Kommentar: Das sind die zehn Alltagshelden des Jahres 2022

In jedem steckt ein Superman und Alltagsheld: Eine Straßenszene beim Karneval in Caracas, Venezuela, im Februar 2022 (Bild: REUTERS/Leonardo Fernandez Viloria)
In jedem steckt ein Superman und Alltagsheld: Eine Straßenszene beim Karneval in Caracas, Venezuela, im Februar 2022 (Bild: REUTERS/Leonardo Fernandez Viloria)

Held wird man von einem Moment zum anderen. Oder in einem langen Prozess – und am Ende steht ein Unterschied. Das geht in den Medien oft unter. Hier zehn Geschichten von Helden, die eines taten: das Richtige.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal steht die Entscheidung vor einem. Wie eine Weggabelung fordert sie von uns einen Entschluss – und oft besteht er darin, dass wir nichts entscheiden, das Leben so weitergeht wie bisher. Das ist normal und bestimmt okay. Aber dann gibt es Situationen, in denen wir einen Punkt setzen. Diese Alltagsgeschichten gibt es überall, nur sieht man sie selten. Sind ja so viele Menschen. Daher hier unsere Auswahl an Alltagsheldenstorys des Jahres 2022. Sie resultiert aus Willkür, hier und da aufgeschnappt. Und natürlich ist sie kein Ranking. Eine Heldentat steht immer nur für sich, kann nicht weniger oder mehr „wert“ sein als eine andere.

Die Ahrtal-WG

Nachdem die Fluten zurückwichen, flohen auch nicht wenige Menschen. Das Ahrtal wurde im Sommer 2021 vom Hochwasser in vielen Teilen zerstört. Wer blieb, kämpfte um das Überleben seines Heims, um Alltag im Ausnahmezustand. Und es gab welche, die kamen, um zu helfen. Und schließlich gibt es jene, die bis heute bleiben. Aljoma Barz ist eine von ihnen. Die 35-Jährige reiste sofort nach der Flut ins Ahrtal, aber die Traumapädagogin sah, dass es mit einem Fallschirmspringereinsatz nicht getan ist. So viel Leid. So viel Bedarf. Barz kündigte ihren Job und zog in die Region, mittlerweile ist sie in einer WG mit anderen Helfern – und die Wohnung ist Magnet für Beratung, für Zuspruch, für ein Miteinander. Täglich wird angefasst, so viel ist noch allein baulich überall zu tun; oder man hilft älteren Nachbarn beim Einkauf. Damit ist diese Ahrtal-WG ein Anker geworden.

Die Hunderetterin

Manchmal wird man von einer Sekunde zu anderen zur Heldin. Am Anfang war es die Routinearbeit eines Polizistenteams: Sommer 2022, New York City, in einem geparkten Auto winselt ein junger Eskimo-Hund; stundenlang ist er im Wagen gefangen, eine lebensgefährliche Situation für den Vierbeiner. Die herbeigerufenen Polizisten schlagen eine Autoscheibe ein, öffnen die Tür – und entgegen springt ihnen der Hund, holt sich sofort schwanzwedelnd ein Leckerli von Officer Aruna Maharaj ab. Zwischen ihm und der Beamten offenbar Liebe auf den ersten Blick. Nach einem Monat im Tierasyl adoptierte sie „Snow“, wie der Hund nun heißt; gegen den ursprünglichen Halter wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

Den Kiez zusammenbringen

Nicht nur Dörfer auf dem Land drohen zuweilen zu veröden. Soziale Vereinsamung geschieht auch in den Städten. Als im Darmstädter Ortsteil „Postsiedlung“ die Bundespost als Arbeitgeber wegzog, gab dies den Startschuss für das Aus mehrerer Treffpunkte, allein alle sechs Kioske hörten auf. Einige Anwohner nahmen dann das Schicksal ihres Kiezes selbst in die Hand. Der Verein „Zusammen in der Postsiedlung“ organisiert Nachbarschaftstreffs, einen Umsonst-Laden und einen Mittagstisch: Da werden die großen und kleinen Probleme gemeinsam besprochen, vom Rentenbescheid bis zum kaputten Fahrrad. Der Vereinsvorsitzende Bastian Ripper freut sich über ein von Ehrenamtlichen angelegtes Biotop – und über jede Menge Kuchen, die vor allem die älteren Frauen des Ortsteils in der gemeinsamen Backstube kreieren; auf dass es immer schmeckt und dass alte Rezepte nicht verlorengehen.

Die Stadtbauern

Urban Gardening ist angesagt und schick. Auch Urban Farming ist stark im Kommen, also der Gemüseanbau in städtischen Räumen. Was indes der Rentner Bobby Wilson in Atlanta hochzog, verbindet Nettes mit Gesundem und Sozialem. US-Staat Georgia, Metropolregion Atlanta: 12.000 Quadratmeter sind landwirtschaftlich gesehen kein riesiges Areal, aber Wilson baut dort viel Gemüse für bedürftige Stadtbewohner an. Auch lernen sie, selbst Produkte zu ziehen – wenn sie ein paar Quadratmeter dafür irgendwo haben, und die finden sich nicht selten. Damit schafft Wilson gleich mehrere Pluspunkte: Der Anbau tut der Natur gut, den Menschen wird Essen und dann auch noch gesundes ermöglicht, und es entsteht ein sozialer Austausch.

