Kommentar: Was macht die AfD eigentlich mit ihren Wählerstimmen?

Die Rechtspopulisten haben durchaus Pläne. Bleibt die Frage, ob die sich mit den Wünschen ihrer Wähler decken. Was erhalten diese also, wenn sie sich für die AfD entscheiden? Wir haben mal nachgeschaut.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Kommentar: Was macht die AfD eigentlich mit ihren Wählerstimmen?
Maximilian Krah, frisch gewählter Spitzenkandidat der AfD fürs Europäische Parlament, beim Parteitag in Magdeburg am vergangenen Wochenende (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Vom römischen Historiker Tacitus ist der Bericht überliefert, die Germanen würden bei ihren Ratssitzungen immer Wein trinken. Sie glaubten, schrieb er vor knapp 2000 Jahren, betrunken könne man nicht mehr effektiv lügen. Beim AfD-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende brauchten die Kader keinen Wein, um wahrhaftig zu sein.

Gerade kann die Partei vor Kraft kaum laufen. Die Umfragen sehen sie stabil rund um 20 Prozent – ein Faktor in der Politik. Und die Rechtspopulisten freuen sich über die „Brandmauer“-Debatte der anderen Parteien und ihre Unsicherheit im Umgang mit der AfD, die bei ihren Wahlerfolgen immer schwieriger zu meiden ist. Vogel-Strauß-mit-Kopf-im-Sand geht nicht mehr. Ging eigentlich nie. Aber es ist eben jetzt evident.

AfD-Politikerin brachte "Reichsbürger" in Bundestag

Was macht also die Partei mit dem Wählervertrauen? Welche Politik wird sie mit wem machen, in Deutschland und in Europa? Dies sind zwei berechtigte Fragen, denn die AfD erntet gerade in den Umfragen ein Wohlwollen, das sich nicht wirklich aus ihrem Parteiprogramm speist. Das ist vielen Wählern herzlich unbekannt.

Die nicht mehr ganz neue AfD verkauft sich aktuell erfolgreich als „Alternative“ zu den „Altparteien“, also als ein Nein gegenüber dem Status quo, der von Einigen als nicht mehr zufriedenstellend empfunden wird: die Digitalisierung, die Inflation, die immer buntere Gesellschaft, der Krieg. Wem das alles zu viel wird, der lehnt erstmal ab – unabhängig davon, wie das eigentlich gehen soll. Aber nein heißt erstmal nicht ja zu etwas Anderem. Dies gilt indes vielleicht für den Wähler, aber nicht für eine Partei. Die muss immer für sich klarmachen, wofür sie einsteht. Das tut auch die AfD.

Die Proteste gegen die AfD halten an (Bild: Reuters)
Die Proteste gegen die AfD halten an (Bild: Reuters)

Seit 2013 kennt die Partei nur eine Richtung. Das Rechte und direkt Völkische haben sich durchgesetzt. Heißt: eine Politik gegen Arbeitnehmer und Arbeitsuchende, gegen Alleinerziehende, gegen Frauen, gegen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte in der Familie; eine Politik der Abgrenzung und der Liebedienerei gegenüber ausländischen Mächten wie Russland und China, die Deutschland nicht wohlgesonnen sind. Die aktuelle Brandmauerdebatte erscheint allein deshalb etwas komisch, da die AfD selbst die größte Brandmauer errichtet hat. Sie hat sich eingemauert.

Was nicht geht, geht nicht

Denn die Völkischen in der Partei, die nun den Apparat steuern, können und wollen nicht anders. Sie können sich nicht elastisch umetikettieren wie die Fratelli d’Italia in Italien, wie der Rassemblement National in Frankreich – und selbst die durchaus megaschrill auftretende FPÖ in Österreich wirkt staatstragender. Die AfD kann nur Megafon. Kompromisse sind für sie nicht nur wenig sexy, sie kann sie nicht. Allein dieser Mangel an politischer Kompetenz disqualifiziert sie für eine engere Zusammenarbeit.

Wenn die AfD also bei den kommenden Europawahlen die aktuellen 20 Prozent der Stimmen erhalten sollte, würden um die 20 Abgeordnete von ihr nach Straßburg und Brüssel gehen. Dort werden sie sich in einer seltsamen Mission befinden: an der Abschaffung von sich selbst. Denn das EU-Parlament ist ein wichtiges Element der Union. Nur will die AfD es abschaffen. Dass die Forderung danach am Ende aus dem Beschlussantrag gestrichen wurde, erklärten Kader mit redaktionellen Fehlern – im Vertuschen müssen sie noch üben.

Gefahren allerorten

Dass EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah Datingtipps gibt und „echte Männer“ rechts sieht, wirkt noch süß – wobei sich die Frage aufdrängt, was echt heißt und was mit „linken Männern“ ist; Krahs Männlichkeitsbild erscheint denkwürdig fragil.

Aber woanders ist er kernig. Als Antwort auf den Pride Month fiel ihm der Witz ein, wie die Taliban jenen an der US-Botschaft in Kabul beendeten (die Vorstellung Krahs mit Kalaschnikow und seinen Scheitel verbergendem Turban kommt mir indes wenig herrisch vor). Er findet die Besetzung Tibets durch China toll, mag Putins Kreml und sieht in Deutschland eine Umvolkung am Werke, als könnte man Menschen umtopfen wie ein Stiefmütterchen.

Maximilian Krah (Bild: Reuters)
Maximilian Krah (Bild: Reuters)

Die Nummer 2 hinter ihm, Petr Bystron, fluchte auf dem Parteitag gegen „Globalisten“, welche die Bürger „zwangsimpfen“ wollten. Hinter dem Begriff „Globalist“ verbirgt sich das Raunen von der angeblichen Existenz einer transnationalen „Elite“, die unsere Geschickte heimlich lenkt. Und „zwangsimpfen“, was es nie gab, half gegen Corona.

Weiter im Programm bei anderen Kandidaten: ein einziges Überbieten im Malen eines europäischen Schreckgebildes. Diese Leute wollen nach Straßburg, gut verdienen – und dann was? Gehen sie auf Spurensuche nach den „Globalisten“? Engagieren sie ein Detektivbüro? Wer die AfD demnächst wählt, entscheidet sich für ein Nein. Aber wird man von Mauersteinen satt?