"Scobel": Expertenrunde negiert Probleme des Massentourismus
Alles Unglück der Welt komme daher, dass wir uns bewegen. Mit dieser Feststellung wischte der Historiker und Soziologe Prof. Dr. Hasso Spode in der Sendung „scobel: Tourismus-Kollaps“ am 4. Juli die Bedenken der Einwohner von Städten und Regionen vom Tisch, die unter dem Massentourismus ätzen. Die Runde des 3sat-Talkers mit dem Anspruch, die einzige wissenschaftlich fundierte Plauderrunde zu präsentieren, redete munter am Thema vorbei.
Prof. Dr. Claudia Brözel, Professorin für Tourismusökonomie und Ethik, Prof. Dr. Kerstin Heuwinkel, Tourismuswissenschaftlerin und Soziologin sowie Prof. Dr. Hasso Spode, Historiker und Soziologe, negierten weitgehend die Probleme und das Gefühl des Kontrollverlustes der Einwohner der betroffenen Orte. Dabei hatten der Zusammenstoß eines Kreuzfahrtschiffes mit einer Gondel in Venedig und die Klimadebatte in Deutschland endlich eine Debatte über die Folgen des Tourismus ausgelöst. „Flugscham“ hat gute Chancen, das Wort des Jahres zu werden.
Kraft durch Freude als Geburtsstunde des Massentourismus?
Die Branche zählte im Vorjahr 1,4 Milliarden Touristen, 1,2 Billionen Euro setzte sie um, 313 Millionen Menschen finden hier ihren Job. Für Spode sind die Nazis mit ihrem „Kraft durch Freude“-Reiseprogramm die Erfinder des Massentourismus. Heute leiden die Bewohner von Städten wie Barcelona, Capri, Amsterdam oder Hallstadt unter dem Ansturm. Die Einwohner werden von Airbnb-Mietern verdrängt oder flüchten, weil die Infrastruktur zusammenbricht. Auch für die Umwelt sind die Folgen fatal. Die Korallenriffe vor der thailändischen Küste werden durch ankernde Boote, Ölverschmutzung und unkundige Taucher zerstört.
Die erste Hälfte der einstündigen Diskussionsrunde nutzen die Disputanten, um mit ihrem umfangreichen Wissen zur Geschichte des Reisens zu glänzen und mit Bonmots und Zitaten von Schriftstellern und Philosophen um die Aufmerksamkeit zu wetteifern.
Zündende Ideen zur Eindämmung des Massentourismus blieben aus, jede Idee wurde sofort abgebügelt. Teurer Ökotourismus als Alternative widerspricht der Demokratisierung des Reisens. Ebenso wie die Idee André Hellers, vor dem Reiseantritt ein Bildungszertifikat zu erwerben.
Ganz nebenbei fiel einmal der Begriff Trolltunga als Inbegriff von nachhaltigem Tourismus. Der bekannte Felsvorsprung bleibt vom Massentourismus im Gegensatz zu anderen Naturschönheiten Norwegens verschont. Die Seilbahn, die 900 Meter steilen Aufstiegs überwand, wird seit Jahren nicht repariert. Seitdem nehmen nur noch gut geübte Wanderer die 28km lange Strecke in Angriff.
Traum von Freiheit im Urlaub ist Selbstbetrug
So blieb Gert Scobel das Schlusswort mit jenen Thesen, die der Sendung Struktur und inhaltliche Kontur gegeben hätten. Machen Plattformen wie Airbnb die Städte und schönsten Orte der Welt platt? Ist das Gefühl von Freiheit im Massentourismus-Urlaub nur Selbstbetrug? Aber vor allem die Frage, die jeder mit in die kommenden Wochen nehmen sollte: Was ist am Alltag so mies, dass der Urlaub als schönste Zeit des Jahres gilt?