Kommentar: Elke Heidenreich versteht die Welt nicht mehr

Elke Heidenreich bei einer Preisverleihung im Jahr 2019 (Bild: Joshua Sammer/Getty Images)
Elke Heidenreich bei einer Preisverleihung im Jahr 2019 (Bild: Joshua Sammer/Getty Images)

Multitalent Elke Heidenreich lässt im Fernsehen eine Wutrede ab. Das entlarvt sie als ziemlich unwissend. Aber auch als 78-Jährige lernt man nie aus.

Ein Kommentar von Jan Rübel

In Deutschland wird intensiv um eine neue Regierung gerungen. Europa bangt wegen Polen darum, nicht auseinanderzufallen, die Weltgemeinschaft fragt nach Lösungen gegen den Klimawandel – und wir reden über die sechs Jahre alten Tweets eines Teenagers. Nicht dass sie an Wichtigkeit verlieren wegen des Alters – im Gegenteil: Wie die Öffentlichkeit mit jungen Leuten umspringt, wie sie über sie statt mit ihnen redet, ist, „jung“ ausgedrückt, ein Total Fail.

Auffällig gescheitert ist darin jüngst Elke Heidenreich. Sie hat in ihrem Leben vieles angestoßen, war Kabarettistin, schrieb viel und moderierte – und eine Leidenschaft für Literatur hat sie auch. Doch die Bücher junger Schriftsteller inhaliert sie womöglich weniger, da scheint ein Anschluss verlorengegangen zu sein. Was sie jedenfalls über die neue Co-Sprecherin der Grünen Jugend losließ, geriet nur noch peinlich.

Was sagt sie nochmal? Heidenreich saß bei „Markus Lanz“ im Fernsehstudio. Und sie äußerte sich über Sarah-Lee Heinrich, 20, als kenne sie sie seit Jahren persönlich. Als würde sie aus dem Nähkästchen plaudern.

Sarah-Lee Heinrich, neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, spricht beim 55. Bundeskongress der Grünen Jugend. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa
Sarah-Lee Heinrich, neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, spricht beim 55. Bundeskongress der Grünen Jugend. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

„Um mal bei diesem Mädchen zu bleiben: Sie hat überhaupt keine Sprache. Sie kann nicht sprechen. Das sind Kinder, die nicht lesen. Das ist diese Generation, von der ich immer wieder merke, wie sprachlos sie ist, wie unfähig mit Worten umzugehen.“

In wenigen Worten zum Gau

Harter Tobak. Was war eigentlich die Bezugsquelle für Heidenreich? Die 78-Jährige hat keine Marathondebatte mit Heinrich bestritten, sondern jene Tweets gelesen, die sie als 13- und 14-Jährige losgehauen hatte. Über diese Zeilen ist ja genug geschrieben worden, sie waren kräftig, verletzend und beleidigend, aber mehr auch nicht. Heinrich distanzierte und entschuldigte sich dafür, gut ist. Nicht aber für Heidenreich. Anstatt sich auf den wahren Skandal zu fokussieren, dass die Jungpolitikerin Morddrohungen für ihre Äußerungen erhalten hat, spielt Heidenreich die Sprachrichterin über „dieses Mädchen“. Haut ihr verbal drei kurze, nicht sehr literarische Sätze um die Ohren, um sogleich zu verallgemeinern. Das ist armselig. Der fast gleichaltrige Donald Trump würde sagen: So sad.

Lesen Sie auch: Kommentar: Diese Sondierungsteams grenzen aus

Dabei wird völlig nebensächlich, wie die Sprache von Heinrich tatsächlich ist. Die paar Tweets von vor sechs Jahren und ein, zwei Interviewfetzen von vor zwei Jahren sind nicht gerade eine solide Basis zur Sprachanalyse. Man kann schlicht davon ausgehen, dass Heinrichs Sprache aus vielen, vielen Worten besteht – sonst wäre sie nicht Bundessprecherin einer wichtigen Jugendorganisation geworden.

Aber Heidenreich drückt gleich noch ein zweiter Schuh.

„Dass man sagt, Hauptsache divers, Hauptsache Migrationshintergrund, Hauptsache Quote - das ist eben der falsche Weg." Ähm, wer sagt denn sowas? Wo sind die Jobs, die Privilegien, die hauptsächlich an Menschen mit Migrationsgeschichte gehen? Oder will Heidenreich andeuten, Heinrich sei nur wegen ihrer Hautfarbe Bundessprecherin geworden? In Wirklichkeit geht es bei „divers“ um die Verringerung von Vorsprüngen, die ungerecht sind. Heidenreich konstruiert daraus eine gewollte Machtübernahme – das ist ein Schreckgespenst, das vornehmlich von Rechten herbeigelogen wird.

Spätestens an dieser Stelle könnte man ihr zurufen: Okay, Boomer, und es dabei belassen. Es ist zu peinlich. Aber Heidenreich suchte noch nach der Kirsche auf ihrer selbst gebackenen Sahnetorte und fand sie in der Äußerung, es störe sie, dass die Frage "Woher kommst du?" direkt als rassistisch eingestuft werde. Sie brachte ein Beispiel eines "dunkelhäutigen Taxifahrers" mit perfektem Kölner Dialekt und Eltern aus Marokko an. "Ich frage natürlich: Wo kommst du her?", sagte Heidenreich und fügte hinzu: "Und zwar nicht, um sie zu diskriminieren. Sondern, weil ich sofort sehe, die kommt nicht aus Wanne-Eickel oder Wuppertal. Ich finde darin kein Problem, wenn man das fragt. Man sieht es ja."

Den Anschluss verloren

Heidenreich muss schlicht mehr und besser hinschauen. Warum sollte ihr dunkelhäutiger Taxifahrer nicht aus Wanne-Eickel oder Wuppertal kommen? Vielleicht, weil er aus Köln kommt? Die Zeiten sind seit vielen Jahrzehnten vorbei, in denen eine Hautfarbe in Deutschland Aufmerksamkeit generierte und Gesprächsthema wurde. Heidenreich ist in einer gewissen Denke steckengeblieben. Und warum „Taxifahrer“? Sind Menschen mit dunkler Hautfarbe für sie besonders zum Chauffieren geeignet? Mit welchen Schubladen läuft sie eigentlich herum?

Heidenreich spricht für eine Generation, der das Heft in der Hand entgleitet. Und die dann danach schnappt. Mit jeder Kritik an Heinrich, die von ihr nur auf die Magengegend zielte, hat sich Heidenreich selbst geschlagen. Und klar gemacht, dass es Zeit ist, dass junge Leute in Deutschland mehr Einfluss kriegen. Übers herabgesetzte Wahlalter, Öffnung der Parteien - und dass alte Leute wie Heidenreich nicht nur besser hinschauen, sondern auch besser zuhören.

Im Video: "Haben das Recht, wütend zu sein"- Greta Thunberg auf dem Jugend-Klima-Gipfel