Experte Andreas Dinkelmeyer - Unsere Meere sind viel zu laut – ein klitzekleiner Kniff kann helfen

Öltanker im Golf von Thailand (Archivbild): Die Weltmeere haben ein Lärm-Problem<span class="copyright">bugto/Getty Images</span>
Öltanker im Golf von Thailand (Archivbild): Die Weltmeere haben ein Lärm-Problembugto/Getty Images

Krach auf der Autobahn: Die Weltmeere sind die wichtigste Verbindung für den globalen Warenhandel. Der rege Verkehr auf den Ozeanen verursacht allerdings jede Menge Lärm – der für die dort lebenden Tiere zum lebensbedrohlichen Problem wird. Dabei könnte eine unscheinbar wirkende Maßnahme sofort helfen, schreibt Experte Andreas Dinkelmeyer.

Die Schifffahrt ist essentiell für den globalen Handel. Jeden Tag sind etwa 50.000 bis 60.000 Transportschiffe auf den Weltmeeren unterwegs. Sie bringen rund 90 Prozent der Güter im Warenverkehr an ihr Ziel. Dabei ist der rege Betrieb auf dem Ozean natürlich auch unter Wasser zu spüren. Mit dem Schiffsverkehr hat der Unterwasserlärm deutlich zugenommen, hauptsächlich verursacht durch die Schiffsschrauben.

Mit dramatischen Folgen für die Unterwasserwelt: Bislang ist erwiesen, dass rund 150 Meerestierarten durch von den Menschen verursachten Unterwasserlärm beeinträchtigt werden. Dazu gehören 47 Arten von Meeressäugern, 66 Fischarten und 36 Arten von Wirbellosen. Und das sind nur die untersuchten Arten – wir müssen davon ausgehen, dass die negativen Auswirkungen auf die Meereswelt noch viel größer sind. Schifffahrts-Lärm prägt inzwischen die Geräuschkulisse des Ozeans. Wie wirkt sich dieser Lärm auf das Leben im Ozean aus? Und was können wir tun, um diese Belastung zu verringern?

Der Ton macht die Musik

Wale und andere Meeressäuger nutzen Schall und Laute für ihre Orientierung, für ihr Sozialleben und um Partner zu finden. Die Töne sind entscheidend, um Nahrung zu orten und mögliche Angreifer frühzeitig zu entdecken. Mit Hilfe der Echoortung informieren sich die Tiere ständig über die Beschaffenheit ihrer Umwelt wie die Wassertiefe und die Entfernung zu Objekten. Meeressäuger haben ein dafür angepasstes feines Organ, um diese Laute wahrzunehmen.

Unterschiedliche Arten erzeugen Töne in verschiedenen Tonhöhen, unter anderem auch abhängig von den Distanzen, über die sie normalerweise kommunizieren. So nutzen viele der Großwale wie etwa der Blauwal sehr niedrige Frequenzen, diese können über lange Distanzen wahrgenommen werden.

Wenn sich Wale nicht mehr hören

Das bedeutet auch: Wale und andere Meeressäuger sind für ihr Überleben auf ungestörte Schallübertragungen angewiesen. Mit zunehmenden Unterwasserlärm wird der Kommunikationsraum, also die Distanz als auch die Tiefe, über die etwa Wale miteinander kommunizieren können, eingeschränkt. Das Beispiel der Blauwale zeigt das eindrücklich. Noch vor etwa 70 Jahren konnte das größte lebende Tier der Erde über eine Distanz von 1600 Kilometer hinweg kommunizieren, etwa so weit wie von Athen nach Paris. Heute gelingt es ihnen nur noch über rund 160 Kilometer.

Wissenschaftliche Studien zu den Auswirkungen von Schiffslärm auf die unterschiedlichsten Meerestiere haben ein breites Spektrum von Beeinträchtigungen ergeben. Diese reichen von Entwicklungsstörungen bei Krebstieren und Fischen bis hin zu Veränderungen bei der Interaktion zwischen Räubern und Beutetieren. So werden Fressfeinde schlechter wahrgenommen.

Fische im Dauerstress

Und ja, auch Fische sind anfällig für Stress. Umfassend dokumentiert sind unter anderem ein Anstieg der Stresshormone und eine dramatisch erhöhte Herzfrequenz. Auch bei Walen konnte ein dauerhaft erhöhter Pegel von Stresshormonen nachgewiesen werden. Generell lässt sich sagen, dass Lärm das Leben im Ozean gefährden kann, indem die Vernetzung zwischen Fischpopulationen geschwächt, die Räuber-Beute-Interaktionen und die Struktur der Lebensgemeinschaften verändert sowie die Dynamik und Stabilität des Nahrungsmittelangebots beeinträchtigt werden.

