«Wirtschaftsweise» senken Konjunkturprognose
Berlin (dpa) - Ein starker wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland ist nicht in Sicht. Auch die «Wirtschaftsweisen» erwarten für dieses Jahr nur ein Mini-Wachstum. 2025 soll die Konjunktur anziehen, aber auf einem niedrigen Niveau.
Um die Modernisierung der teils maroden Verkehrsinfrastruktur zu finanzieren, sprechen sich die «Wirtschaftsweisen» für eine Pkw-Maut aus.
«Wirtschaftsweise» senken Konjunkturprognose
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ein Beratergremium der Bundesregierung, erwartet für dieses Jahr nur noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 0,2 Prozent. Im vergangenen Herbst hatten die «Wirtschaftsweisen» noch ein Wachstum von 0,7 Prozent prognostiziert.
«Das sind schlechte Zahlen», sagte Ratsmitglied Martin Werding in Berlin. Er sprach von einer schwachen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die privaten Haushalte konsumierten aktuell noch zurückhaltend, Industrie und Baubranche verzeichneten nur geringfügig neue Aufträge und die deutsche Exportwirtschaft habe sich stark abgekühlt. Der Rat erwartet aber, dass die deutsche Wirtschaft im Verlauf des Jahres 2024 etwas an Fahrt gewinnt. Der private Konsum beginne voraussichtlich im Jahresverlauf die Konjunktur zu stützen, da die Realeinkommen deutlich steigen dürften. Auch die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr nur mit einem Mini-Wachstum von 0,3 Prozent.
EU-Kommission pessimistischer
Die EU-Kommission erwartet für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent. Als Gründe nannte die Brüsseler Behörde etwa eine schwache Auslandsnachfrage, einen schleppenden privaten Konsum und zu geringe Investitionen. Zuletzt hatte die Kommission Deutschland ein Wachstum von 0,3 Prozent vorausgesagt. In anderen Ländern läuft es besser: Europaweit rechnet die Kommission mit einem Wachstum von 1,0 Prozent.
Entspannung bei Inflation
Die Teuerung in Deutschland wird sich laut Prognose des Sachverständigenrats weiter verlangsamen. Die «Wirtschaftsweisen» rechnen in diesem Jahr mit einer Inflationsrate von 2,4 Prozent und 2025 mit einer von 2,1 Prozent. Im vergangenen Jahr waren die Verbraucherpreise um 5,9 Prozent gestiegen.
Im nächsten Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft laut Prognose um 0,9 Prozent wachsen. Im Verlauf dieses Jahres dürften der Welthandel und die globale Industrieproduktion zunehmen, davon profitierten die deutschen Exporte. Ein erhebliches Risiko sei aber die geopolitische Unsicherheit, hieß es mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sowie den Nahostkonflikt.
Wachstumsbremse Fachkräftemangel
Beim Wachstum bleibe die deutsche Volkswirtschaft bis zum Ende des Jahrzehnts hinter ihren Möglichkeiten zurück, heißt es im Frühjahrsgutachten. Vor allem der demografische Wandel - also die zunehmende Alterung der Gesellschaft - und das damit zurückgehende Arbeitsangebot belasteten mittelfristig den Wachstumsausblick.
Blick auf Haushaltsverhandlungen
In der Bundesregierung laufen angesichts von Milliardenlöchern derzeit schwierige Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2025. Die «Wirtschaftsweisen» sehen darin ein Risiko. Es sei unsicher, in welchen Bereichen konsolidiert werde. Unsicherheit beeinträchtige das Investitionsklima - sprich: Unternehmen warten ab, was passiert.
«Wirtschaftsweise» wollen Pkw-Maut
Die Verkehrsinfrastruktur müsse modernisiert und ausgebaut werden, heißt es im Frühjahrsgutachten. «Dafür sind höhere Infrastrukturausgaben erforderlich, für die eine stärkere Nutzerfinanzierung, beispielsweise eine fahrleistungsabhängige PKW-Maut, herangezogen werden sollte.» Da schwere Fahrzeuge die Infrastruktur stärker abnutzten als leichte Fahrzeuge, wäre eine Differenzierung nach Gewicht sinnvoll.
Der schlechte Zustand der Verkehrsinfrastruktur führe zunehmend zu Staus auf Autobahnen und einer geringen Zuverlässigkeit im Schienenverkehr und beeinträchtigt so den Güterverkehr und die Wirtschaftsaktivität. Das absehbar wachsende Transportaufkommen lasse die Belastung der Infrastruktur weiter steigen. Die bestehende Lkw-Maut trägt dem Gutachten zufolge zu einem erheblichen Teil dazu bei, die Verkehrsausgaben des Bundes zu decken. Neben Lkw sollten auch Pkw für die Nutzerfinanzierung der Infrastruktur herangezogen werden.
Anlauf für Pkw-Maut war gescheitert
2019 war die geplante Pkw-Maut in Deutschland - ein Prestigeprojekt der CSU in der damaligen Bundesregierung - vom Europäischen Gerichtshof als rechtswidrig gestoppt worden. Zentraler Knackpunkt war, dass nur Fahrer aus dem Inland für die Maut voll bei der Kfz-Steuer entlastet werden sollten. Verkehrsminister war damals der CSU-Politiker Andreas Scheuer. Kurz nach dem Urteil kündigte er die Verträge mit den vorgesehenen Betreibern, die dann Schadenersatz forderten. Eine Verständigung nach einem Schiedsverfahren ergab, dass der Bund ihnen 243 Millionen Euro zahlen musste.
Interner Streit im Gremium
Der Vorstoß zur Pkw-Maut taucht auf in einem Extra-Kapitel des Gutachtens zur klimaneutralen Umgestaltung des Güterverkehrs. Darin spricht sich die Ratsmehrheit dafür aus, den Fokus auf Elektro-Lastwagen zu setzen. Dazu sollte der Aufbau einer Ladeinfrastruktur im Fokus staatlichen Handelns stehen. Andere emissionsarme Antriebe hätten nicht dieselbe Marktreife, sagte die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer.
Eine andere Meinung vertrat dagegen Ratsmitglied Veronika Grimm - die inhaltlichen Differenzen wurden auf offener Bühne ausgetragen. Grimm hält einen einseitigen Fokus auf die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs für falsch. Man müsse auch die Tankstelleninfrastruktur für Wasserstoff im Schwerlastverkehr - wie von der EU vorgegeben - ausbauen. Grimm wies erneut mögliche Interessenkonflikte zurück, weil sie ein Aufsichtsratsmandat beim Energiekonzern Siemens Energy angetreten hatte. Schnitzer kündigte einen Verhaltenskodex zur künftigen Arbeit im Rat an - ließ aber offen, bis wann dieser kommen soll.