"Können machen, was sie wollen": ARD-Doku zeigt, wie die Migrationspolitik den Schleppern nutzt

Reporterin Isabel Schayani reiste im Rahmen ihrer Recherchen zur Reportage "ARD Story - Deutschland am Limit?" durch ganz Europa. (Bild: WDR / Mareike Wilms)
Reporterin Isabel Schayani reiste im Rahmen ihrer Recherchen zur Reportage "ARD Story - Deutschland am Limit?" durch ganz Europa. (Bild: WDR / Mareike Wilms)

Zwischen "kriminellen Reisebüros" und "Scheindebatten": In einer ARD-Reportage zum Thema Migration schlagen diverse Experten Alarm. Bei der europäischen Grenzschutzagentur Frontex will man sich dennoch nicht entmutigen lassen.

Schwerstkriminelle und Gefährder sollen künftig auch in unsichere Länder wie Afghanistan und Syrien abgeschoben werden dürfen. Das forderte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner jüngsten Regierungserklärung - und goss der permanent vor sich hin schwelenden Migrationsdebatte neues Öl ins Feuer. Passend dazu stellt Reporterin Isabel Schayani in einem neuen Ableger der "ARD Story" die Frage: "Deutschland am Limit?" (ab sofort in der Mediathek verfügbar).

"Die Zuweisungen gehen immer weiter, ohne Rücksicht", stöhnt Sozialarbeiter Thomas Werner-Dicke in der 45-minütigen Reportage. "Die Kapazitäten hier sind erschöpft." Das gilt nicht für das rheinland-pfälzische Lohmar, wo es unter anderem eine Asyl-Siedlung mit etwa 200 Menschen aus 30 Nationen gibt. Auch im Kreis Görlitz bestätigt Falk Werner Orgus der Filmemacherin, man sei im "Krisenmodus seit 2021". Migrationsexpertin Victoria Rietig sieht es ähnlich: "Die Situation der Ausländerbehörden ist eine der dringlichsten Probleme, die Deutschland angehen müsste. Aber wir tun es nicht."

Die Kapazitäten im deutschen Asylwesen sind begrenzt, nicht nur im rheinland-pfälzischen Lohmar. (Bild: WDR / Mareike Wilms)
Die Kapazitäten im deutschen Asylwesen sind begrenzt, nicht nur im rheinland-pfälzischen Lohmar. (Bild: WDR / Mareike Wilms)

Migrationsforscher warnt vor "völliger Illusion"

Zum Krisenmodus tragen aber nicht nur schwindende Kapazitäten, sondern auch das zunehmend zerrüttete Verhältnis zwischen Staat und Bürgern bei. In Rosenthal, einem Dorf mit 120 Einwohnern nahe Zittau, sollte eine Notunterkunft 150 bis 200 jungen Männern aus dem arabischen Raum Zuflucht gewähren. Doch das Vorhaben wurde von einer Bürgerinitiative verhindert. "Die hierherkommen, leben alle von unserem Geld", heißt es von den Initiatoren. Oder: "Warum müssen wir immer erst im ganz großen Stil anderen helfen?"

Der politische Reflex auf steigende Asylzahlen lautete in den vergangenen Jahren immer wieder ähnlich: verschärfter Grenzschutz, stärkerer Fokus auf Schlepperbekämpfung. "Zu denken, man würde das Problem lösen, wenn man immer dasselbe macht, ist eine völlige Illusion", verurteilt Professor Hein de Haas, Migrationsforscher an der Universität Amsterdam dieses Vorgehen. Es habe sich bereits gezeigt, dass es so nicht funktioniere. Teil einer Lösung könne laut de Haas sein, dass Nachbarländer von Staaten, aus denen viele Flüchtlinge kommen, besser unterstützt werden.

Mit verschärftem Grenzschutz versucht nicht nur die deutsche Polizei, illegale Migration zu bekämpfen. (Bild: WDR / Mareike Wilms)
Mit verschärftem Grenzschutz versucht nicht nur die deutsche Polizei, illegale Migration zu bekämpfen. (Bild: WDR / Mareike Wilms)

"Kriminelle Reisebüros" fordern Polizei europaweit heraus

Im Mittelpunkt der Asyldebatte stehen immer wieder Schlepper - und das nicht ohne Grund, wie die ARD-Reportage offenbart. Seit Jahren nehmen Schlepperbewegungen dazu, ironischerweise gerade wegen der verschärften Migrationspolitik, wie Expertin Rietig erklärt: "Die Rolle von Schleppern wird immer wichtiger, je schwieriger ich es mache, ohne Schlepper zu migrieren." Den kriminellen Seilschaften auf die Schliche zu kommen, erweist sich derweil als schwierig, oft werden nur kleine Fische des "kriminellen Reisebüros" (Bundespolizist Steffen Ehrlich) dingfest gemacht.

Frontex-Leiter Hans Leijtens erklärt: "Schlepper haben einen Wettbewerbsvorteil. Sie können machen, was sie wollen." Für die Köpfe hinter den Netzwerken sei internationale Zusammenarbeit nötig, die aber kompliziert sei. Dennoch will Leijtens sich nicht entmutigen lassen: "Kleine Fische destabilisieren das Netzwerk." Bei aller Relevanz für das Thema beurteilt Victoria Rietig die Schlepperproblematik im Film als "rhetorisch aufgebraucht". Es brauche stattdessen neue Ansätze.

Kein gutes Haar lässt die Expertin an der deutschen Regierung auch an einem anderen Punkt: "Ich halte es für eines der größten Versäumnisse der Regierung, dass die Gründe für das Scheitern von Abschiebungen nicht transparenter aufziseliert werden." Stattdessen würden "ständig Scheindebatten" geführt. Dies wiederum könne laut Migrationsforscher Hannes Schammann schwerwiegende Konsequenzen haben, wenn die "Kluft zwischen dem, was ich ankündige und was ich umsetzen kann" immer größer werde. Schammann: "Wenn ich das häufig mache, verliert die Bevölkerung Vertrauen in die Regierung und dann irgendwann ins politische System."