EU-Wahlen: Werden Ultrakonservative mit Mitte-Rechts zusammenarbeiten?

EU-Wahlen: Werden Ultrakonservative mit Mitte-Rechts zusammenarbeiten?

Werden auf europäischer Ebene die Ultrakonservativen mit Mitte Rechts zusammenarbeiten? Euronews Umfragen zufolge könnten die Konservativen bei der Europawahl ganz klar als stärkste Kraft hervorgehen. Sie wären dennoch auf Partner angewiesen für die Wahl des künftigen Präsidenten der EU-Kommission.

Ob und wie Bündnisse geschlossen werden können, hängt auch von nationalen Interessen ab.

"Wenn wir zum Beispiel an Giorgia Meloni, die italienische Ministerpräsidentin, denken, müssen wir ihre Führungsabsichten im europäischen rechten Milieu verstehen: Es handelt sich um Führungspersönlichkeiten, die in einigen Fällen auch Regierungschefs sind und dementsprechend unterschiedliche Interessen haben", erklärte Francesko Sisimondi, Euronews-Umfrage-Analytiker.

Eine rein konservative Koalition wäre zu rechts und zu unausgewogen. Hinzu kommt, dass die europäischen Konservativen und Reformer EKR angeführt von Giorgia Meloni, teilweise Meinungsverschiedenheiten haben mit der Fraktion Identität und Demokratie ID angeführt von Frankreichs Marine Le Pen.

Was steht auf dem Spiel?

Die rechten Parteien im Europäischen Parlament sind in vielerlei Hinsicht gespalten: in ihrer Wahrnehmung nationaler Interessen, in ihren Vorstellungen von der Rolle der EU, in ihren unterschiedlichen oder sich sogar gegenseitig ausschließenden Erzählungen und ihrer Rhetorik, in ihren widersprüchlichen gesellschaftlichen Werten und nicht zuletzt in ihren jeweiligen innenpolitischen Interessen.

Eine große Kluft gibt es insbesondere in der Wahrnehmung der EU.

Die Mitte-Rechts-Partei EVP ist eine offene Pro-EU-Fraktion, während der ECR-Fraktion einige liberalere konservative Parteien angehören, wie etwa die Flämische Nationale Allianz Belgiens. Umgekehrt sind die meisten der Parteien, die sowohl der ECR als auch der ID angehören, meist kritisch gegenüber der EU eingestellt, wenn nicht sogar offen euroskeptisch.

Die Konservativen der EKR und der ID müssen noch eine einheitliche Ausrichtung in ihren Fraktionen finden. Die Abkehr von russlandfreundlichen Positionen und die Distanzierung von der deutschen Rechtsaußenpartei AfD brachte die Fraktion Identität und Demokratie (ID) näher an die eher "institutionelle" EKR, die von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angeführt wird.

Meloni und Marine Le Pen, die Gründerin der ID, die beiden stärksten und prominentesten Anführerinnen der europäischen Rechte, haben es nicht geschafft, mehr als eine "herzliche Beziehung" aufzubauen.

Bisheriger Höhepunkt ihrer Beziehung ist ein Fototermin bei VIVA24! in Madrid, einer von der spanischen rechtsextremen Partei Vox organisierten Veranstaltung.

Supporters of far-right Vox party in Madrid as/Copyright 2023 The AP. All rights reserved
Supporters of far-right Vox party in Madrid as/Copyright 2023 The AP. All rights reserved - Andrea Comas/Copyright 2023 The AP. All rights reserved

Eine Mitte-Rechts-Mehrheit?

Das scheint die Botschaft zu sein, die von der Madrider Veranstaltung ausging, die von Santiago Abascals Vox organisiert wurde, und die Teil der EKR ist.

Viele sahen darin ein Zeichen der Einigkeit der Rechten, erklärt das Team des Euronews-Umfragezentrums.

