Ein Jahr GroKo oder: ein fast verlorenes Jahr

Am 12. März 2018 unterzeichneten die Unionsparteien und die SPD den Koalitionsvertrag. Was die Bundesregierung in ihrer Amtszeit bislang erreicht hat. Eine Bilanz.

Angela Merkel (CDU) hat ihren präsidialen Regierungsstil im ersten Jahr ihrer vierten Koalition fortgesetzt. Aus den Niederungen der Tagespolitik versucht sie sich rauszuhalten. Doch in diesem Jahr hat sich immer deutlicher gezeigt, was sich schon zuvor andeutete: Das Prinzip stößt zunehmend an Grenzen, durch ihre zögerliche Art eskalieren Konflikte.

So wäre im Sommer nicht nur die Große Koalition fast am Ende gewesen wegen des Streits um die Flüchtlingspolitik. Auch die Fraktionsgemeinschaft der Union stand wegen des Konflikts von Merkel und Horst Seehofer auf der Kippe. Dabei zeigte sich auch die schwindende Macht von Merkel.

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Während sich Merkel vor allem um die große Außenpolitik kümmert, richtet sich das Handeln von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) vor allem an der Frage aus, was der SPD bei ihrem Überlebenskampf helfen könnte. Einerseits gibt Scholz den strengen Kassenwart, der die schwarze Null als gesetzt ansieht und der in Brüssel bei den Euro-Reformen deutsche Interessen durchsetzt.

Europapolitisch gab es anders als von vielen europäischen Partnern erhofft nur Minireformen. Andererseits macht Scholz sich für sozialdemokratische Herzensanliegen wie einen höheren Mindestlohn und sichere Renten stark.

Dabei gerät er aber in Konflikte: Seine schnelle Festlegung, die Grundrente sei finanzierbar, erschwert ihm nun die Haushaltsverhandlungen. Es zeigt sich, dass Vizekanzler und Finanzminister eine schwierige Kombination ist.

Peter Altmaier: Viele offene Baustellen

Peter Altmaier
Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, spricht bei der Verbandstagung des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). (Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) liebt den großen Auftritt. Erst vor wenigen Wochen präsentierte er mit viel Tamtam seine „Industriestrategie 2030“. Seine Pläne, nationale und europäische Champions zu schaffen, sind umstritten und vage. Altmaiers Herzensanliegen, der Aufbau einer deutschen Batteriezellfertigung, hat sich noch nicht erfüllt.

Auch beim digitalen Fortschritt muss er mehr liefern. Sein Entwurf für eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, mit dem auch auf die veränderten Bedingungen der Plattformindustrie eingegangen werden soll, steht aus. Immerhin hat die Bundesregierung eine große Strategie zur Künstlichen Intelligenz beschlossen.

Den Fahrplan für einen Kohleausstieg ließ Altmaier von einer Kommission erarbeiten. Das Ergebnis, das sein Haus nun in Gesetzesform bringen muss, kostet die Steuerzahler in den nächsten Jahrzehnten viele Milliarden. Teurer hätte der Ausstieg kaum werden können. Der Minister hat in den vergangenen Monaten alles darangesetzt, den Ausbau der Stromnetze voranzubringen. Ob die erhofften Beschleunigungen Realität werden, muss sich noch erweisen.

Horst Seehofer: Warten auf Taten

Horst Seehofer
Horst Seehofer, Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, während einer Pressekonferenz. (Bild: Michael Kappeler/dpa)

Er ist Innenminister, Bauminister, Heimatminister. Kein anderer in der Koalition hat eine solche Aufgabenfülle zu bewältigen wie Horst Seehofer (CSU), der bis 19. Januar auch noch CSU-Chef war. Vor allem in den ersten Regierungsmonaten machte der Minister als Mann für Scheindebatten und Symbolpolitik von sich reden.

Den Streit über Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze trieb er so auf die Spitze, dass die Fraktion von CDU und CSU fast daran zerbrochen wäre. Dass das Bauministerium in dieser Legislaturperiode auf Seehofers Wunsch hin dem Innenministerium zugeschlagen wurde, gilt nicht gerade als Glücksgriff.

