"Ernährung ist heute eine wichtige Identitäts-Plattform"

Eva-Maria Endres beim Bühnen-Talk auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin. (Bild: Gero Breloer/Initiative Milch)
Eva-Maria Endres beim Bühnen-Talk auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin. (Bild: Gero Breloer/Initiative Milch)

Bewusster essen liegt im Trend. Wir beschäftigen uns immer stärker mit unseren Lebensmitteln, fragen uns: Aus welcher Region stammt dieses Obst oder jenes Gemüse? Welche Nährstoffe liefern sie uns? Und wie kann ich vielfältig und gesund genießen, ohne zu verzichten? Zu diesen Fragen forscht Eva-Maria Endres. Die Ökotrophologin beschäftigt sich mit aktuellen Food-Trends.

Wertvolle Tipps zur bewussten, nährstoffreichen Ernährung gab Endres beim Bühnen-Talk der Initiative Milch auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin. Im Interview erklärt sie, warum wohlüberlegtes Essen schon beim Einkaufen beginnt, wie saisonale und regionale Lebensmittel den Speiseplan bereichern und wie man für sich die beste Ernährungsweise findet.

Eine vielfältige und gleichzeitig bewusste Ernährung wird vielen Menschen immer wichtiger. Wie genau sieht eine solche Ernährung für Sie aus?

Eva-Maria Endres: Auch wenn es manchmal den Eindruck erweckt, Ernährungsempfehlungen würden sich ständig ändern - die Grundlagen einer gesunden Ernährung sind über viele Jahre gleich geblieben: Obst und Gemüse als Basis, gefolgt von verschiedenen Getreideprodukten, am besten Vollkorn, ergänzt durch pflanzliche Öle, Nüsse und Milchprodukte, Fleisch und Fisch in Maßen, ein- bis zweimal pro Woche. Diese Empfehlungen sind nicht nur für die meisten Menschen gesund, sondern decken sich auch mit einer nachhaltigen und klimabewussten Ernährung.

Wenn Sie drei Tipps haben, worauf es bei einer solchen Ernährung ankommt, welche wären dies?

Ernähren wir uns heute bewusster als noch vor ein paar Jahren?

Endres: Ja, das Bewusstsein für das Thema Ernährung steigt. Das zeigt sich auch immer wieder in Umfrageergebnissen und der Medienberichterstattung. Für die einen kann das so aussehen, dass Fleischliebhaber lernen möchten, wie man das perfekte Pulled Pork hinbekommt. Für die anderen, dass sich mehr Menschen für eine nachhaltige Ernährung interessieren. Egal in welcher Ausprägung, Ernährung ist heute eine wichtige Identitäts-Plattform. Du bist, was du isst.

Bewusste und gesunde Ernährung beginnt mit dem richtigen Einkauf. Wie können uns Einkaufslisten oder Wochenpläne dabei helfen?

Endres: Unser Ernährungsverhalten ist zu einem großen Anteil von Routinen bestimmt. Damit laufen viele Essentscheidungen unbewusst oder automatisch ab. Bei 80.000 verschiedenen Produkten in einem Supermarkt würden wir auch Stunden brauchen, wenn wir jedes Mal eine neue Entscheidung treffen müssten. Wenn wir nicht möchten, dass wir automatisch das essen, was am bequemsten, billigsten oder greifbarsten ist, müssen wir vorausplanen. Listen und Pläne können uns dabei helfen, bewusste Entscheidungen zu treffen und unsere Ernährung in die Hand zu nehmen.

Welche Lebensmittel haben gerade Saison und sind besonders nährstoffreich? Gibt es auch Evergreens, die die saisonalen Lebensmittel sinnvoll ergänzen können?

Endres: Ein tolles Wintergemüse ist Grünkohl. Er zählt zu den vitamin- und mineralstoffreichsten Gemüsesorten. Wobei alle Kohlsorten derzeit Saison haben und sehr gute Vitamin-C-Lieferanten sind. Verschiedene Wurzelgemüse sind derzeit auch verfügbar, weil sie gut gelagert werden können. Im Winter lohnt es sich aber auch, auf Tiefkühlgemüse zurückzugreifen. Das wird in der Sommer- und Frühjahrssaison frisch geerntet und eingefroren. So bleiben die Nährstoffe weitestgehend erhalten. Pilze sind auch ein Evergreen, da sie in Farmen gezüchtet werden und somit das ganze Jahr Saison haben. Besonders für Vegetarier und Veganer sind sie ein wichtiger Proteinlieferant. Auch Milch ist als regionales Produkt das ganze Jahr über verfügbar. Das Grundnahrungsmittel ergänzt die pflanzliche Basis und bereichert viele vegetarische Gerichte.

Auch die Herkunft der Produkte wird für viele immer wichtiger. Worauf kann ich bei der Lebensmittelauswahl achten, wenn mir die Herkunft wichtig ist?

Endres: Wer regionale Wertschöpfungsketten unterstützen möchte, sollte am besten beim Direkterzeuger aus der Region kaufen, die oft auf Wochenmärkten zu finden sind. Einige Bauernhöfe verkaufen ihre Produkte im eigenen Hofladen. Beim Einkauf im Supermarkt können Verpackungslabels wie das GU-Label (Geschützte Ursprungsbezeichnung), das Regionalfenster oder einfach das Herkunftsland helfen. Allerdings ist "regional" kein geschützter Begriff und kann weiträumig ausgelegt werden.

Wer sich heute mit einer bewussten und nährstoffreichen Ernährung beschäftigt, stößt auf viele Ernährungsweisen. Wie finde ich heraus, welche für mich die richtige ist?

Endres: Hippokrates hat schon gesagt: Für die richtige Ernährung finden wir kein Maß oder Gewicht, sondern nur das Gefühl des eigenen Körpers. Mehr als 2.000 Jahre später bewahrheitet sich diese Erkenntnis durch neue Forschungsansätze, die belegen, dass Ernährung sehr individuell ist. Es gilt daher, ehrlich und aufmerksam zu beobachten: Was tut mir gut? Was brauche ich gerade? Womit fühle ich mich fit und gut versorgt? Als Basis für die eigene Ernährungsweise sollte man sich auf abgesicherte Ernährungsinformationen, zum Beispiel von Fachgesellschaften verlassen.

Was ist aus Ihrer Sicht aktuell der stärkste Trend in Sachen Ernährung?

Endres: Nachhaltige und pflanzenbetonte Ernährung sind tatsächlich große Trends. Vielen Verbraucherinnen und Verbraucher sind Werte wie Tierwohl, Nachhaltigkeit oder Klimafreundlichkeit wichtig.