Kommentar: Kevin Kühnert als linker Judas?

Kevin Kühnert gerät wegen "zu linker" Aussagen ausgerechnet in der eigenen Partei unter Druck (Bild: Carsten Koall/Getty Images)
Kevin Kühnert gerät wegen "zu linker" Aussagen ausgerechnet in der eigenen Partei unter Druck (Bild: Carsten Koall/Getty Images)

Kevin Kühnert plaudert im Interview über sozialistische Gedankenspiele. Eine Kernaussage wird generalisiert und medial auseinander genommen. Dass es passiert, ist an sich garnicht schlimm, schlimm ist nur, von wem die größte Kritik stammt - aus den eigenen Reihen -, und wie sie dort geäußert wird.

Kühnert ist eine linke Stimme in der SPD, das lässt sich unbestritten sagen. Die Jusos distanzieren sich allgemein des öfteren von der CDU-Fusions-Haltung der Mutterpartei. Im Interview mit der “Zeit” erzählt Kühnert, welche Alternativen zur jetzigen Politik ihm vorschweben.

Knackpunkt: Neben Enteignungen in der Wohnpolitik stellt sich der Jungpolitiker in der Wirtschaftsordnung die Kollektivierung von Firmen vor, er nennt als Beispiel BMW. In den sozialen Medien, besonders auf Twitter, geht folgende Aussage viral: Kühnert möchte BMW verstaatlichen.

Wichtig ist auch zu wissen, dass das Interview unter dem Leitmotiv “Was heißt Sozialismus für Sie?” geführt wurde. Man muss Thesen und Vorhaben schon voneinander trennen. Unabhängig davon, dass Kühnert gar nicht die Macht besitzt, eine solche Forderung zu stellen oder gar den Gedankengang an andere SPD-Kollegen weiterzugeben, hat er etwas ganz anderes formuliert.

Sozialismus als Idee oder Realität?

Er wird gefragt, ob er sich als Sozialist definiert. Und in dem entsprechenden Gedankenspiel gefragt, ob der Ungerechtigkeit wegen Unternehmen wie BMW oder die Deutsche Bank überhaupt existieren dürften. Darauf sagt Kühnert: “Der Sozialismus arbeitet auch mit Marktmechanismen”. Dementsprechend sieht er auch eine Notwendigkeit von deren Existenz. Er führt aus, dass es ihm egal sei, ob auf dem “Klingelschild von BMW ‘staatlicher Automobilbetrieb’ steht oder ‘genossenschaftlicher Automobilbetrieb’”. Aber Kollektivierung sei für ihn eine Möglichkeit, die Profite gerecht zu verteilen. Dementsprechend trifft der Vorwurf “DDReske” Verstaatlichung und die Bevormundung von BMW zu fordern, nicht zu. Von “fordern” lässt sich generell nicht reden.

Ist eine Utopie, wie sie der Juso-Chef darstellt, zukunftsfähig? Ist sie zu links? Oder doch einfach eine klassische Auffassung alter SPD-Werte, die die neoliberal berührten Sozialdemokraten auf Bundesebene eventuell vergessen haben? Ob man die Auffassung Kühnerts teilt, ist an dieser Stelle eigentlich auch Nebensache. Denn was der Fall Kühnert zeigt, ist: Die SPD hat ihre eigene Soldiaritätsmoral vergessen.

Unter Druck der CSU, sich umgehend zur These Kühnerts zu äußern und sich davon abzugrenzen, “den Juso-Chef zu stoppen”, tippten bekannte Namen wie Lars Klingbeil umgehend ihre Abneigung ins Smartphone. Nebensätze wie “Man muss die Aussage nicht teilen, aber…” fielen oft. Man muss als SPD-Mitglied überhaupt nicht kundtun, ob man die Aussage teilt, denn Kühnert ist ein Genosse der Partei und hat eine Utopie vorgestellt, da ist es mehr als tragisch, wie die Bundes-SPD dem Druck der Viktor Orbán nahestehenden Christdemokraten nachgibt.

Selbstinszenierung über Parteiwohl

Johannes Kahrs (MdB), dessen Name den meisten nicht wirklich viel sagt, hatte viel zu sagen. Er wirft dem Juso-Vorsitzenden vor, illegale Substanzen konsumiert zu haben bevor er die Aussage der Kollektivierung tätigte. Er tut die Ideen Kühnerts als kompletten Unfug ab und bezeichnet die Aussagen als “unsolidarisch”. Vielleicht sollte Herr Kahrs noch einmal im Parteibuch die Arbeiterwerte der SPD nachschlagen, bevor er selber unsolidarisch und unprofessionell über Kollegen herzieht.