Es sei sicherlich „nicht der klügste Zuschnitt“, sagte jüngst sogar CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Als Bauminister hat Seehofer vor allem mit dem Baukindergeld von sich reden gemacht. Andere Initiativen lassen auf sich warten. Auch die Abteilung Heimat hat sich bislang auf die Ankündigung beschränkt.

Jens Spahn: Teuer und hyperaktiv

Jens Spahn
Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit, spricht während der Veranstaltung "Gesund leben in Dresden". (Bild: Robert Michael/dpa)

Seit Jens Spahn seine Ambitionen auf den CDU-Vorsitz begraben musste, sucht er die Profilierung im Ministeramt. Gesundheitspolitiker im Bundestag stöhnen, dass sie bei seiner Hyperaktivität kaum hinterherkommen. Die Beitragsparität in der gesetzlichen Krankenversicherung – ein SPD-Projekt – ist eingeführt, ein Gesetz für mehr Pflegestellen in Kraft, das mit Änderungsanträgen überfrachtete Terminservicegesetz soll der Bundestag am Donnerstag verabschieden.

Spahn treibt die Digitalisierung des Gesundheitswesens voran und scheut weder Konflikte mit den Kassen (Zusatzbeiträge) noch mit deren Selbstverwaltung (Wer bestimmt über Kassenleistungen?). Mit dem Geld geht er nicht gerade sparsam um: Der Pflegebeitrag ist gestiegen, finanzielle Anreize sollen für raschere Arzttermine sorgen.

Hubertus Heil: Arbeiten wie ein Uhrwerk

Hubertus Heil
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, spricht mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines Bürgerdialogs. (Bild: Carmen Jaspersen/dpa)

Sein Ministerium brauche keine Aufforderung, fleißig zu sein, sagte Hubertus Heil kürzlich auf die Frage, wann endlich das Gesetz für flexiblere Arbeitszeiten komme. Fast wie ein Uhrwerk hat das Arbeitsministerium zu Beginn der Legislatur sein Pflichtenheft abgearbeitet: die Stabilisierung des Rentenniveaus, die Brückenteilzeit, der soziale Arbeitsmarkt, die Qualifizierungsoffensive oder die Senkung des Arbeitslosenbeitrags sind seit Jahresbeginn in Kraft.

Wenn die SPD sich als soziales Gewissen der Nation verkaufen will, ist es Heil, der liefern muss. Bei der Grundrente und der Regulierung befristeter Jobs wird sein Tatendrang nun aber merklich von der Union gebremst. Zu tun bleibt dennoch genug, etwa die Einbeziehung von Selbstständigen in die Rentenversicherung – oder besagtes Arbeitszeitgesetz.

Anja Karliczek: Minimaler Output

Anja Karliczek
Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, spricht mit Journalisten. (Bild: Kay Nietfeld/dpa)

Sie war die Überraschungskandidatin Merkels. Doch bisher ist Anja Karliczek (CDU) vor allem mit minimalem Output aufgefallen – obwohl sie über den fünftgrößten Etat verfügt – 18 Milliarden Euro. Im ersten Jahr lieferte sie gerade mal einen Gesetzentwurf zur Bafög-Anpassung, der weit wichtigere zur Reform der Berufsbildung – inklusive des Mindestlohns für Azubis – lässt weiter auf sich warten.

Zu tun gäbe es genug: Von der Konkretisierung der KI-Strategie über den Hochschulpakt bis zur Weiterentwicklung der Hightech-Strategie und der Transfers aus den Hochschulen. Bisher ist auch der Digitalpakt für die Schulen mit den Ländern nicht unterschrieben, für den das Grundgesetz schon geändert wurde.

Was Karliczek allerdings geschafft hat, ist, sowohl den Koalitionspartner als auch Wirtschaft, Gewerkschaften und Hochschulrektoren zu verärgern.

Svenja Schulze: Gegen den Koalitionspartner

Svenja Schulze
Svenja Schulze, Bundesumweltministerin, gibt ein Fernsehinterview. (Bild: Christoph Soeder/dpa)

Wichtigstes Projekt von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) ist das geplante Klimaschutzgesetz. Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD bis Ende 2019 ein Gesetz verabschieden, mit dem Deutschland seine Klimaziele 2030 erreicht. Doch bei der Umsetzung knirscht es.

