Kommentar: Gendersprache wird vorerst nicht amtlich – diese Entscheidung ist weise

Kinder einer Willkommensklasse in Berlin beim Deutschunterricht: Sternchen oder Unterstrich im Wort werden sie vorerst nicht lernen (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Kinder einer Willkommensklasse in Berlin beim Deutschunterricht: Sternchen oder Unterstrich im Wort werden sie vorerst nicht lernen (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat getagt: Es gibt keine neue Empfehlung zum Gendern. Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich gelangen nicht ins offizielle Regelwerk. Diese Entscheidung ist richtig – sie dokumentiert, dass Sprache lebt und sich verändern kann. Aber nicht im Hauruckverfahren.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schon interessant, welche Meldungen mit Spannung erwartet werden. Ein Schicksalstag würde es heute werden, orakelte die „Welt“. Warum? Weil heute in Belgien ein Gremium tagte, nämlich der Rat für deutsche Rechtschreibung. Er befasste sich unter anderem mit Gendersprache. Wird der Sprache ihre männliche Dominanz genommen werden? Werden Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich inmitten der Worte Einzug halten, um das Maskulinum als Norm zu streichen?

Vorneweg: Der Rat hat entschieden. Aber sein Beschluss besagt, dass erstmal nichts Neues einfließen solle. Und damit bleibt es bei seiner Entscheidung aus dem Jahr 2021, dass Gendern nicht amtlich werden soll. Das Hauptargument: Damit könnte das Erlernen der deutschen Sprache erschwert werden. Ich finde, es gibt noch weitere Argumente, nicht nach den Sternen zu greifen. Der heutige Beschluss ist klug.

Andersrum wäre das Abendland mit dem heutigen Tag nicht dem Untergang geweiht gewesen, hätte der Rat fürs Gendern gestimmt. Kaum ein Thema wird derzeit negativ überhöht wie dieses. Leute beschweren sich über eine angebliche Sprachdiktatur, die nicht existiert. Erst vorgestern Abend saß ich draußen vor einer Kneipe, und da erregte sich ein womöglich Mittdreißiger über ach so viele Einschränkungen: Veggy, Regenbogen, Bundeswehrsoldaten in orangefarbenen Shirts (stimmt das überhaupt?) und natürlich Gendern. Probleme muss man haben. Und wenn nicht, schafft man sie sich; ich verstand partout nicht, warum der sich aufregte. Aber er ist nicht allein. CDU-Parteichef Friedrich Merz zum Beispiel ging in seiner Verzweiflung unlängst gar so weit, Gendern als mitverantwortlich für das Umfragehoch der AfD anzusehen. Lächerlicher ging es kaum.

Sprache fällt nicht vom Himmel

Der Rat hat entschieden, die Entwicklung geschlechtergerechter Sprache weiter zu beobachten. Man kann dem ja eine Chance im Alltag geben, eine Praxistauglichkeit suchen – wer will. Sprache ist nie in Zement gegossen, und auch die Zehn Gebote würden ihre Orthografie im Laufe der Jahrhunderte anpassen. Sprache ist lebendig und verändert sich, aber nicht par ordre du mufti. Und bisher haben die Versuche einer gendergerechten Sprache nicht genügend Leute überzeugt. Sie jetzt in Ämtern und Schulen einziehen zu lassen, würde nicht passen.

Eine Erregung weniger

Die Experten des Gremiums entschieden, in das Amtliche Regelwerk der Rechtschreibung einen Ergänzungspassus aufzunehmen, in dem es heißt: „Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie. (...) Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind.“ Das heißt: Vielleicht sind die Folgeprobleme in der Zukunft nicht mehr da. Aber jetzt sind sie da. Auch mich hat die Aufspaltung von Worten durch Sonderzeichen nicht überzeugt; es wirkt auf mich nicht natürlich. Vielleicht bin ich auch zu faul. Mit der Entscheidung des Rates kann man jedenfalls gut leben.

Und die Revolte der Abendlandritter ist abgeblasen. Aber keine Sorge: Morgen fällt einem von ihnen bestimmt eine imaginierte Sau ein, die sie durchs Dorf treiben können.

Video: Für mehr Vielfalt: Gott soll ein Gender-Sternchen bekommen