Kommentar: Die CSU backt jetzt kleine Brötchen

Alexander Dobrindt und Horst Seehofer bei der Ankunft im Kloster Seeon (Bild: Reuters)
Alexander Dobrindt und Horst Seehofer bei der Ankunft im Kloster Seeon (Bild: Reuters)

Die Christsozialen hatten ein schweres Jahr. Damit es 2019 besser läuft, gehen sie heut ins Kloster. Demut könnte die Partei retten. Und Europa.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Rechte Bürgerwehren, so es sie denn geben soll, haben viel zu tun. Weil vier Betrunkene durch die vergangene Samstagnacht des bayerischen Amberg sprangen und auf zwölf Passanten einprügelten, sollen den Gerüchten zufolge kleine Gruppen mit Westen “patrouilliert” haben. Es soll ja Ruhe geben. Verdammter Suff.

Was sollen solche Bürgerwehren nur in Berlin anstellen, da gab es mehr als vier aggressive Betrunkene, die Polizei fuhr in der Silvesternacht 1721 Einsätze, es wurden Polizisten und Feuerwehrleute attackiert, selbst gebaute Böller zerstörten Autos und Fensterscheiben, zuweilen wirkte alles wie die solide Inszenierung eines virtuell brav geübten Straßenkampfes.

Dumm nur, dass rechte “Bürgerwehren” rasch an ihre Personaldecke stoßen, da müssen Prioritäten gesetzt werden. Und weil es sich bei den vier Betrunkenen in Amberg um junge Asylbewerber handelte und in Berlin um Irgendjemanden, setzten sie auf Amberg. Ein blaues Auge durch einen Nichtarier schmerzt natürlich mehr.

Seehofer kommt ins Schielen

Ein Problem mit den Augen hat auch Horst Seehofer. Der Bundesinnenminister ist für ganz Deutschland zuständig, aber womöglich schaut er mehr auf Bayern, und da kam er heftig ins Schielen.

Zu den Ereignissen in Amberg meinte er: “Die Ereignisse in Amberg haben mich aufgewühlt. Das sind Gewaltexzesse, die wir nicht dulden können.” Und weiter: “Wenn Asylbewerber Gewaltdelikte begehen, müssen sie unser Land verlassen. Wenn die dafür vorhandenen Gesetze nicht ausreichen, müssen sie geändert werden.”

Klar, dass Prügelattacken, Suff hin, Suff her, nicht zu dulden und zu ahnden sind. Auch meinetwegen schwer. Aber gleich zur schwersten Strafe greifen und jemanden, der seine Familie hinter sich ließ, um sich vor Gewalt und Armut zu retten, auszustoßen? Seehofer hat nicht nur ein Knickauge, sondern auch falsche Gewichte im Einsatz; eine Karriere als Markthändler kommt für ihn so kaum in Betracht.

Was wirklich erschüttert

Das zeigt sich auch, als Seehofer ein anderes Ereignis kommentierte. In Bottrop kam es Silvester zu etwas, das ungemein Schlimmer war als die Prügeleien in Amberg: Ein Mann fuhr mit seinem Wagen gezielt mehrere Fußgänger an, acht Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Bei den Opfern handelt es sich um Familien aus Afghanistan und Syrien sowie um Deutsche mit türkischen Wurzeln. Der Fahrer soll in seiner Vernehmung bei der Polizei gesagt haben, die „vielen Ausländer“ seien ein Problem für Deutschland, das er lösen wolle. Die Behörden in NRW gehen von einem “gezielten Anschlag” mit rassistischem Motiv aus.

Polizisten am abgesperrten Tatort in Bottrop (Bild: dpa)
Polizisten am abgesperrten Tatort in Bottrop (Bild: dpa)

Was in Bottrop geschah, war grauenhaft. So stelle ich mir Terror vor. Im Zweifel ziehe ich ein blaues Auge vor. Was wäre eigentlich, wäre der Fahrer solch einer Terrorfahrt ein Muslim gewesen? Die Diskussion wäre heute eine andere.

Quadratur der Glaubwürdigkeit

Doch Seehofer gelingt eine seltene Leistung, nämlich die politische Quadratur des Kreises, indem er die Ereignisse von Amberg und Bottrop wild miteinander vermischt. Auch die “offensichtlich fremdenfeindlich motivierte Amokfahrt” in Bottrop habe ihn sehr betroffen gemacht, sagte der Bundesinnenminister: “Es gehört zur politischen Glaubwürdigkeit, beide Fälle mit Entschiedenheit und Härte zu verfolgen.”

Zur politischen Glaubwürdigkeit gehört vor allem die richtige Gewichtung und das Erkennen des Politischen. Amberg war Suff, Bottrop war Rassismus. Das eine war nicht politisch, das andere schon. Das eine war blöd und gemein, das andere horrend.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Seehofer nicht nur Bundesinnenminister ist, sondern auch Vorsitzender der CSU, jedenfalls noch. Bald gibt er den Posten ab. Aber einen Ton wollte er womöglich noch setzen, kurz vor Beginn der traditionsreichen und ritualvollen jährlichen Sitzung der CSU-Landesgruppe im Bundestag, welche sich immer zu Jahresbeginn ins Kloster zurückzieht, eben in Klausur geht.

Ab in die Backstube

Das hat die CSU bitter nötig. Seehofers Knickauge und seine falschen Gewichte haben der Partei im Jahr 2018 allerlei Unbill beschert. Die Christsozialen fuhren in der Gunst der Deutschen Negativrekorde ein und verloren donnernd bei der Landtagswahl ihre absolute Mehrheit. Demut ist angesagt. Krachledernes, das haben die führenden Christsozialen kapiert, ist für das Jahr 2019 nicht einmal mehr Ramschware, sondern verderblich geworden.

Daher hat die Boygroup um Ministerpräsident Markus Söder, der Seehofer nach der Übernahme des Ministerpräsidentenamtes auch im Parteivorsitz beerben will, die Noten zum Singen versöhnlicher Lieder verteilt; nur Seehofer trifft den Ton noch nicht, oder nicht mehr. Was er jüngst äußerte, wird einmal in Geschichtsbüchern über die CSU eine Fußnote im Kapitel über Wendepunkte.

In der CSU gibt demnächst Markus Söder den Ton an (Bild: Reuters)
In der CSU gibt demnächst Markus Söder den Ton an (Bild: Reuters)

Als die CSU-Landesgruppe vor einem Jahr das Kloster Sion bezog, war sie noch von Seehofer auf Aufstand eingestellt gewesen. Europakritische Politiker waren eingeladen worden, man stichelte gegen die CDU und zeigte grimmige Gesichter her. Heute ist es das Gegenteil. Dies liegt auch daran, dass sich in der CSU ein Pragmatismus zeigt, zu dem vielleicht nur Volksparteien fähig sind, was die CSU in Bayern noch ist. Sie hat verstanden. Einen die AfD kopierenden Kurs wollen die Wähler nicht, sie wollen die CSU in der Mitte verankert sehen.

Und nun haben die Christsozialen auch noch einen Manfred Weber in ihren Reihen, der es zum Spitzenkandidaten aller konservativen Parteien bei den Wahlen zum Europaparlament in diesem Mai geschafft hat. Weber kennt den Wert Europas, er ist kein Schaumschläger des nationalen Egoismus‘. Und die CSU steht hinter ihm. Mit der Klausurtagung von Sion wird eine Zeitenwende eingeläutet. Die CSU backt kleine Brötchen. Die verkaufen sich derzeit für sie am besten.

Mehr über den rassistischen Anschlag in Bottrop: