Kommentar: Heute feiert die SPD Gerhard Schröder – muss das sein?

Der Altkanzler wird heute von den Sozialdemokraten geehrt, und zwar für seine 60-jährige Mitgliedschaft. Gerhard Schröder, der Putin-Buddy und Kremlgeschäftsmann? Die SPD würde gern darauf verzichten. Aber: Die Ehrung ist zurecht. Eine Parteimitgliedschaft ändert man nicht einfach so schnell. Besonders in diesen Zeiten.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Gerhard Schröder bei einer Sitzung des
Gerhard Schröder bei einer Sitzung des "St. Petersburg International Economic Forum (SPIEF)" in Russland im Jahr 2019 (Bild: REUTERS/Maxim Shemetov)

Jeder sucht sich seine eigenen Freunde. Wann sich Gerhard Schröder entschied, sein Renommee als Kanzler und Reformer, als Mann der Leute und mutiger Kämpfer für Ideen einzutauschen, kann nur er erzählen. Schröder jedenfalls beschloss, nach seinem Abschied von der aktiven Politik 2005, ein Leben fürs Geld zu führen. Seitdem wurde er peinlich, und zwar allgemein fürs Land und speziell für seine SPD.

Die Partei hat heute einen schwierigen Termin. Denn ein Jubiläum steht an. 60 Jahre Parteimitgliedschaft von Schröder – das bedeutet, wie bei jedem Mitglied, eine Urkunde und eine Anstecknadel. Hätte man sowas Schröder verweigern sollen?

Denn Schröder wirkt wie aus der Zeit gefallen. Er lobbyierte noch als Regierungschef für den Ausbau der deutsch-russischen Geschäftsbeziehungen und besonders für die Gaspipelines. Nachdem er aus dem Kanzleramt ausgezogen war, weil Angela Merkel ihn besiegt hatte, wechselte er schnell in lukrative Posten aus dem Firmenkartell rund um den Kreml. Das hatte mehr als Geschmäckle.

Mit dem von seinem „Freund“ Wladimir Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine aber ist es mehr, da stinkt es vom Himmel. Wenn Schröder wirklich eine Freundschaft zu Putin hat, wurde er von diesem gründlich durch den Kakao gezogen – oder alles war Schröder egal. Schröder ist mit fürs Auffüllen der russischen Kriegskassen verantwortlich. Und seit den Angriffen verurteilt er diese zwar, schiebt indes stets ein „aber“ hinterher: Mal ist es die Nato, mal Amerika, aber nie das mafiös, imperialistisch-nationalistische und im Kern protofaschistische Netzwerk im Kreml, von dem sich Schröder aushalten lässt.

Was ist das Gewicht einer Parteimitgliedschaft?

Es gab Bemühungen in der SPD, ihn loszuwerden, ein Parteiausschlussverfahren in Gang zu setzen. Doch die Hürden dafür sind hoch. Selbst einen eingefleischten Muslime-Verunglimpfer wie Thilo Sarrazin wurden die Sozialdemokraten nicht los. Da ist ein Geldeinsammler wie Schröder noch einige Schippen darunter.

Statistik: Länge der Amtszeiten der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 2023 (in Jahren) | Statista
Statistik: Länge der Amtszeiten der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 2023 (in Jahren) | Statista


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Und daher ist es gut und wichtig, dass er heute seine Urkunde und seine Anstecknadel erhält. Eine Parteimitgliedschaft wirft man nicht schnell weg, sie ist im Grund dauerhafter als Freunde (besonders wenn man solch zweifelhafte hat wie Schröder). Sahra Wagenknecht zum Beispiel geht diesen Weg, zerstört ihre alte politische Heimat und gründet ihren eigenen Fanclub. Sie tauscht Tradition gegen Populismus. Da ist die SPD noch eine andere Hausnummer.

Die Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten ist etwas Besonderes: Ganz unabhängig davon, was man von der Partei hält, ob man sie mag oder nicht, ist die SPD Teil der deutschen Geschichte. Sie ist die älteste bestehende Partei des Landes. Ihre Mitglieder stritten für Freiheit und Demokratie, als es sowas noch nicht in Deutschland gab. Sie wurden dafür verfolgt, in der Naziherrschaft wurden viele inhaftiert und getötet. Wer 60 Jahre in diesem „Klub“ war, ist dann für die anderen nicht schnell mal weg. Der muss ausgehalten werden.

Koch oder Kellner?

Also muss die SPD ihren Altkanzler, dem sie auch viel verdankt, ertragen. Schröder wird sich wohl nicht mehr ändern. Weiterhin wird er sich überschätzen – und damit auch die Leute, denen er wohlgesonnen ist. Schröder tickt halt so. Er braucht es, klarzustellen, wer oben und wer unten ist. Zum Beispiel stichelte er unlängst gegen seinen ehemaligen Adlatus Frank-Walter Steinmeier, der es bis zum Bundespräsidenten geschafft hatte. „Ich kann ja nachvollziehen, dass er sich aus staatspolitischen Gründen von mir distanziert, aber zu erklären, nicht mehr zum Geburtstag zu gratulieren, tut man nicht“, beschwerte sich Schröder in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Dass Steinmeier nicht gerade Heldenmut in der Politik nachgesagt werden kann, ist bekannt. Aber Schröder muss ihn auch nicht daran erinnern, wem er einmal gedient hatte. Vielmehr sollte sich Schröder Gedanken darüber machen, warum es "staatspolitische Gründe" geben sollte, sich von ihm zu distanzieren.

Vielleicht geschieht heute auch ein Wunder. Wenn Schröder die Urkunde sieht, die Anstecknadel, könnte er über seinen eingeschlagenen Weg nachdenken: Er hätte nach seinem Job als wichtigster Mann Deutschlands Anwalt werden können, die kleinen Leute vertreten können, seine Expertise für die Gesellschaft einbringen. Stattdessen verriet er alles Sozialdemokratische. Vielleicht kommt also in ihm heute Wehmut hoch. Und Demut.

Im Video: Putin fordert Respekt im Umgang mit Altkanzler Schröder