"Das ist kein Verein, das ist ein Gefühl": So fand der FC Schalke 04 "zurück zum Wir"

"Schalke 04 - Zurück zum Wir" zeigt, was den Club und seine Fans wirklich ausmacht. (Bild: RTL / FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. & Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH)
"Schalke 04 - Zurück zum Wir" zeigt, was den Club und seine Fans wirklich ausmacht. (Bild: RTL / FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. & Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH)

Tränen der Trauer, Tränen der Freude: Die Schalke-Dokuserie "Zurück zum Wir" nimmt alle, die es mit Königsblau halten, mit auf die Achterbahnfahrt durch die vergangene Spielzeit, die unschön begann, aber am Ende vom Wiederaufstieg gekrönt wurde.

Nur damit die Größenverhältnisse dieser Serie über den derzeit ja nicht ganz so erfolgreichen Ruhrpottclub geklärt sind: Wir reden hier nicht in Kategorien von aktuellen Ergebnissen und Tabellenplätzen, sondern über den großen FC Schalke 04 - den (nach dem FC Bayern und Benfica Lissabon) drittgrößten Fußballverein der Welt. S04 hat über 160.000 Mitglieder! Die Schalker hatten lange das Selbstverständnis eines Champions League-Clubs, sie blicken als siebenfacher Deutscher Meister und fünfmaliger Pokalsieger aber nicht nur auf eine bewegte sportliche Historie zurück, der Verein gilt auch als Eckpfeiler des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens ganz tief im Westen. Was wäre der Pott ohne Schalke? Und was wäre Schalke ohne dieses eigentümliche Umfeld der sich immer noch neu erfindenden Bergbauregion? - Einen "Arbeiterverein" wie diesen könnte es außerhalb des Schmelztiegels zwischen Emscher und Ruhr wohl gar nicht geben.

Schalke 04 ist eine Institution, und, hier darf man's ohne Übertreibung sagen, der Club ist Kult. Daran hat auch der von diversen Dramen und vielen Tränen begleitete Abstieg in die zweite Liga nichts geändert. Nun sind die finanziell klammen Knappen nach einer aufregenden Saison 2021/2022 zwar schon wieder zurück im Oberhaus, Probleme gibt es aber nach wie vor reichlich. Sie werden in der ab 15. September bei RTL+ bereitgestellten Doku nicht verschwiegen.

Aber natürlich steht hier die Aufstiegssaison im Fokus, natürlich ist "Zurück zum Wir" vor allem ein Erbauungsprogramm für Fans: Ohne Ende pathetische Zeitlupen, Nahaufnahmen von den Protagonisten in der Kabine, auf den Rängen, auf den Straßen, in der Vereinszentrale, der Imbissbude - oder auch mal in Wohnzimmer und Garten von Stars wie Torjäger Simon Terodde: Emotionen allüberall. Fast wie im "Sommermärchen". Nur viel größer, wichtiger, schöner - werden die Schalke-Fans sagen.

Das neue Wir-Gefühl war vermutlich der entscheidende Faktor für den Wiederaufstieg des FC Schalke 04 in die Bundesliga: Alle freuen sich mit Torjäger Simon Terodde, den Mann mit der Kanone. (Bild: 2022 Getty Images/Alexander Hassenstein)
Das neue Wir-Gefühl war vermutlich der entscheidende Faktor für den Wiederaufstieg des FC Schalke 04 in die Bundesliga: Alle freuen sich mit Torjäger Simon Terodde, den Mann mit der Kanone. (Bild: 2022 Getty Images/Alexander Hassenstein)

"Demütigung für alle, die Königsblau lieben",

Alles beginnt angemessen sakral: mit einer feierlichen Taufe in der - ja, so etwas gibt es - Kapelle auf Schalke, just am Tag nach dem glorreichen 3:2-Heimsieg gegen den FC St. Pauli, der den sofortigen Wiederaufstieg unter Dach und Fach brachte. Wie selbstverständlich fallen schon in den ersten Sequenzen Sätzen wie: "Für mich bedeutet Schalke alles." Und: "Das ist kein Verein, das ist ein Gefühl." Das königsblaue Glück kommt gleich mal in ganz hohen Dosen über den Äther. Doch dann der messerscharfe Schnitt: Die Kameras blenden auf das Szenario ein Jahr zuvor - auf den Abstieg, auf die hässlichen "Jagdszenen" an der Arena, als Chaoten sich des nächtens handfest mit einigen Spielern angelegt hatten. Der Abstieg und die ganzen elenden Umstände - es war "eine Demütigung für alle, die Königsblau lieben", wie der Sky-Reporter im April 2021 nach der 0:1-Niederlage bei Arminia Bielefeld konstatierte.

