseinheit seien seit Dienstag in der türkischen Provinz Hatay. Sie blieben auch vor Ort und stünden für weitere Einsätze bereit. «Es gab keinen Angriff auf uns Österreicher. Es geht uns allen gut», sagte Kugelweis. «Wir würden gerne weiterhelfen, aber die Umstände sind, wie sie sind.»

Anadolu: Baby nach 128 Stunden aus Trümmern gerettet

In der osttürkischen Provinz Hatay wurde laut einem Medienbericht ein zwei Monate altes Baby lebend aus Trümmern geborgen. Der Säugling in der Mittelmeer-Gemeinde İskenderun sei 128 Stunden lang unter Schutt begraben gewesen, bevor er herausgezogen und in ein Krankenhaus gebracht wurde, berichtete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Samstag.

Chef der Weltgesundheitsorganisation in Aleppo angekommen

Nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, in Syrien eingetroffen. Er landete Samstagmittag am Flughafen der besonders schwer getroffenen Stadt Aleppo, wie die Staatsagentur Sana meldete. Demnach will er nun Krankenhäuser und Notunterkünfte besuchen, um sich ein Bild der Lage zu machen. Er habe zudem 35 Tonnen medizinischer Ausrüstung für die Erdbebenopfer mitgebracht. Ein weiteres Flugzeug mit medizinischem Gut soll demnach innerhalb der nächsten zwei Tage im Land eintreffen.

Aleppo liegt im Nordwesten Syriens und wird von der Regierung in Damaskus kontrolliert. Ob Tedros auch Rebellen-Gebiete besucht, war zunächst unklar. Die in den Rebellen-Regionen aktive Rettungsorganisation Weißhelme hatte sich bitter über mangelnde UN-Hilfe nach dem Erbeben beklagt.

Die WHO schätzt, dass alleine in Aleppo mehr als 200 000 Menschen nach den Erdbeben obdachlos geworden sind. Auch mehrere Krankenhäuser und medizinische Ausrüstung seien von Schäden betroffen. Das Gesundheitssystem des Bürgerkriegslandes sei ohnehin an der Belastungsgrenze.

Die aktuelle Newslage:

"Deutschland trauert"

«Deutschland trauert mit den Menschen in Türkiye», schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in das Kondolenzbuch in der türkischen Botschaft in Berlin, wie er über Twitter mitteilte. «Wir werden jede mögliche Unterstützung leisten, um in diesen schweren Stunden zu helfen.»

Nach Angaben des türkischen Vize-Präsidenten Fuat Oktay sind inzwischen mehr als eine Million Menschen in Behelfsunterkünften untergebracht. Rund 160.000 Such- und Rettungskräfte seien im Einsatz, teilte die Katastrophenschutzbehörde Afad mit. Aus dem Ausland seien mehr als 7700 Helfer ins Erdbebengebiet geschickt worden.

Verschüttete in Syrien nach über vier Tagen aus Trümmern gerettet

Retter in Syrien haben mehrere Tage nach dem verheerenden Erdbeben zwei Menschen in der Küstenstadt Dschabla aus einem eingestürzten Wohnhaus befreit. Mutter und Sohn seien nach ihrer Rettung am Freitagabend in ein Krankenhaus gekommen, meldete die Staatsagentur Sana. Beide erlitten demnach mehrere Knochenbrüche. Ihr gesundheitlicher Zustand sei ansonsten aber stabil.

Auch Tage nach der Katastrophe bergen Rettungskräfte noch immer vereinzelt Überlebende (Bild: Svet Jacqueline/ZUMA Press Wire/dpa)
Auch Tage nach der Katastrophe bergen Rettungskräfte noch immer vereinzelt Überlebende (Bild: Svet Jacqueline/ZUMA Press Wire/dpa)

Laut Medien ist die Mutter 60 und ihr Sohn 22 Jahre alt. Die Helfer sollen den Berichten zufolge auch die 24 Jahre alte Tochter der Frau aus den Trümmern gerettet haben.