Aber ganz wie Lindner und Palmer es tun, zieht er es vor, einfach mitten im Wahlkampf mit Bashing gegen die Kollegen die Aufmerksamkeit auf die eigene Person ziehen und das Ego aufzuwerten. Als würde es nicht um die Entscheidungswahl Europas gehen. Das hat der SPD in letzter Zeit einige Stimmen gekostet.

Profitieren von den neoliberalen und egozentrischen Kämpfen innerhalb der Partei könnten die Grünen. Während Kühnerts Enteignungsaussage auch in eigenen Reihen auseinandergerupft wurde, wurde Robert Habeck für ähnliche Ideen hochlobend dafür gefeiert, Klima und sozialpolitische Gedanken fusioniert zu lassen. Vielleicht sollten die Sozialdemokraten aufhören, eigene Werte zu verschenken. Der CDU so zuzuspielen, ist der langsame giftige Tod der ältesten Volkspartei.

Kahrs spricht davon, dass Kühnert der Partei mitten im Wahlkampf mit solchen Aussagen schade. Ich frage mich nur, welchen Wahlkampf er meint, der fällt bei der SPD bis auf ein paar Pressetermine mit Katarina Barley und Delara Burkhardt nämlich spärlich aus. Und ein paar saloppe Aussagen auf Twitter ziehen die Masse nicht mit. Kühnert hat die Ambition, die linken Stimmen im Land dazu zu bewegen, die SPD zu wählen. Das diesmalige Wahlergebnisse könnte nämlich ansonsten der nächste große Schock für die SPD werden.

Wer sind die wirklichen Sozialdemokraten?

Wie peinlich die ganze Situation die gesamte SPD dastehen lässt, zeigen auch überraschend positive Reaktionen von sonst konservativen Medienschaffenden wie Ulf Poschardt. Dieser schreibt, dass er nicht eins mit Kühnert sei, jedoch empört darüber, dass man nicht sachlich und ohne persönliche Angriffe Kevin Kühnerts Thesen begegnet. Vor allem greift er einen wichtigen Punkt auf: “Warum fällt es so schwer, Differenz zu ertragen?”

Peinlich, dass solche Aufforderungen meist von Einzelpersonen auf Twitter kommen, die nicht viel mit der SPD zu tun haben.

Die Situation zeigt jedoch etwas viel wichtigeres: Die Partei steht zwischen Weitermachen oder Stagnieren. Man möchte sich irgendwie auf genau einen Kurs einigen, Meinungsdiversität ist ein Unwort. Keiner hört dem anderen zu, es geht schon lange nicht mehr um Politik, nur darum, die eigene Meinung zu glorifizieren und andere Parteimitglieder für das eigene Stimmungsbild klein zu halten.

Den anderen Parteien kann die Entwertung der SPD nur recht sein. Wie tragisch und paradox es doch ist, bei großaufgezogenen Interviews mit rechten Politikern auf die “freie Meinungsäußerung” zu pochen, und bei leicht sozialistischen Gedanken platzt Teilen Deutschlands auf Twitter der Kragen, allen voran in der SPD, getreu dem Motto “die sozialistische Diktatur beginnt”. Bei unter 20% Wahlergebnis laut Umfragen bestimmt nicht. Es steht keine sozialistische Diktatur bevor, wenn Kühnert solche Gedankenspiele anspricht.

Das Ende aller Enden

Es steht definitiv ein Bruch bevor, denn die zwei Lager der Sozialdemokraten könnten derzeit nicht weiter auseinander gehen. Und wichtig ist hierbei auch, dass Kühnert nicht für die gesamte SPD oder die Jusos steht. Er ist auch nicht der einzige mit linken Thesen. Er hat als Jungpolitiker, der unfassbar aktiv Wahlkampf führt und keine Diskussion scheut, ein Gedankenspiel ausformuliert.

Die Reaktionen zeigen nur, in welcher Krise sich die Sozialdemokraten, als auch die Politik insgesamt befinden. Denn dauernd über einzelne Personen zu sprechen wie auch unter anderem Spargelkönig Christian Lindner das tut, lenkt von dem ab, was eigentlich wichtig ist. Selbstinszenierungen bestimmen den Kurs, und davon sollte sich die SPD schnellstmöglich entfernen, wenn sie in Zukunft noch regieren will.