Egal, ob im Stadion oder daheim auf der Couch: Jeder, der es mit Schalke hält, war zu diesem Zeitpunkt längst in tiefe Agonie verfallen. Was für Monate lagen hinter diesem Verein! Was für ein emotionaler Höllenritt! Erst waren da ungläubiges Staunen und Enttäuschung über eine 0:8-Auftaktklatsche bei den Münchner Bayern, die (mit drei ehemaligen Schalkern in ihren Reihen, Leon Goretzka, Manuel Neuer und Leroy Sané!) groß aufspielten. Dann folgte die Wut angesichts der weiteren Saisonleistungen, tiefe Trauer, weil sich das Unvermeidliche abzeichnete, und schließlich stellte sich ein Zustand der absoluten Genervtheit ein, der sich mit Worten kaum mehr beschreiben lässt.

Man hat es eigentlich nicht mehr ertragen können. - Doch welcher echte Fan kann schon wegsehen, wenn am Wochenende der Ball rollt? - Das ist das Perfide daran: In allen anderen Lebenslagen würde man das Schädliche tunlichst aus dem Leben verbannen - aber Schalke wirst du nicht einfach so los. Wie auch immer: Die Allermeisten waren im Frühjahr 2021 vermutlich auch irgendwie froh, dass diese entsetzliche Spielzeit endlich ihrem unausweichlichen Ende entgegenging. Es hatte etwas Erlösendes.

Aber natürlich mangelte es zum unschönen Finale nicht an Tränen. Gerald Asamoah ist einer jener, die damals sehr viel geweint haben. Vor der Kamera schämt er sich auch in der RTL+-Doku nicht dafür. Aber, so bringt es der ehemalige Nationalspieler, der heute zum Trainerstab des S04 gehört, empathisch auf den Punkt, am schlimmsten hat es die Fans getroffen. "Die haben gelitten daheim vor dem Fernseher und jede Woche einen neuen Schlag ins Gesicht bekommen."

Endlich wieder Jubel vor der Nordkurve: "Zurück zum Wir" ist ab 15. September bei RTL+ im Programm. Die Schalke-Doku erzählt vom Wiederaufstieg des Ruhrpottclubs. (Bild: RTL / FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. & Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH)
Endlich wieder Jubel vor der Nordkurve: "Zurück zum Wir" ist ab 15. September bei RTL+ im Programm. Die Schalke-Doku erzählt vom Wiederaufstieg des Ruhrpottclubs. (Bild: RTL / FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. & Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH)

"Hier bist du mit dem Herzen"

"Zurück zum Wir" fokussiert die Aufstiegssaison - chronologisch, entlang am sportlichen Geschehen. Aber zunächst lotet die Dokuserie eben auch die finstere Talfahrt der Knappen in sämtlichen Facetten aus. Zu Recht, denn zu begreifen, was da mit diesem Verein, seinen Fans und den Verantwortlichen passiert ist, ist essenziell, um den ganzen Rest bis hin zur totalen Aufstiegseuphorie zu verstehen. Dass die Bedeutung der Genese dieses Fußballvereins weit über das rein Sportliche hinausgeht, wird dabei nicht unter den Teppich gekehrt. Schalke - das ist nicht nur Fußball, sondern eine große Sache.

Die Schalker Depression, sie zerrte durchaus mit Macht am Selbstverständnis einer ganzen Region, die ihr Glück schon seit so vielen Jahren eben auch auf den Fußballplätzen der vielen Proficlubs im Westen sucht. Hier wurde die Phrase vom Malochen geboren, Schickimicki ist anderswo zu Hause, Gelsenkirchen gilt als die ärmste Stadt Deutschlands. Dort, weiß der zwischenzeitlich bekanntlich zum Aufstiegstrainer mutierte Ex-Profi Mike Büskens, "geht's nur um Fußball". Und der FC Schalke ist ein entscheidender Faktor - fürs Gefühl und für die Wirtschaft. Simon Terodde spricht gewiss nicht nur über die Spieler, wenn er sagt, Schalke sei "kein normaler Arbeitgeber, sondern hier bist du mit dem Herzen". In der vermaledeiten Abstiegssaison wurden so viele Herzen gebrochen. "Ich bin grau geworden", konstatiert der Sky-Reporter Dirk große Schlarmann, der es bekanntlich mit den Schalkern hält.

