Kommentar: Martin Schulz hat fast fertig

Martin Schulz spricht auf dem SPD-Parteitag (Bild: Reuters)
Martin Schulz spricht auf dem SPD-Parteitag (Bild: Reuters)

Die SPD steckt in der Krise. Und ihr neu bestätigter Vorsitzender beweist noch immer nicht, ob er der richtige ist.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Sozialdemokraten erinnern in diesen Tagen an einen kranken Onkel, den man nicht ins Sanatorium hereinlässt – obwohl er es dringend nötig hat. Man schickt ihn woandershin, in den Maschinenraum der Regierung.

Der SPD laufen seit vielen Jahren die Wähler davon. Arbeiter sind keine feste Klientel mehr, und der Mittelstand zeigt sich nicht überzeugt. Überhaupt läuft es gerade schlecht für Parteien, wenn sie nicht populistisch krakeelen oder zumindest ihre Fassade anmalen und sich social-media-gerecht “Liste” oder “Team” oder “Etikettenschwindel” nennen.

Kommentar: Jerusalem kann Hauptstadt für alle sein

Die SPD aber trifft es am schlimmsten. Ihre Arbeit in den Regierungen hat dem Land genützt, aber nicht der Partei. Den Wähler nun als undankbares Wesen zu beweinen wäre eine mögliche Antwort darauf, aber keine lösungsorientierte. Eine zündende Idee müsste die SPD präsentieren, einen Leitgedanken, der ihre Unverzichtbarkeit umreißt. Es liegt nahe, dass die Sozialdemokraten diese Marke im Bereich ihrer Kernkompetenz suchten: in der sozialen Gerechtigkeit. Aber was macht ihr Chef?

Martin Schulz beweist immer noch nicht, ob er es kann. Der Vorsitzende wurde zwar am vergangenen Donnerstag mit einem guten Ergebnis auf dem Parteitag in seinem Amt bestätigt, aber Aufbruch sieht anders aus. Denn was, verdammt, macht Schulz?

Richtiges Thema zur falschen Zeit

Er labert von Europa. Das kann er gut. Europa ist viel wichtiger als die meisten ahnen. Und von ihm muss auch mehr geredet werden – aber doch nicht so.

Schulz präsentierte einen hochtrabenden Plan, die EU in “Vereinigte Staaten von Europa” verwandeln, und weil dies im Jahr 2025 eine hundert Jahre alte Forderung der Sozialdemokraten sein wird, soll sie bis dahin realisiert werden. Schulz benutzt Europa entweder als Ablenkungsmanöver für die eigene Krise, oder er hat das Gespür eines Elefanten im Porzellanladen: Auch die EU könnte einen Kurztrip ins Sanatorium gut gebrauchen, da ist ihr kaum geholfen, wenn man ihr verschreibt am nächsten Wochenende in allen winterlichen Sportdisziplinen gleichzeitig anzutreten. Die Auffassungen unter den EU-Mitgliedsländern über die Rolle eines Nationalstaates sind unterschiedlich. Da hilft nur eine Annäherung, beharrliches Miteinander. Schulz aber plant eine gemeinsame Verfassung – und wer nicht, will muss gehen.

Kommentar: Wie zwei Feinde die CSU retten wollen

Wenn es die Vision von Schulz sein sollte, dass im Zweifelsfall Länder wie Polen oder Tschechien die EU verlassen, weil sie bei dieser Wanderschaft nicht mitmachen wollen, dann ist diese Vision schlecht untermauert und kontraproduktiv.

Von Willy lernen

So wird das nichts mit der SPD. Entweder sie besinnt sich auf alte Stärke und flößt der jungen Generation Hoffnung ein, wie es Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien gelang, oder sie muss darauf hoffen, dass sie beim dritten Mal mit Angela Merkel auf eine derart geschwächte Union trifft, dass die sie ab und zu aus dem Maschinenraum hinaus aufs Sonnendeck lässt. Zweimal ging das Regieren in der Großen Koalition für die Sozialdemokraten schief. Vielleicht klappt es ja beim dritten Mal.

Satire: “Das ist der totale Krieg” – Die AfD setzt den Helm auf

Es liegt an Schulz. Er sollte prächtiges Regieren mit Aufbruchsorientierung für die Jungen schaffen. Einem Willy Brandt gelang das einmal, Ende der Sechziger des vorigen Jahrhunderts. Er triumphierte in einer Koalition mit CDU und CSU, überflügelte sie und wurde zum Hoffnungsträger der Jugend. Doch dafür muss Schulz endlich zeigen, ob er sowas kann. Bisher wird man den Argwohn nicht los, dafür sei er zu leicht.