French far-right National Rally party leader Marine Le Pen gestures as she delivers a speech on stage during the Spanish far-right wing party Vox's rally "Europa Viva 24" in M
French far-right National Rally party leader Marine Le Pen gestures as she delivers a speech on stage during the Spanish far-right wing party Vox's rally "Europa Viva 24" in M - Andrea Comas/Copyright 2023 The AP. All rights reserved

"Der Schwerpunkt wird sich mit Sicherheit nach rechts verlagern. Und das ist etwas, womit die EVP, die dann der zentrale Akteur sein wird, die Liberalen und die Sozialdemokraten, wenn nicht gar die Grünen, erpressen kann. Ich glaube nicht, dass die EVP es ernst meint mit der Zusammenarbeit der Identitären und Demokraten. Das wäre ein politischer Suizid auf nationaler Ebene. Aber sie wird es sicherlich für sich ausnutzen", so Steven Van Hecke, Professor für europäische Politik an der KU Leuven.

Das Euronews-Umfragezentrum geht davon aus, dass die Konservativen im Falle einer Koalition Interesse daran haben könnten, sich mit den Liberalen von Renew Europe zusammenzuschließen. Das würde Sinn machen, in Anbetracht der Anzahl der Sitze, aber auch in Anbetracht der politischen Agenda der beiden Fraktionen.

Im Wesentlichen aus zwei Gründen: Die liberalen Werte von Renew würden eine potenzielle Koalition ausgleichen, die ansonsten zu rechts orientiert wäre. Außerdem besteht die Notwendigkeit, eine Isolierung des Europäischen Parlaments von anderen EU-Institutionen zu vermeiden, insbesondere vom Europäischen Rat mit seinen sozialistischen und liberalen Regierungen, wie Frankreich, Deutschland und Spanien.

"Ich sehe zwei Tendenzen in der extremen Rechten, die nicht miteinander vereinbar sind", sagte Van Hecke.

"Erstens gibt es eine Tendenz zur 'Normalisierung'. Und Giorgia Meloni ist jetzt die Symbolfigur, die zeigt, dass dies möglich ist, dass man die Wahlen gewinnen kann, dass man regieren kann und für Brüssel akzeptabel ist. Und das ist in der Tat der Weg, den Marine Le Pen eingeschlagen hat, so Van Hecke gegenüber Euronews.

"Aber es gibt auch das Gegenteil, mit einer Reihe von Rechtsextremen (Akteuren), die sich auf dem Weg der Radikalisierung befinden."

Während Meloni ihre zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (dem geistigen Gründer von Renew Europe) mindestens bis zu den französischen Präsidentschaftswahlen 2027 vertiefen muss, führt Le Pen de facto bereits einen Wahlkampf gegen Macrons Lager als Hauptgegnerin bei der Eroberung des Elysée.*

Migration ist ein Thema, das die Ultrakonservativen zusammenbringt

Es ist nicht nur eine Frage der Anzahl der Sitze, sondern auch der politischen Ausrichtung der Ultrakonservativen in der EU. Das einzige Thema, das den Rechten einen gewissen Zusammenhalt gibt, ist der Kampf gegen die Migration. Aber die Ausrichtungen der südlichen, östlichen und der nördlichen konservativen Flanke in der EU gehen auseinander.

Die konservativen Kräfte in Mittel- und Nordeuropa sind de facto der Meinung, dass die Migrationsströme aus Afrika und dem Nahen Osten in den Ländern an der Südflanke des Blocks aufgefangen werden sollten. Diese politische Position wird von der extremen Rechten in Südeuropa überhaupt nicht geteilt.

Trotz der mit Sicherheit konservativen Mehrheit im Europäischen Parlament sieht selbst die multikonservative Koalition wie eine politische Chimäre aus, so Prof. Van Hecke.

Laut Euronews Umfragen werden die gemäßigten Fraktionen der EU - also EVP, S&D und Renew - das künftige Parlament wieder gemeinsam regieren.

Die etablierten politischen Parteien werden hoher Wahrscheinlichkeit nach bei Abstimmungen teilweise auf den zersplitterten rechtsradikalen Block angewiesen sein, so das Euronews Umfragezentrum.