Die Dokumentation bietet einen Blick hinter die Kulissen - unter anderem ins Trainigslager der Mannschaft. (Bild: RTL / FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. & Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH)
Die Dokumentation bietet einen Blick hinter die Kulissen - unter anderem ins Trainigslager der Mannschaft. (Bild: RTL / FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. & Warner Bros. ITVP Deutschland GmbH)

"Den Verein wieder auf gesunde Füße stellen"

Ob graue Haare, depressive Schübe oder veritable Herzkasper: Dieses Schalke krankte auf ganzer Linie, aber man arbeitete sich wieder heraus aus dem Jammertal. Es war ein steiniger, mühevoller Weg, der ja nicht nur auf dem Platz vollzogen werden musste, sondern auf breiter Ebene, auch in den Köpfen aller Schalker. Der ganze Verein, gefühlt Stammgast in der Champions League der vergangenen 20 Jahre, war plötzlich auf den Boden der Tatsachen geknallt, beinahe weg vom Fenster. Aber er hat sich erstaunlich schnell wiedergefunden, neu sortiert - den Turnaround geschafft, wie sie in der Chefetage wohl sagen, auch was das Image angeht. Schalke fand "zurück zum Wir". Weder auf dem Platz, noch in der Vereinsführung ist der Club jetzt noch eine One-Man-Show. Die Kernbotschaft dieser fraglos mit viel Schalker Herzblut produzierten Fernsehdoku lautet: Es geht nur gemeinsam weiter!

"Unser Verein blickt auf eine in vielen Belangen historische Spielzeit zurück", befindet der Schalker Vorstandsvorsitzende Bernd Schröder. "Trotz aller Unsicherheiten und Zukunftssorgen hat die Vereinsführung im Frühjahr 2021, als der Abstieg schmerzte und kaum jemand von einem umjubelten Comeback zu träumen wagte, die weitsichtige Entscheidung getroffen, den größten Umbruch in der über 118 Jahre langen Vereinsgeschichte filmisch festhalten zu lassen."

Anfang September wurden die ersten beiden Folgen zum ersten Mal gezeigt - vor den Fans in der Arena auf Schalke. "Als wir die Anfrage bekommen haben, waren wir uns sehr schnell einig, dass wir das machen möchten", verriet bei dieser Gelegenheit Vorstandsmitglied Peter Knäbel im Live-Talk mit Moderator Jörg Seveneick. "Wir haben dabei nicht vorab gesagt, dass wir zeigen möchten, wie Schalke 04 wieder aufsteigt. Unsere Intention lag darin, dass wir dokumentieren, wie wir den Verein wieder auf gesunde Füße stellen."

Bedenken habe er vor Drehbeginn nicht gehabt, denn, so Knäbel, "wir sind ja im Ruhrgebiet. Und wenn man hier vernünftig arbeitet, dann kann man sich auch filmen lassen. Die Bilder sind nicht gestellt. Wir haben gesagt, wir zeigen uns, wie wir sind." Am Rande des Events sprach Knäbel von einem Geschenk, das den Fans mit der Produktion gemacht werde. Das sagt eigentlich alles aus über diese TV-Produktion, die echten Schalkern wohlig ans Herz greift. Der Mythos vom Schalker Markt hat ein neues Kapitel. Ja, so kann man dem Derby (am Samstag, 17. September, 15.30 Uhr, bei Borussia Dortmund) entgegenfiebern. Wer aber noch nie bei ausgeschaltetem Flutlicht das Steigerlied mitgesungen hat, wird mit all dem Pathos vermutlich nur sehr wenig anfangen können.

Ein Mann hat geliefert: Schalke-Stürmer Simon Terodde wurde erneut Torschützenkönig der Zweiten Bundesliga. Er hat einen großen Anteil am sofortigen Wiederaufstieg des Ruhrpott-Vereins. (Bild: 2022 Getty Images/Thomas Eisenhuth)
Ein Mann hat geliefert: Schalke-Stürmer Simon Terodde wurde erneut Torschützenkönig der Zweiten Bundesliga. Er hat einen großen Anteil am sofortigen Wiederaufstieg des Ruhrpott-Vereins. (Bild: 2022 Getty Images/Thomas Eisenhuth)