Ich bin dann mal weg: Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah rockt mit Eskapaden seine AfD in eine Krise

AfD-Frontmann verzichtet auf Auftritte – Auch Rückzug aus Bundesvorstand – Unmut über „Schampus-Max“

Juli 2023: Maximilian Krah beim Parteitag der AfD in Magdeburg, die ihn zum Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl kürt (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Juli 2023: Maximilian Krah beim Parteitag der AfD in Magdeburg, die ihn zum Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl kürt (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Ups, er hat es wieder getan: Nachdem AfD-Hobbyführer Björn Höcke mit SA-Parolen in die Schlagzeilen kam, machte es ihm Maximilian Krah mit moralischen Bewertungen der SS nach. Nur war es der berühmte Tropfen, der das Parteifass zum Überlaufen bringt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wenn nicht noch etwas im AfD-Komödienstadl dazukommt, wird es bald die Wiederaufführung eines Klassikers geben: „Ich bin wieder da.“ Es handelt sich um Teil 2 von „Ich bin dann mal weg“, der heute in einer Matinee präsentiert wurde: Maximilian Krah, schillernder Spitzenkandidat der AfD bei der anstehenden Europa-Wahl, zieht sich von Wahlkampfauftritten zurück, und auch vom Bundesvorstand der Partei. Spitzenkandidat aber bleibt er und wird daher aller Voraussicht nach für die AfD ins Europäische Parlament einziehen.

Das ist alles schon ein wenig peinlich. Nicht wenige in der Partei wünschen sich, sie hätten diesen Hallodri nicht nach vorne gehievt, aber so ist es eben geschehen.

Der AfD ist zugute zu halten, dass man eine Menge nicht wusste:

  • Es war nicht klar, dass Krah einen Mitarbeiter beschäftigte, der nun wegen Spionageverdacht für China verhaftet wurde.

  • Es war nicht vorherzusehen, dass der bisher nicht bewiesene Vorwurf aufkommt, er habe Zuwendungen von einer russlandfreundlichen Plattform erhalten.

  • Es war nicht unbedingt einzuplanen, dass der Jurist im Sturm immer noch einen draufpackt und damit riskiert Schiffbruch zu erleiden.

Gewisser Dinge aber konnte man sich über Krah vorher vergewissern.

  • Schillernd und tönend sind seine Auftritte, er liebt die Show und den Glamour. Er arbeitete als Anwalt für erzkatholische Netzwerke, half bei deren Finanzmanövern. Er predigte fundamentalistisches Christentum und trank dazu Champagner. Man kann es als Hedonismus und als Individualismus bezeichnen, daran ist erstmal nichts Schlechtes. Sich aber dann als „Mann des Volkes“ oder als „Mann des kleinen Mannes“ zu inszenieren, hat dann eine gewisse Ironie.

  • Bekannt war auch sein Weltbild. Es ist im 19. Jahrhundert steckengeblieben, mit dem Traum eines Deutschlands als solitäre Kontinentalmacht und einer Verfassung, die so autoritär ist wie die Verbündeten, die Krah in der Gegenwart sucht – und das sind die politischen Systeme Chinas und Russlands. Daher sein Verständnis für den Umgang Russlands mit der Ukraine und für den der chinesischen KP mit Andersdenkenden, Uiguren und anderen. Hauptsache, ich bleibe groß – das war sein Credo.

Ihn also zum Spitzenkandidaten zu machen, ist ein wenig wie den Bock zum Gärtner.

Damit ist nicht gesagt, dass Krah mit dieser Nummer nicht durchkommt, selbst jetzt nicht. Denn der Sachse hat ein großes Vorbild: Donald Trump macht seit Jahren vor, wie man die unmöglichsten Dinge sagen und machen kann (meistens sagen, denn solche Rechten sind eigentlich nur aktiv im Reden), ohne dafür belangt zu werden; es gibt dabei eine Bedingung: Ziehe alles mit dem höchsten Maß an Selbstüberzeugtheit durch. An Trump scheinen die Empörungen abzuprallen wie an einer Teflonpfanne; entsprechend unbeeindruckt gibt sich Krah. Seine politische Karriere wird er nicht voreilig aufgeben. Nur hat er gerade eine Pirouette zu viel auf dem Parkett hingelegt.

