Estlands Präsident: "Wir geben unser Bestes, um Russland in die Knie zu zwingen"

Estlands Präsident: "Wir geben unser Bestes, um Russland in die Knie zu zwingen"

Als Nachbar Russlands muss man sich auf das Schlimmste vorbereiten. Das war die klare Botschaft des estnischen Präsidenten Alar Karis in einem Interview mit dem finnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Yle vor dem Staatsbesuch seines finnischen Amtskollegen Alexander Stubb.

Der finnische Staatschef Alexander Stubb und seine Frau Suzanne Innes-Stubb sind von heute bis Mittwoch zu einem Staatsbesuch in Estland. Nach einem Treffen haben die beiden Männer eine gemeinsame Pressekonferenz gegeben. Dort räumten sie ein, dass es vor hybriden Angriffen aus Russland auf die Außengrenze der Europäischen Union auch in Zukunft kein Entrinnen geben werde, bei solchen Provokationen müsse man aber einen kühlen Kopf bewahren und faktenbasiert reagieren.

"Wir haben ein gemeinsames Ziel: Die Ostseeregion bleibt eine Region des Friedens. Als Verbündete ist es unsere Chance und Pflicht, dafür zu sorgen, dass unsere Verteidigungsfähigkeit als Teil der kollektiven Verteidigung der NATO stärker wird. Wir sprachen über die Zusammenarbeit in der NATO, Russlands Krieg und die europäische Sicherheit", teilte Karis nach der Pressekonferenz auf X mit.

Gefährliche Lage an der estnisch-russischen Grenze

In der vergangenen Woche gab es am Fluss Narva, der Estland und Russland trennt, ein ganz schönes Nervenspiel, wie die estnischen und finnischen Medien berichteten. Die russischen Grenzsoldaten hatten rund zwanzig Bojen aus dem Fluss gezogen, mit denen die Esten die Schifffahrtsroute markiert hatten.

Aus estnischer Sicht befanden sich die Russen auf der estnischen Seite der Grenze. Hätten die estnischen Grenzsoldaten ihre Nerven verloren, hätte es zu einer bewaffneten Konfrontation kommen können. Es handelte sich um einen Diebstahl und die gestohlenen Bojen müssen selbstverständlich zurückgegeben werden, betonte Karis im Interview mit Yle. Dabei sei es aber wichtig, auf die Provokation nicht einzugehen.

Estlands Nachbar Finnland hat seine Ostgrenze bereits geschlossen. Die Grenze zwischen Estland und Russland bleibt offen. Ein Grund dafür sind diejenigen, meist russischstämmigen Esten, die hauptsächlich im Osten des Landes oder in der Hauptstadt Tallinn leben und auf beiden Seiten Verwandte haben.

Russische Kriegsmaschine muss gestoppt werden

Vor den Verhandlungen über die Ukraine muss die "russische Kriegsmaschine" gestoppt werden, ist der estnische Präsident Karis überzeugt. "Wir werden alles tun, um Russland und Putin in die Knie zu zwingen. Dann können ernsthafte Diskussionen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine beginnen", sagte der estnische Staatschef Yle.

Im Mai hat Alexander Stubb Deutschland besucht und sich mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen.
Im Mai hat Alexander Stubb Deutschland besucht und sich mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen. - Ebrahim Noroozi / 2024 / AP. Alle Rechte vorbehalten.

Um die russischen Besatzer aus dem Land zu vertreiben, braucht die Ukraine vor allem die westlichen Waffen, insbesondere Rüstungsgüter zur Luftabwehr, nicht die westlichen Soldaten, betonte Karis.

Auf die Frage, ob er einem Einsatz der estnischen Soldaten in der Ukraine zustimmen würde, antwortete Karis: "Das ist nicht meine Entscheidung oder sogar die Entscheidung der Regierung. Über die Entsendung der Armee entscheidet das Parlament."

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat wiederholt erklärt, dass das Militärbündnis trotz zahlreicher widersprüchlicher Aussagen hochrangiger europäischer Politiker, darunter des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, nicht die Absicht habe, Truppen in die Ukraine zu schicken. Der Kreml hat die Aussagen von Macron "gefährlich" genannt.

In einem möglichen Kriegsfall erwarte Estland nichts Bestimmtes von Finnland, sagte Karis auf der Pressekonferenz mit Stubb. Finnland gehört in die NATO und die NATO schützt Estland, fügte er hinzu.

Russland wird sich nicht ändern

Karis ist überzeugt, dass sich Russland nicht ändern wird, mindestens nicht in naher Zukunft. "Ich glaube nicht wirklich an schnelle Veränderungen", sagte er. "Russland hatte Anfang der 1990er Jahre eine Chance, aber es ging schief", sagte er im Interview mit Yle.

Selbst die Absetzung von Präsident Wladimir Putin wird nicht zwangsläufig zu Veränderungen führen, erklärte Karis. "Vielleicht müssen wir uns mit mehreren weiteren russischen Führern abfinden, bevor etwas passiert", fügte er hinzu.

Für Veränderungen müssten mehrere Voraussetzungen erfüllt werden, der wichtigste davon sei der Wille der Menschen in Russland, die Chance für Veränderungen zu ergreifen. Dafür sei unter anderem Druck seitens westlicher Länder notwendig, damit die Russen selbst verstehen, dass etwas getan werden muss.

Im Gegensatz zu einigen anderen estnischen Politikern macht Karis das russische Volk weder für Putins Machtposition noch für den Kriegsausbruch in der Ukraine verantwortlich. Er ist der Meinung, dass die Esten während der sowjetischen Besatzung eine ähnliche Tortur durchgemacht hätten, wie die Russen. "Erinnern wir uns daran, wie wir uns in den Fängen eines ähnlichen Regimes verhalten haben. Ja, einige Demonstranten wurden inhaftiert. Aber die meisten Leute sagten laut, was nötig war, und warteten einfach auf Veränderungen", sagte Karis Yle.