Es wird kein Sommermärchen werden

Nimmt man den Bundestrainer als Stimmungsbarometer, ist kurz vor Start der Heim-Europameisterschaft vor allem eines sonnenklar: Der Druck ist spürbar.

Natürlich ist wenige Stunden vor dem Anpfiff eines großen Turniers die Anspannung im Gastgeberland hoch. Und doch hat man den Eindruck, als braue sich da etwas übers Normalmaß hinaus zusammen.

Ein deplatzierter Appell an die Medien

Julian Nagelsmann, gewöhnt ans Rampenlicht und eigentlich die Lockerheit in Person, wirkte auf der Abschlusspressekonferenz am Vorabend des Schottland-Spiels bissig, fast gereizt. Natürlich weiß er, wie groß die Erwartungshaltung im Land ist. Sein Appell an die Medien, es mögen doch bitte alle zusammenhalten für das Gelingen der Mission, wirkte aber deplatziert. Da ist Nagelsmann, bei allem Respekt, schief gewickelt. Schlechte Presse kann er nur verhindern, indem seine Mannschaft tut, was sie tun soll: guten, erfolgreichen Sport bieten und die Gebote der Fairness beachten.

Das wird nach den frustrierenden Auftritten der letzten Jahre schwierig genug – mehr darf man aber auch nicht erwarten.

Missstände werden nicht auf Knopfdruck behoben

Und das wäre eigentlich die wichtigere Botschaft gewesen: Die Missstände in diesem Land, wozu in den letzten Jahren auch die Performance der Nationalmannschaft zählte, werden nicht auf Knopfdruck behoben, wenn erstmal der Ball rollt.

Allen, die an die letzte WM im eigenen Land zurückdenken und sich einen ähnlich rauschhaften Sommer erwarten, sei gesagt: Vergesst es! Die EM wird kein Sommermärchen werden.

Der Vergleich mit 2006, weit vor der Zeitenwende, ist schlicht unfair. Und in dieser überhöhten Erwartungshaltung liegt die große Gefahr, eine Enttäuschung zu erleben. Wohin eine Politisierung von Deutschlands wichtigster Sportmannschaft führt, hat man bei der verkorksten WM in Katar gesehen.

Es geht nur um Fußball

Und nun? Eine gespaltene Gesellschaft einen, die Wirtschaft flottkriegen, die Bahn pünktlich machen und am besten noch das trübe Wetter fixen – warum nicht gleich die Kriege dieser Welt beenden und den Klimawandel aufhalten?

Es geht nur um Fußball. Mit all seinen branchenüblichen Freuden und Schattenseiten. Die UEFA hat die Vermarktung des Turniers gewohnt eisern im Griff, größere infrastrukturelle Maßnahmen sind angesichts des (lobenswerten!) Nachhaltigkeitskonzepts gar nicht erst angegangen worden. So lässt sich mit gutem Willen die positive Botschaft aussenden, dass dem Gigantismus des Geschäfts Grenzen gesetzt werden können. Aber langfristige Effekte abseits des Sports auf die Stimmung im Land darf man in diesen Zeiten von der EM einfach nicht erwarten.

Das muss keine schlechte Nachricht sein. Freuen wir uns auf eine temporäre Ablenkung von elementaren Dingen. Oder, noch positiver formuliert: darauf, dass der Sport im Mittelpunkt steht.