Die Zukunftsbastlerin

Wenn die Startbedingungen im Leben nicht prächtig sind, ist das schlicht ein Nachteil. Aber noch viel mehr. Umso wichtiger sind Stärke und Resilienz. Ruth Strüder steht stellvertretend für Kinder und Jugendliche, die in ihren „Herkunftsfamilien“ nicht mehr weiterleben können; meist, weil es dort für sie nicht gut ist. Staatliche Strukturen aber, „Heime“ oder Betreutes Wohnen, kann oft die nötige emotionale Wärme nicht ersetzen. Strüder, 21, engagiert sich im Verein „Careleaver“, das heißt: Fürsorgeverlasser, also Leute, die nicht bei ihren Eltern leben. Das Netzwerk sorgt füreinander, organsiert praktische Hilfe und Workshops. Und Strüder kennt diese Biographien, hat sie doch auch solch eine. „Careleaver“ ist ein typisches Beispiel für Selbstermächtigung.

Die Kurzentschlossenen

Viel Zeit zum Abwägen gab es nicht. Nahe des Städtchens Moss Point im US-Bundesstaat Mississippi sah ein 16-Jähriger, wie ein Auto urplötzlich in den Fluss fuhr; die Navi hatte die junge Fahrerin irrtümlicherweise auf einen Weg für Boote zum Wasserlassen geschickt. Der Wagen begann nach wenigen Metern zu sinken. Der Jugendliche sprang ins Wasser und half gemeinsam mit einem herbeigeeilten Polizisten, die insgesamt drei Insassen aus dem Auto zu befreien. Dafür gab es eine Urkunde vom Bürgermeister. Und ein lebenslanges Dankeschön von den drei Geretteten.

Hilf dir selbst…

…dann hilft dir Gott, heißt es. Es scheint der Leitsatz eines Projekts zu sein, dass gleich mehrere Vorteile zusammenbringt: Auf den ersten Blick ist der Laden „Hope Renovations“ in Carrboro, North Carolina, einer von vielen. Hinter der Fassade aber hat Nora El-Khoury Spencer ein erfolgreiches Programm aus dem Boden gestampft. Binnen zehn Wochen werden arbeitslose Frauen für Bau- und Renovierungsarbeiten ausgebildet. Das bringt Arbeiterinnen in einen gut bezahlten Sektor, der nach Fachkräften sucht – und während dieser zehn Wochen erhalten Bedürftige ihre Häuser renoviert. Eine Win-Win-Situation für alle.

Die Couragierte

Zivilcourage ist ein Wort, das oft bemüht wird, aber seltener in Erscheinung tritt. Die zwölfjährige Aya wurde Zeugin, wie in einer deutschen Innenstadt ein wohnungsloser Mann von einer Frau beschimpft und angepöbelt wurde – und stellte sich schützend dazwischen. „Er tat mir total leid. Niemand hat es verdient, wegen seiner Herkunft oder Geschichte so behandelt zu werden“, sagte das Mädchen gegenüber der Aktion „Helden des Alltags“. Zwar wurde sie dann von der Frau beschimpft und angegriffen – aber ihre Zivilcourage wurde belohnt, andere Passanten griffen ein.

Der Unbeirrte

Eigentlich keine nennenswerte Geschichte: Ty Penserga, ein Lehrer, kandidierte für das Amt des Bürgermeisters in der Stadt Boynton Beach in Florida. Sein Mitbewerber tönte: „I tell his gay butt this: if you’re gay, you’re gay. I’m a real man.” Das ist so blöd, dass ich es besser nicht übersetze. Jedenfalls meinte der Herr, dass sexuelle Orientierung etwas mit „reellem“ zu tun habe. Bei der Wahl half ihm das nicht. Seitdem wird Boynton Beach von Penserga regiert, der sich im Schatten der Beleidigungen im Wahlkampf auf inhaltliche Themen konzentrierte.

Supermama

Übermenschliche Kräfte walten, wenn es um den Kindesschutz geht. Eine Szene am Pool, irgendwo in den USA. Ein Junge, vielleicht vier Jahre alt, spielt am Beckenrand und springt unvermittelt ins Wasser. Wie aus dem Nichts dann die Hand seiner Mutter, greift ihm hinten am Shirt und zieht ihn kurzerhand mit einer Hand raus. Am Schlawittchen gepackt! Das Internet feierte die Reflexe der Mama; die Szene war zufällig aufgenommen worden.

Video: Auch ein Kleinkind wurde am Pool zur Heldin