Daher heißt es nun von ihm auf X: „Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Ich nehme zur Kenntnis, dass sachliche und differenzierte Aussagen von mir als Vorwand missbraucht werden, um unserer Partei zu schaden. Das Letzte, was wir derzeit brauchen, ist eine Debatte um mich. Die AfD muss ihre Einigkeit bewahren. Aus diesem Grunde verzichte ich ab sofort auf weitere Wahlkampfauftritte und trete als Mitglied des Bundesvorstands zurück.“

Was war passiert? Krah, ohnehin schon in der Kritik wegen seiner China-Russland-Connection, gab der italienischen Zeitung „La Repubblica“ ein Interview. Die Korrespondentin ging gleich ans Eingemachte und fragte ihn nach dem Umgang mit den Generationen unserer Eltern und Großeltern – es ging also um das faschistische Erbe Deutschlands. Schließlich hatte Krah in den Sozialen Medien einmal getönt: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“ – das ist Credo seines hobbypsychologischen Empowerments verletzter Seelen, wonach man sich eben Stärke von woanders nimmt, wenn es an eigener mangelt. Mitunter gibt er auch Tipps an Männer, wie man Erfolg bei Frauen hat, eben ein Tausendsassa, der Krah.

„La Repubblica“ hatte Krah also gefragt, ob sich seine Aussage auch auf SS-Offiziere beziehe. Seine Antwort: „Es hängt davon ab, was sie getan haben.“ Die Schuld müsse „individuell beurteilt“ werden. „Bei Kriegsende gab es fast eine Million SS-Männer. Auch Günther Grass war in der Waffen-SS“, sagte Krah über den späteren Literatur-Nobelpreisträger. Und weiter: „Unter den 900.000 SS-Männern waren viele Bauern. Es gab gewiss einen hohen Prozentsatz an Kriegsverbrechern unter ihnen, aber nicht alle. Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war.“

Nun könnte man Krah fragen, was er unter einem „hohen Prozentsatz“ versteht. Man kann es aber auch sein lassen. Denn seine Worte tun einfach nur weh.

Der Politiker differenziert nicht, sondern tut so, als sei es für Mitglieder der SS im faschistischen Deutschland eine Gewissensentscheidung gewesen, ob sie sich fair oder unfair verhalten. Das ist falsch. Denn zweifellos war die SS eine kriminelle Vereinigung. Ihre Statuten verhöhnten die Menschenrechte, und ihre Mitglieder waren angewiesen, diese Worte in Taten umzusetzen. Sie erbauten KZ und Vernichtungslager, organsierten millionenfachen Mord. Sie zogen auch durch Frankreich und Italien und massakrierten die Zivilbevölkerung, wenn einem Franzosen oder einem Italiener die irre Idee kam, die Besetzung durch deutsche Soldaten nicht so nice zu finden und sich dagegen zu wehren – dann gab es bestrafende Pogrome. All dies war staatlich von oben herab verordnet. Die Frage ist also nicht, ob es Menschen mit gutem Charakter und wertschätzender Persönlichkeit in den schwarzen Uniformen mit dem Totenschädel auf der Mütze gab, sondern: Was sie machten – und was die Organisation machte, der sie freiwillig beigetreten waren. Es ist in Frankreich und Italien, überall, nicht bekannt, dass SS-Mitglieder irgendetwas taten, das nicht schlecht und böse war. Das ist der Fakt. Alles andere ist Geschwurbel. Für Krah aber ist das eine „falsche Verallgemeinerung“. Im nächsten Interview könnte er ja mal erläutern, wo er war, der gute Nazi. Krah versucht zu relativieren und auszuweichen. Dabei ist es ganz einfach, zwar schmerzhaft, aber eben machbar, als Nachgeborener zum menschlichen Scheitern seiner eigenen Leute zu stehen. Im Gegenteil: Daraus entsteht wahre Stärke, nicht durch das Getöse eines Schampus-Max.

Wie diese Affäre ausgeht, ist ungewiss. Davon auszugehen ist aber, dass die französischen und italienischen Rechten im Europäischen Parlament um Krah und die AfD einen Bogen machen werden. Sie wissen ja, was die SS in ihren Ländern vollbrachte. Und natürlich ist es auch strategisches Geschick, sich nun vor den eigenen Wählern als „nicht so rechts wie die AfD“ darzustellen.

Der Rechtsaußen-Pfau wird also erstmal sein Gefieder einfahren und hoffen, dass die Teflonpanzerung hält. Falls ja, wird es bald das nächste Interview geben.