Kolumne von Susan Arndt - Als Horst im AfD-Stil über Nationalmannschaft lästert, kommt unerwarteter Held dazu

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FOCUS online/Privat/dpa: Rolf Vennenbernd

Unsere Kolumnistin hat sich ein EM-Spiel in einer Kneipe angeschaut. Dabei wütetete ein Mann im AfD-Stil gegen die deutsche Mannschaft. Sie konfrontierte ihn mit seinen Widersprüchen und bekam Hilfe von einem Dritten.

Die EM ist für mich ein Highlight dieses Sommers. Nicht das Gegeneinander ist es, das mich am Fußball fasziniert, sondern das Miteinander. Nicht die „Grauen Wölfe“-Schlachtrufe sind es, die für mich die Schönheit des Fußballs ausmachen. Es ist das Miteinander. Im Team. Oder beim Public Viewing, wo im Laufe eines Spielabends verschiedene Teams angefeuert werden.

Als ich das Viertelfinale England gegen die Schweiz in einer Kneipe in meinem Kiez anschauen ging, wurden vorab Ausschnitte der Pressekonferenz mit Bundestrainer Julian Nagelsmann ausgestrahlt und mit einem Verweis auf die von ihm vergossenen Tränen anmoderiert.

„Dieser Regenbogen-Fuzzi“

Das veranlasste einen Mann neben mir laut auszurufen: „Dieser Regenbogen-Fuzzi ist einfach nur ein Weichei, der unseren Fußball kaputt macht.“ Seine Regenbogen-Wut bezog sich natürlich auf die Regenbogen-Armbinde, welche der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft aus Protest gegen Katars Strafverfolgung von Homosexualität getragen hatte.

Zugleich sprach er mit Worten der AfD.  In seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“, das 2018 erstmals erschien und 2023 bereits sechs neue Auflagen hatte, beklagt AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, dass Deutschland darunter leide, dass es keine „natürliche Männlichkeit“ mehr gäbe. Männer würden „verschwulen“ und sie seien zu achtzig Prozent „Weicheier“.

Und während der EM sagte Höcke wiederholt und in der üblichen AfD-Widerspruchsrhetorik, dass er sich „nicht mehr mit unserer Nationalmannschaft identifizieren" könne, weil er Fußball ablehne, bei dem „aus jeder Pore die Regenbogenideologie quillt". Doch ist es nicht in sich krass widersprüchlich, sich nicht mit der Mannschaft identifizieren zu können und doch von „unserer“ (im Sinne von „Der Rest der Deutschen und ich“) zu sprechen. Und dass der Mann neben mir Höckes Spruch zitierte und dennoch ein Deutschland-T-Shirt trug und eine Deutschland-Fahne um seinen Hals gebunden hatte, war ebenso paradox.

AfD will Anhängern das Fan-Sein an sich leidig machen

Zumindest passt dies aus meiner Sicht nicht zum Ansatz der AfD, ihren Anhängern das Fan-Sein an sich leidig machen zu wollen. Kein Geringerer als der Hauptrepräsentant der AfD im Europäischen Parlament wetterte ja gegen diese europäischen Sportspiele. Ihm sei die Europameisterschaft egal, sagte Maximilian Krah wiederholt, und auch, dass die EM ignoriert werden solle. Denn die deutsche Elf sei „keine Nationalmannschaft“, sondern „eine politisch korrekte Söldnertruppe, eine Regenbogenmannschaft, eine Pride-Mannschaft“.

Mit diesem Zitat im Kopf und der Deutschlandflagge meines Banknachbarn vor Augen, frage ich diesen, ob er eigentlich für das deutsche Team gewesen sei. „Nee. Ganz gewiss nicht“, sagte er. „War auch klar, dass die verlieren. Mit diesen ganzen xxx.“ Das rassistische Wort, das er benutzte, mag ich hier nicht nennen.

Hass auf die eigene Fußballnationalmannschaft?

Zu ihm aber sagte ich: „Das also soll Ihre Alternative für Deutschland sein? Hass auf die eigene Fußballnationalmannschaft? Hass auf das eigene Land?“  Weil der Mann neben mir das mit einem aggressiven Abwinken statt mit einem Argument abwiegelte, konnten wir hören, was Bundestrainer Julian Nagelsmann sagte. Es klang nach genau der Ansprache, die ich mir schon lange vom Bundespräsidenten erhoffe. Er habe während der EM „eine Symbiose zwischen Mannschaft und den Menschen im Land“ erlebt. Er wünsche sich, dass dies „in weit wichtigeren Bereichen fortgesetzt“ werde.

In Deutschland zu leben, heißt, von der Sonnenseite der Welt sehr viel abzubekommen – ohne dass er bestehende Probleme verschweigen wolle. Doch: „Wenn wir immer nur in Tristesse verfallen und alles ist grau, alles ist schlecht, dann wird sich keiner verbessern, das gilt im Fußball wie in der normalen Gesellschaft.“ Jammertöne oder einseitige Schuldzuweisungen haben nicht das Potenzial, neue Wege zu bauen. Nach Zukunft aber klingt es, wenn Menschen einander unterstützen.