Dies betrifft natürlich auch Gewässer in unserer unmittelbaren Umgebung wie die Nordsee, in der Schweinswale und mehrere Fischarten durch die Lärmbelastung nachweislich beeinträchtigt werden. Am Beispiel des Mittelmeeres sehen wir zudem eine weitere Gefahr des erhöhten Schiffsverkehrs für Meeressäuger: Immer wieder kommt es hier zu Kollisionen mit Finn- oder Pottwalen, die die Schiffe zu spät wahrnehmen und nicht mehr ausweichen können. In den meisten Fällen endet so eine Kollision tödlich für die Wale.

Die Fünf-Prozent-Lösung

Ein vielversprechender Ansatz, das Ökosystem im Ozean und die Meerestiere zu schützen, ist die Anpassung der Geschwindigkeit für die kommerzielle Schifffahrt. Langsamere Schiffe bedeuten eine erhöhte Lebensqualität für Wale, Delphine und Co. Was viele überraschen mag: Schon durch eine relativ kleine Veränderung kann eine große Wirkung erzielt werden.

Das heißt konkret, wenn Schiffe auf Flottenebene EU-weit nur um etwa 5 Prozent langsamer fahren, vermindert sich die Lärmbelastung der Meere sofort um 40 Prozent. Unter Wasser wird der Schall weiter und fünfmal schneller übertragen als in der Luft. Auch die Lärmenergie steigt im Salzwasser exponentiell. Im Umkehrschluss kann sie genauso exponentiell durch eine relativ geringe Geschwindigkeitsreduktion deutlich verringert werden.

Europa geht voran

Mit der Tier- und Artenschutzorganisation IFAW (International Fund for Animal Welfare) setzen wir uns für verringerte Schiffsgeschwindigkeiten ein. Die Kampagne „Blue Speeds“ schlägt eine Begrenzung für vorhandene Schiffe auf 75 Prozent der jeweiligen maximalen Konstruktionsgeschwindigkeit vor, eine Petition zum Thema haben bereits mehr als 100.000 Menschen unterzeichnet. Für Behörden ist diese Maßnahme leicht umzusetzen und zu kontrollieren. Außerdem behandelt sie alle Schiffstypen wie Tanker, Containerschiffe oder Schüttgutfrachter gleich, niemand wird benachteiligt.

In den EU-Gewässern liegen wir damit bei den geschätzten fünf Prozent, die die Schiffe langsamer fahren müssten. Bereits jetzt erklären sich erste Reedereien bereit, die Grenzwerte einzuhalten. Dennoch wird Freiwilligkeit das Problem auf Dauer nicht lösen. Unser Ziel ist deshalb eine verpflichtende EU-weite Reglung mit festen Vorgaben, an die sich die Schifffahrtsbranche halten muss. Erste Erfolge gibt es bereits: Die EU ist die erste Region weltweit, in der es feste Grenzen für Unterwasserlärm geben wird. Die genauen Grenzwerte müssen im nächsten Schritt von den Ländern definiert und festgelegt werden. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum großen Ziel einer internationalen, weltweiten Reglung, die alle Ozeane umfasst.

+++ Keine Klima-News mehr verpassen - abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal +++

Tempo raus: Win-win für alle?

Mit einer geringeren Geschwindigkeit halten wir Kurs auf gesunde Meere – und gesündere Luft. Denn, neben dem erheblich reduzierten Unterwasserlärm, spart ein auf 75 Prozent der Konstruktionsgeschwindigkeit leicht gedrosseltes Tempo auch Treibstoff. Der Ausstoß von Treibhausgasen verringert sich dabei ebenfalls um 13 Prozent. Das Risiko von Schiffskollisionen mit Walen wird sogar halbiert.

Zudem darf nicht vergessen werden, dass ein geringerer Treibstoffverbrauch ebenso für die Schifffahrtindustrie Ersparnisse bedeutet. Auch Bedenken bezüglich Verzögerungen in der Logistikkette bei geringerer Geschwindigkeit können entkräftet werden: Eine höhere Effizienz sowie vorhandene Überkapazitäten müssten ausreichen, die kleine Geschwindigkeitsreduktion aufzufangen.