Kommentar: Dieser Großen Koalition fehlen Mut und Vision

Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz geben die Ergebnisse der Sondierungen bekannt (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz geben die Ergebnisse der Sondierungen bekannt (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Vielleicht haben sie das Beste draus gemacht: CDU, CSU und SPD haben sich auf ein Sondierungspapier geeinigt – die Koalition wird also wohl kommen. Mutig aber sind diese 28 Seiten nicht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine buchhalterische Fleißarbeit ist den Sondierern gelungen, mehr aber auch nicht. Das ist die Bilanz des Verhandlungsmarathons der vergangenen Nacht, bei der das Zimmern an einem anderen Land auch nicht zu erwarten war.

Eine Vision aber, eine greifbare Vorstellung vom Zusammenleben und der künftigen Entwicklung fehlt schmerzlich. Das erneute Bündnis der größten Parteien kann sich letztlich nur darauf einigen, weiterzumachen. Das ist nicht schlecht. Die Große Koalition garantiert Deutschland und Europa Stabilität und Verlässlichkeit; populistische Spitzen bleiben der Opposition vorbehalten, dies ist nicht hoch genug zu schätzen.

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Beim Blick aufs Sondierungspapier drängen sich indes Fragen auf. Warum hat die FDP eigentlich Jamaika platzen lassen? Keine Steuererhöhungen, runter mit dem Soli, weg mit dem Klimaziel sowie eine ungefähre und wachsweiche, aber Papier standhaltende Willensbekundung einer gewissen Obergrenze für die Aufnahme von Fliehenden – das hätte den Liberalen gefallen. Entweder hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der FDP gänzlich anders verhandelt, oder die Unlust des liberalen Parteichefs Christian Lindner auf Regierungsverantwortung war größer, als eh schon angenommen.

Was vom Tage übrig bleibt

Jedenfalls müssen sich die Sozialdemokraten fragen, wie sie dieses Papier als Aufbruch bezeichnen können. Sicherlich, viel rote Tinte steht bei der Einigung, dass die gesetzliche Krankenversicherung wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden soll. Dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat kaum zum Einsatz kommen soll, ist ein Erfolg der ansonsten gestutzten Umweltpolitiker in der SPD. Auch das Festschreiben der Rente bis 2025 auf einem Niveau von 48 Prozent ist ein sozialdemokratischer Erfolg, wie die (erneute) Bildungsoffensive und mehr Geld für die EU.

Die Wohlstandsschere aber wird nicht angegangen. Und für die Umweltpolitik kann sich diese Regierung nur schämen.

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Unser Land verändert sich rasant. Hätten die kommenden Regierungspolitiker versucht, ein Ziel zu formulieren, hätte es der Gesellschaft gut getan. An einem Konzept hätte man sich auch reiben und streiten können. Wofür aber die Große Koalition steht, ist die Verwaltung des Stillstands. Stillstand bei den Bemühungen, endlich mit der Kohleverbrennung aufzuhören. Stillstand bei der Notwendigkeit, mittels Fahrverboten die Industrie endlich zum Bau vernünftigerer Autos zu zwingen. Stillstand beim drängenden Umbau der Landwirtschaft und dem Muss, die weitere Versiegelung und Betonisierung des Landes aufzuhalten.

Als ich vor ein paar Tagen vor die Straße trat und die vielen Autos sah, den Lärm hörte und dem Rauch roch, fragte ich mich, wie lange das alles noch dauern wird. Wann alles nur noch elektrisch läuft, beziehungsweise fliegt. Darüber hätten CDU, CSU und SPD auch sprechen können, echte Claims für die Zukunft abstecken können. Hätte, hätte, Fahrradkette.