Harmlose Geste oder Extremisten-Zeichen? - Was wirklich hinter Demirals Wolfsgruß steckt – ein Aspekt macht Fall problematisch

Merih Demiral von der Türkei jubelt nach seinem zweiten Treffer mit dem Wolfsgruß.<span class="copyright">Hendrik Schmidt/dpa</span>
Merih Demiral von der Türkei jubelt nach seinem zweiten Treffer mit dem Wolfsgruß.Hendrik Schmidt/dpa

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral bejubelte ein EM-Tor mit dem Wolfsgruß. Dahinter steckt eine rechtsextremistische Ideologie, die ein türkisches Großreich zum Ziel hat. Zwar leitete die Uefa eine Untersuchung ein, doch rechtliche Konsequenzen wird der Gruß in Deutschland nicht haben.

Merih Demiral ist eigentlich der Held von Leipzig. Am Dienstagabend führte der Verteidiger mit zwei Treffern die türkische Nationalmannschaft zum Achtelfinal-Sieg gegen Österreich. Doch nach dem Spiel steht nicht seine sportliche Leistung im Vordergrund, sondern eine politische Botschaft : Demiral zeigte nach dem zweiten Tor den sogenannten Wolfsgruß.

Dieser ist ein Handzeichen und Symbol der Grauen Wölfe. Die Bewegung firmiert eigentlich unter der türkischen Bezeichnung „Ülkücüler“, also Idealisten. Laut Bundesverfassungsschutz entstand sie Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei basierend auf den Erinnerungen an das ehemalige Osmanische Reich.

Daraus ergibt sich ein gefährlicher Mix aus „nationalistischer, antisemitischer und rassistischer rechtsextremistischer Ideologie“, wie der Verfassungsschutz schreibt. Die Grauen Wölfe streben ein türkisches Großreich „Turan“ an, das je nach Interpretation der Ideologie vom Balkan bis nach Westchina oder Japan reichen soll.

Graue Wölfe haben „hohes Gewaltpotenzial“

Aufgrund der großen türkischen Community in Deutschland ist die Ideologie auch hierzulande verbreitet. Der Verfassungsschutz zählt rund 12.100 Unterstützer. Ihre „oftmals gezeigte Gewaltneigung kann sich aber auch in der Realwelt entfalten, so zum Beispiel beim öffentlichen Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern, vor allem Kurden beziehungsweise Anhänger der PKK. Hierbei zeigt sich immer wieder das in der unorganisierten Szene vorherrschende hohe Gewaltpotenzial“, schreibt der Verfassungsschutz.

Der Wolfsgruß ist nur ein Erkennungszeichen der Extremisten. Tatsächlich benutzen viele ihn nicht mehr, weil er zu eindeutig ist. Der Verfassungsschutz gesteht auch ein, dass nicht alle Verwender des Grußes zwangsläufig rechtsextremistisch seien. So ist auch nicht ganz eindeutig, welche Botschaft Demiral mit seinem Torjubel vermitteln wollte.

Wolfsgruß ausgerechnet am Jahrestag eines Pogroms

Allerdings macht ein Aspekt den Gruß des Fußballers besonders problematisch: Das Spiel der Türken gegen Österreich fand am 2. Juli statt – am selben Tag im Jahr 1993 ermordeten die Grauen Wölfe bei einem Pogrom in der türkischen Stadt Sivas insgesamt 35 Aleviten. Dass der Jubel mit dem umstrittenen Gruß bloß aus dem Moment heraus kam, ist unwahrscheinlich. Denn Demiral postete bei X nach dem Spiel ein Foto der Geste mit dem Text „Glücklich, ein Türke zu sein!“.

Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali schrieb nach dem Spiel bei X: „Wenn Demiral jetzt sagt, es sei keine versteckte Botschaft, stimmt das wohl… denn die Bedeutung des Wolfsgrußes ist sehr eindeutig. Geht gar nicht.“ Die Journalistin Düzen Tekkal, Tochter türkischer Einwanderer, erklärte bei X, sie bekomme seit Jahren von Anhängern der Grauen Wölfe Morddrohungen.

Der Arzt Cihan Çelik ärgerte sich auch über Demiral, weil er den Erfolg der türkischen Mannschaft mit seinem Gruß überdecke: „Nationalismus und Chauvinismus vergiften selbst die schönsten Dinge. Wie kann man nur so dumm und spalterisch sein und in so einem Moment einen großen Teil der eigenen Fans und Teile des eigenen Teams provozieren? Am Jahrestag eines rechtsextremen Pogroms. Tragische Figur.“

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler nannte bei X Demirals Jubel als „Paradebeispiel dafür, wie man Sympathien verspielen, eine ganze Mannschaft und ein ganzes Land diskreditieren kann“. Es tue ihr leid für die Mannschaft, die bisher alles gegeben und Geschichte geschrieben habe. Mit der Geste sei der Sieg getrübt worden. „Wenn ein Spieler meint, seine Freude mit einem faschistischen Gruß zum Ausdruck zu bringen, müssen Konsequenzen folgen. Hier ist die EURO2024 gefragt.“

Gruß ist bislang nicht verboten

Rechtliche Konsequenzen drohen Demiral in Deutschland allerdings nicht. Denn die Grauen Wölfe und damit deren Symbolik sind in Deutschland bislang nicht verboten. Das stößt auf Kritik: Die Hamburger Linken-Politikerin Cansu Özdemir forderte bei X, Deutschland müsse nun endlich ein Verbot durchsetzen, statt vor dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf die Knie zu fallen. Ähnlich äußerte sich der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck bei X: „Graue Wölfe verbieten! Wir haben kein (Er)Kenntnis-, sondern ein Vollzugsdefizit.“

Die Debatte ist allerdings alles andere als neu: 2018 hatte zum Beispiel der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries ein Verbot gefordert. Und auch im Fußball haben Referenzen auf die Grauen Wölfe Tradition: Der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil, dessen Familie aus der Türkei stammt, ließ sich Symbole der Gruppierung auf die Brust tätowieren. Dort sind drei Halbmonde und ein heulender Wolf zu sehen.

Uefa machte Demiral zum „Man of the Match“

Auch wenn es keine rechtliche Handhabe gegen Demirals Wolfsgruß gibt, könnten theoretisch die Uefa als europäischer Fußballverband oder der türkische Verband aktiv werden und den Sportler sperren. Dass der Nationalverband Demirals aktiv wird, gilt als unwahrscheinlich. Schließlich steht er Staatschef Erdogan nahe. Und auch die Uefa ließ eine schnelle Reaktion vermissen. Für Demirals Tore machte sie ihn im Anschluss an das Spiel zum „Man of the Match“.

Am Mittwoch kündigte der Europäische Fußballverband dann aber an, eine Untersuchung „in Bezug auf das mutmaßlich unangemessene Verhalten des Spielers“ eröffnet zu haben. Weitere Informationen dazu werde man „zu gegebener Zeit bekannt gegeben“.

Wie eine harte Konsequenz aussehen könnte, zeigt der Fall Giorgis Katidis. Der Grieche zeigte 2013 in einem Spiel den Hitlergruß. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Junioren-Nationalspieler, doch der griechische Verband sanktionierte Katidis hart und schloss ihn lebenslang von allen Auswahlmannschaften aus.