Im Zeitplan ist die Koalition schon seit einiger Zeit nicht mehr. CDU/CSU tun sich beim Thema Umweltschutz schwer und bewegen sich nur langsam. Schulzes ersten Entwurf kritisierten sie als „Planwirtschaft pur“.

Doch die Ministerin lässt sich nicht beirren. Sie weiß, dass an einem Klimaschutzgesetz kein Weg vorbeiführt, auch um internationale Abkommen zu erfüllen. Sollte sich die Koalition zu einer Klimaklausur treffen, wie von Wirtschaftsminister Altmaier gefordert, wäre das Schulzes Verdienst.

Heiko Maas: Ziemlich norddeutsch

Heiko Maas
Außenminister Heiko Maas spricht auf einer Veranstaltung im Auswärtigen Amt. (Bild: Wolfgang Kumm/dpa)

Es ist schwer, aus dem Gesicht von Heiko Maas (SPD) Begeisterung herauszulesen. Brennt er für das, was er tut? Wenn ja, lässt sich das der Außenminister selten ansehen. Im Auswärtigen Amt sind sie dennoch sehr zufrieden. Maas hat den Vorteil, kein Sigmar Gabriel zu sein, der Diplomaten mit seiner Sprunghaftigkeit zur Verzweiflung trieb. Für einen Saarländer wirkt Maas ziemlich norddeutsch, ruhig und unkompliziert.

Niemand kann ihm vorwerfen, keine Ideen vorzubringen. Zunächst forderte er mehr Distanz zu Russland, es folgten Aufrufe, eine Allianz des Multilateralismus zu schmieden und das Verhältnis zu den USA neu zu vermessen. Offen ist, ob er das, was er anstößt, zu Ende bringt.

Auf höchster Ebene wird Diplomatie auch von persönlicher Chemie getragen, das ist ein Problem: Mit seiner Reserviertheit gibt Maas Gesprächspartnern selten das Gefühl, an einer engen Partnerschaft interessiert zu sein.

Ursula von der Leyen: Lücke in der Verteidigung

Ursula von der Leyen
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht die Nordische Ski-WM in Seefeld. (Bild: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa)

Der Bundeswehr verspricht der Koalitionsvertrag besseres Material und mehr Geld. Außerdem soll der Verteidigungshaushalt erhöht werden. Dadurch soll die Zusammenarbeit mit der Nato gestärkt werden. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat das Gesetz zur Unterstützung der Soldaten vorgelegt.

Auch bei der Ausrüstung der Soldaten gibt es Fortschritte. Bei den Waffensystemen wurden die Ziele bislang noch nicht erreicht. Besonders zäh gestaltet sich das gleichmäßige Ansteigen des Verteidigungshaushalts: In den aktuellen Etatverhandlungen klafft eine 25 Milliarden-Lücke zwischen von der Leyens Wünschen und den Vorgaben des Finanzministeriums.

Innerhalb der Bundesregierung ist von der Leyen geschwächt: In der Berateraffäre muss sie sich einem Untersuchungsausschuss stellen. Die für die Modernisierung der Bundeswehr wichtigen IT-Projekte stocken.

Franziska Giffey: Unternehmen im Visier

Franziska Giffey
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey spricht während einer Pressekonferenz über das Konzept zum neuen Jugendfreiwilligenjahr. (Bild: Britta Pedersen/ZB/dpa)

Der SPD-Ministerin Franziska Giffey ist es mit ihrem Gute-Kita-Gesetz gelungen, dass rund 5,5 Milliarden Euro für mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung vom Bund an die Länder fließen. Inhaltlich ist das Gesetz umstritten. Kritiker monieren, statt für Qualität der Kitas werde für Beitragsbefreiung der Eltern zu viel Geld ausgegeben.

Giffey hat zudem Unternehmen ins Visier genommen, die beim Ziel, Frauen für Vorstandsposten einzustellen, entweder keine Angaben gemacht oder die Zielgröße „null“ gemeldet haben. Den Verweigerern sollen künftig hohe Bußgelder drohen.

Überschattet wird Giffeys Wirken von den Vorwürfen der Internet-Plattform „VroniPlag“, sie habe in ihrer Doktorarbeit gegen Zitierregeln verstoßen. Die Ministerin hat die Freie Universität Berlin um eine Prüfung gebeten. Ein Dämpfer für die Hoffnungsträgerin der SPD.

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