Plötzlich mischte sich Horsts Freund ein

„Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden“, sagte Nagelsmann, „ist er schneller fertig, als wenn er es alleine macht“.  Nun schossen auch mir Tränen in die Augen. Natürlich auch, weil mich die Wutstimmung des Mannes neben mir bedrückte. Dies musste ein anderer Mann mitbekommen haben. Denn er kam rüber zu mir und dem Regenbogen-Hasser und sagte zu diesem: „Horst, alter Junge. Leider muss ich da der ‚jungen Frau‘ mal recht geben. Ich lasse mir doch nicht verbieten, für wen ich bin.  Und Nagelsmann hat irgendwie doch recht mit der Hecke.“

Horst brummelte vor sich hin und dann kam der Mann auf die von Nagelsmann angesprochene Symbiose zu sprechen: „Jede Mannschaft ist nicht einfach nur so gut wie die Summe ihrer Spieler. Sie ist die Symbiose dieser. Tore gäbe es nicht ohne Pässe; und Pässe gäbe es nicht, ohne dass jeder einzelne Spieler genau wüsste, wo seine anderen 10 Freunde stehen. Er muss sie sehen, ernst nehmen, mit ihnen kommunizieren und ihnen vertrauen wollen und können. Eine Mannschaft verliert gemeinsam, aber auch gewinnen kann sie nur im und vom Miteinander. Und was 2021 Bukayo Saka und den anderen Unglücks-Elfmeterschützen angetan wurde, dass ist es, was dein Höcke heraufbeschwört.“

Noch wussten wir alle weder, dass Saka wenig später „The Three Lions“ ins Elfmeterschießen retten und bei diesem seinen sicher verwandeln würde – noch dass England sich bald darauf ins Finale schießen werde. Doch Rassismus sollte nicht dadurch widerlegt werden, dass ein Schwarzer Spieler in einem Match brilliert. Rassismus muss ganz grundsätzlich widersprochen werden – und zwar immer, wenn er sich breitbeinig in einen Raum stellt. Genau das hatte Horsts Freund getan und genau deswegen fühlte ich mich dann auch wieder wohler in der Public Viewing-Runde.

Nicht einfach nur wegen dem, was er konkret gesagt hatte. Es war der bloße Umstand, dass er sich überhaupt eingebracht hatte, den ich wertschätze. Denn, um es mal frei mit den Worten der US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw zu sagen: „Solange du denkst, dass das Problem eines anderen Menschen nichts mit deinem eigenen Leben zu tun habe, haben wir alle ein Problem.“

In welchem Land möchten wir leben?

Horst Freund hatte sich eingemischt, um den Raum, in dem wir alle saßen, mitzugestalten. Damit meine ich nicht nur die Public-Viewing-Kneipe. Ich meine unser Land insgesamt. Nicht nur im Fußball verliert oder gewinnt dieses gemeinsam durch Entscheidungen darüber, ob wir uns Pässe oder Fehlpässe zukommen lassen oder ob wir einander sehen oder übersehen. Das alles gilt viel grundsätzlicher auch mit Blick auf die Frage, in welchem Land wir leben möchten. In einem, in dem gehasst statt kommuniziert wird, in dem gewütet, statt gemeinsam gestaltet wird? Oder in einem, in dem Probleme gemeinsam und entlang tatsächlich wirksamer Lösungsstrategien angepackt werden? Wer kann denn ernsthaft glauben, dass eine deutsche Nationalmannschaft nur weiße Spieler haben sollte? Was hätte das mit erhöhten Gewinnchancen zu tun? Und was hätte das mit dem Land zu tun, in dem wir tatsächlich leben? In dem ich leben möchte.

Genau diese Frage hat Frankreich am vergangenen Wochenende sehr ernst genommen und sich ihr dann auch symbiotisch gestellt. Bei den von Emmanuel Macron vorgezogenen Parlamentswahlen am 30. Juni 2024 hatte die faschistische Partei Rassemblement National (RN) 37 Prozent der Wahlstimmen gewonnen. Doch im zweiten Wahlgang hielten die anderen 63 Prozent zusammen und verteidigten so die Brandmauer gegen die Faschisten.  Ich finde, dass dies ein wichtiges Signal auch an unser Land ist.

Der Wahlkampf für die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in wenigen Wochen sowie für die Bundestagswahlen 2025 muss sich auf eine Allianz gegen die AfD verständigen. Und die Gesellschaft muss ihre Werte gegen jene beschützen, die Nationalismus als Hass auf die eigene Nationalmannschaft auslebt und dazu auffordert, die EM im eigenen Land zu ignorieren. Danke, Julian Nagelsmann – für eine großartige EM, für Tränen über das zu frühe Ausscheiden und für die starke Vision, dass Gemeinschaft und Symbiose die Werte sind, die nach Zukunft klingen. Für Deutschland, Europa und das globale Miteinander.