Kommentar: Lichtenberger Lügenstorys

Die AfD unterstellt einem Satiriker die Produktion von Fakenews (Bild: Screenshot/AfD)
Die AfD unterstellt einem Satiriker die Produktion von Fakenews (Bild: Screenshot/AfD)

Die AfD verkauft einen Satire-Dreh als Fakevideo. Die Partei hat offensichtlich etwas verlegt: ihre Scham.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Vorwürfe sind starker Tobak. „Fake-Video“, „gefälschter Parteistand“ und „Fakevideo-Firma“ prangern in „Bild“-Manier auf den Facebook-Seiten der AfD. Die Partei scheint also investigativ journalistisch tätig zu sein, das klingt auf den ersten Blick löblich. Doch was dann passiert, macht Angst und Bange.

„Aufmerksame Passanten“, so heißt es bei der Partei der besorgten Passanten, hätten ein Fakevideo aufgedeckt, und zwar in Berlin-Lichtenberg. „Wir sind fassungslos. Zufällig gaben Passanten gefilmt, wie eine mutmaßliche Produktionsfirma einen AfD-Stand fälscht“, heißt es in einem Filmchen. „Offensichtlich gibt es ja gar kein echtes Videomaterial über die AfD, dass man das hier so fälschen muss, und so plump fälschen muss. Und zeigt eigentlich nur, dass der politische Gegner mit seinen Argumenten gegen die AfD völlig am Ende ist und es keine negativen Argumente gegen die AfD mehr gibt“, kommentierte der AfD-Bundestagsabgeordnete Jörg Spaniel.

Was war passiert? Der Satiriker Schlecky Silberstein hatte ein satirisches Video gedreht, und zwar eine Parodie auf all jene, welche vom tödlichen Streit in Chemnitz „profitieren wollten“. Dazu gehört zweifellos die AfD, denn sie organisierte Trauermärsche. Wenn die Partei meint, ihre Motive hierfür seien absolut lauter und antriebslos, es sei nur um Trauer gegangen, dann ist solch eine Haltung nicht zu kommentieren. Politisches Kapital schlug die AfD aus den Geschehnissen dennoch aktiv – unabhängig davon, wie man zu Kriminalität von Zugewanderten, zur Grenzöffnung von 2015 und Angela Merkel steht.

Hingucken erlaubt

In Silbersteins Clip ging es deftig zu, da grölten Nazikomparsen, ein Mensch wurde „gejagt“, und ein AfD-Stand warb um Mitglieder; ein Gag schließt am nächsten an. Der satirische Stempel: unübersehbar. Möchte man meinen. Da haben wir aber die AfD vergessen. Man habe das „komplette Set“ mit „entsprechenden Hinweisen zugekleistert“, schreibt Silberstein in seinem Blog. „Geduldig erklärten wir das Set und die Story, bemerkenswert vielen Menschen mussten wir auch die Kunstfreiheit erklären.“

Dennoch veröffentlicht die AfD bis heute ihre Filmchen mit der angeblichen Entzauberung eines Fakes. Die „mutmaßliche Produktionsforma“ existiert tatsächlich. Hätte man ja erfragen können. Auch handelte es sich nicht um Fälschung, sondern um eine Satire; der Unterschied sollte gewählten Volksvertretern bewusst sein. Der „politische Gegner“, das klingt schon ein wenig unnachgiebig. Ob er mit seinen Argumenten nun „völlig am Ende“ ist, was echt superlativig klingt, erklärt sich nicht durch die Realisierung eines satirischen Clips. Da war der Herr womöglich etwas voreilig. Kann natürlich passieren, wenn man beim Abwägen von Argumenten jene mit satirischem Einschlag nicht erkennt.

All dies zeigt die merkwürdige Blase, in der die AfD lebt. Alles wird passend gemacht. Und weil der Vorwurf mit der „Lügenpresse“ so gut zum Paralleluniversum passt, welches meint eine Art Kardinalsanspruch auf das „Volk“ mit einem „WIR sind das Volk“ erheben zu können, macht die AfD nun ihre Lügenpresse.

Fragen erlaubt

Und es wurde noch investigativer. Es gibt ein Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, das machte in der Causa ganz einen auf Reporter. „Hinter mir hier ist die Produktionsfirma des Fakevideos“, erklärt abgeklärt Frank-Christian Hansel in einem weiteren Film, „wo man einen AfD-Stand gefälscht hat, auch mit einer Hetzszene. Ich möchte mal mit denen reden, was denen dabei eingefallen ist, wieso die sowas tun.“ Dann klingelt er, man sieht übrigens bestens das Straßen- und Klingelschild. Ihm öffnet aber niemand. „Hier hat keiner aufgemacht. Vielleicht haben sie Angst oder sind möglicherweise noch nicht da oder machen schon wieder ein anderes Video, was weiß ich. Aber wir kommen wieder.“

Nun sieht Herr Hansel nicht sehr furchteinflößend aus, keine Ahnung, woher er die Vermutung mit der Angst hatte. Oder lag es am Kameramann? Es wäre auch interessant zu erfahren, ob er tatsächlich wiederzukommen trachtet, wo er doch dasteht als jemand, der trotz abgeschlossenem Studiums Grundregeln journalistischen Vorgehens nicht verstanden hat: Erst fragen, dann handeln. Das Video von Hansel ist im Netz. Seine Mission ist erfüllt, er besitzt „Material“. Das ist nun im Umlauf und gefällt all jenen, die glauben, dass Journalisten Aufnahmen fälschen oder gar erfinden.

Die AfD behauptet bis heute, es habe in Chemnitz keine „Hetzjagden“ gegeben – dabei ist bezügliches „Material“ im Netz, welches die Jagden dokumentiert. Im Netz ist aber auch Gegen-„Material“, zwar schlicht konstruiert und inszeniert, aber eben mit dem Motiv Zweifel zu säen. Auch Hansel sät Zweifel. Sollte er sich tatsächlich mit Schlecky Silberstein treffen?

Nachgang: Die „mutmaßliche Produktionsfirma“ vermeldet Morddrohungen. Dem ist nichts hinzuzufügen.