Ebenso wurde ein neunjährige Junge aus den Trümmern geborgen. Er sei in Kahramanmaraş rund 120 Stunden in einem eingestürzten Haus eingeschlossen gewesen, teilte die israelische Armee am Samstag mit. Er sei nach seinem Vater und seiner 14-jährigen Schwester das dritte Mitglied einer Familie, das von dem israelischen Team geborgen worden sei. Seine Mutter sei dagegen tot aufgefunden worden.

Özdemir für schnelle Visa-Erleichterungen

Bundesagrarminister Cem Özdemir sprach sich für rasche Einreise-Erleichterungen aus, damit Betroffene des Erdbebens zu Angehörigen nach Deutschland kommen können. «Viele Menschen in Deutschland haben Verwandte in der Katastrophenregion und sorgen sich verzweifelt um sie», sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundesregierung hatte eine «pragmatische Lösung» bei der Visa-Vergabe an Überlebende der Erdbebenkatastrophe in Aussicht gestellt.

Cem Ozdemir (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Cem Ozdemir (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte am Freitag an, vom Erdbeben betroffenen Menschen mit Verwandten in der Hauptstadt die Einreise nach Deutschland zu erleichtern. Sie sollen schneller als sonst das nötige Visum erhalten können. Dazu erließ die Berliner Senatsinnenverwaltung eine sogenannte Globalzustimmung, die sonst erforderliche Beteiligung des Berliner Landesamts für Einwanderung entfällt. Auf den Nachweis von Deutschkenntnissen werde verzichtet, hieß es. Die Regelung betreffe nahe Angehörige wie minderjährige Kinder sowie Ehepartner und -partnerinnen. Die Beschleunigung der Visa-Erteilung gilt demnach bis zum 31. Juli 2023.

Nothilfekoordinator: Alltagsversorgung im Erdbeben-Gebiet ist wichtig

Der Arbeiter-Samariter-Bund mahnt auch die Alltagsversorgung der Menschen zu organisieren - neben der Soforthilfe. «Die Leute haben immer noch Husten, Schnupfen, Heiserkeit, haben immer noch chronische Erkrankungen», sagte der Nothilfekoordinator für die Auslandshilfe der Hilfsorganisation, Axel Schmidt, am Samstag im Deutschlandfunk. «In dem Fall kommen auch wir ins Spiel mit Primärversorgung, Trinkwasseraufbereitung.»

Nach Angaben Schmidts muss etwa eine medizinische Versorgung der Betroffenen auch dann sichergestellt werden, wenn sie mobile Krankenhäuser verlassen haben. «Die Wunden müssen versorgt werden. Es reicht nicht, wenn der Verband einmal drauf ist, sondern der Verband muss gewechselt werden.» Die Menschen lebten unter Umständen, «unter denen man nicht leben möchte - mit Minus-Temperaturen in der Nacht, mit keinem Dach über dem Kopf, mit nur einem Feuer, mit zu wenig

Unesco: Schwere Schäden an Welterbestätten durch Erdbeben

Die UN-Kulturorganisation Unesco beklagt schwere Schäden an Kulturstätten durch das verheerende Erdbeben. «Uns wurde bislang von schweren Schäden in der altertümlichen Stadt von Aleppo berichtet», teilte die Unesco der dpa mit. Die Zitadelle aus dem 13. Jahrhundert sei beschädigt worden, genauso wie der historische Souk. Man sei sehr besorgt über die Situation. Das syrische Aleppo ist eine der ältesten Städte der Welt.

Symbolbild: Ammar Safarjalani/XinHua/dpa
Symbolbild: Ammar Safarjalani/XinHua/dpa

In der Türkei sind nach Angaben der Unesco mehrere Gebäude in der Stadt Diyarbakir eingestürzt, ein wichtiger Ort im römischen und im osmanischen Reich. Es werde wohl noch Tage oder Wochen dauern, bis die Unesco einen genauen Überblick über alle Schäden habe.

VIDEO: Assad kritisiert den Westen