Kommentar: Warum "lottrige Kleidung" an Schulen kein Problem ist

Gewisse Sachen sollen in der Schule nicht mehr getragen werden. (Symbolbild: Getty)
Gewisse Sachen sollen in der Schule nicht mehr getragen werden. (Symbolbild: Getty)

Der Bundeselternrat fordert Regeln für den Gang zur Schule. Gewisse Sachen sollen nicht mehr getragen werden. Das ist nicht nur willkürlich, sondern anmaßend, ungerecht und wenig liberal. Kurz und knapp: Gutes würde es nicht bringen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal kommen Fragen auf, die man sich besser nicht fragt. Was ist denn zum Beispiel mit dieser Jeans – geht dieses Loch oder darf man sein Kind damit noch in die Schule schicken? Ginge es nach dem Bundeselternrat, würden die ungefragten Fragezeichen zunehmen, auch wenn die Vertretung der Erzieher von Schulkindern genau das Gegenteil will. Aber so ist es, wenn man das Kinde mit dem Bade ausschüttet.

Denn die Vorsitzende Christiane Gotte hat dafür geworben, dass sich Deutschlands Schulen auf eine Kleiderordnung einigen. Ein Verstoß habe dann Konsequenzen, sagte sie. „Dann kann man Schülerinnen oder Schüler nach Hause schicken und verlangen, dass sie sich ordentlich anziehen.“ Meist gehe es dabei um „unangemessene, lottrige, zerrissene oder freizügige Kleidung".

Ich stelle mir vor, dass sich viele Lehrer schon freuen, dass sie Schüler nach Hause schicken können, sie haben ja sonst nichts zu tun. Nur: Was ist unangemessen, was ist lottrig, was ist zerrissen und was ist freizügig – beziehungsweise zu freizügig, zerrissen und lotterig, also in wessen Augen unangemessen?

Zu Ende gedacht will die Elternvorsitzende, dass Lehrer morgens mit einem Lineal bewaffnet am Schultor stehen und Maß nehmen. Dieser Rock hier ist zu kurz, dieser Ausschnitt geht gerade noch, jene Jogginghose ist zu schlapperig und diese Jeans, nun ja, zwei kleine Löcher gehen noch; bei einem dritten aber ab nach Hause!

Welchen Sinn sollte das haben?

Gotte sagte der „Funke Mediengruppe“, vor allem Mütter sähen einen Vorteil in Schulkleidung. Sie seien die morgendlichen Diskussionen um angemessene Kleidung leid. Aha. Und was ist mit den Vätern? Sind die etwa in Sachen Mode & Style weniger kompetent? Keine Ahnung, was die Vorsitzende damit meint. Sollte Kleidung negative Folgen für den Tragenden oder für sein Umfeld haben, ginge dies schließlich alle Erziehungsberechtigten an; gerüchteweise gehören dazu auch ein paar Papis.

Und schon wieder etwas, wonach man nicht fragte

Vielleicht ist sich Gotte allzu forsch vorgekommen. Jedenfalls schränkte sie dann gleich ein, auf der anderen Seite hätten Eltern auch Gründe, zu viele Regeln vehement abzulehnen, geprägt durch ihre eigenen Erfahrungen – „vor allem, wenn sie als Kind gezwungen wurden, bestimmte Kleidung zu tragen“.

Tja. Auch daran kann ich mich nicht erinnern. Nur, dass es damals sicherlich weniger ein Thema war als es heute ist.

Diese wirklich nicht neue Debatte ist wieder aufgetaucht, weil in Frankreich kürzlich eine 114 Seiten lange Verbotsliste veröffentlicht wurde, was alles an Schulen nicht geht. Das Motiv des französischen Staates ist die Verbannung von allem Religiösen, was in der Verdachtsmanie so weit geht, dass auch ein langer schwarzer Rock, der andauernd getragen wird, als religiöses Zeichen ausgelegt werden kann, oder eine Bandana. Vor allem die Abaja hatte Frankreichs Regierung im Visier. Diese konservative Kleidung, ein langer Überwurf, wird meist von islamisch orientierten Frauen getragen. Aber all diese antireligiösen, weil auf radikale Laizität gepolten Schulvorgaben sind in Deutschland fremd. Und dann braucht man gar nicht erst mit anderen Parametern anfangen.

"Nein zur Kleidungs-Kontrolle": Frauen in Frankreich protestieren vor einer Schule gegen die Kleidungsregeln (Bild: Remon Haazen/Getty Images)
"Nein zur Kleidungs-Kontrolle": Frauen in Frankreich protestieren vor einer Schule gegen die Kleidungsregeln (Bild: Remon Haazen/Getty Images)

Wer sagt, eine Kleidung sei zu freizügig, sagt dies aus dem Blickwinkel einer Sexualisierung. Das Unterhemd des Jugendlichen, das ähnlich viel Haut zeigt, ist dann weitaus weniger ein Problem? Weil der Blick männlich orientiert ist, traditionell gesehen. Aber eigentlich kaum Sinn macht, denn damit machen wir Mädchen und Frauen dafür verantwortlich, wie sie von Jungs und Männern wahrgenommen werden, eben sexualisiert. Es ist eine Umkehr, im Grunde vom Mechanismus her ein echter „Aiwanger“, der sich vom „Täter“ weg und hin zum „Opfer“ stilisiert; dabei sind die Blicke zu hinterfragen, textile Normen und Klischees von Schönheit – dafür aber ist der Unterricht da, zum Ausverhandeln und zum Diskurs. Nicht das Lineal der Lehrkraft am Portal.

Kratzen an der Oberfläche

Eine streng gefasste Kleiderordnung oder gar eine Schuluniform lösen auch keine Mobbingprobleme. Zum einen lassen sich soziale Unterschiede immer abbilden, auch wenn alle Schüler in Kartoffelsäcken stecken müssten, denn Mode findet zur Herausstellung stets einen Weg. Und zum anderen wird auch hier dem gemobbten Schüler die Verantwortung zugeschoben, nach dem Motto: Wenn du dich anders anziehst, hast du ein Problem. Wer aber mobben will, findet, wie die Mode, einen Weg.

Man kann es also gleich sein lassen und nicht Energien unnötig verschwenden. Dann bleibt es frei. Denn jeder Eingriff in die Freiheit, wie eben die Gestaltung dessen, wie man rumläuft, muss gut begründet sein. Dieser hier ist es nicht.

Video: Frankreich will muslimische Überkleider in Schulen verbieten