Kommentar: Wie Toni Kroos uns die Verlogenheit des Fußballs vorführt
Der deutsche Star bei Real Madrid spielte zwei Partien in Saudi-Arabien – und wurde konsequent ausgepfiffen. Warum? Weil Toni Kroos schlicht Wahrheiten über das Land und den Fußball aussprach. Damit legt er seinen Finger in eine verwundete Sportwelt.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Der spanische Supercup war dieses Jahr wieder ein Highlight – allein wegen der Mannschaften: Real Madrid gegen FC Barcelona, das hat immer Zunder. Bloß die Kulisse war eine andere, eben nicht eines der großen Vereinsstadien in Spanien, sondern das Al-Awal Park Stadium im saudischen Riad. Warum denn das? Weil „wir Marionetten von Fifa, Uefa und den anderen Verbänden sind“, hat Toni Kroos erklärt. Denn die beiden Spiele werden vom Gastgeberland mit 40 Millionen Euro pro Match vergütet; da kriegt mancher Vereinskassenwart rote Ohren.
Dem Land auf der Arabischen Halbinsel sind diese Events das Geld wert, weil es sich damit vermarkten kann: Saudi-Arabien als fester Bestandteil des Spitzenfußballs und damit auch generell irgendwie spitze, das soll die Botschaft sein.
Seit Jahren kauft das an Öl und Gas immens reiche Königreich Spieler und Vereine zu Traumpreisen. Damit will das Land auch weg vom Image eines isolierten und selbst abgeschlossenen Gebiets – was jahrzehntelang so gewesen ist; Saudi-Arabien wird von einer Familie beherrscht, und die hat eine Allianz mit den Religionsgelehrten des Landes. Gemeinsam sorgen sie für eine radikalislamische Doktrin, welche die Nation von allem „Westlichen“ offiziell abschirmte. Jetzt aber soll die Gesellschaft teilweise moderner werden und wird es auch. Der religiös-sunnitische Fundamentalismus bleibt zwar und weicht eher langsam auf, als Kitt braucht ihn die Diktatur.
Pille gegen Kohle gegen Öl
Der Fußball dient den Scheichs als Feigenblatt. Klar, es gibt viele Fans in Saudi-Arabien, der Sport wird auch auf der Aktivenseite immer populärer. Und wer das Geld hat, kann sich doch kaufen, was er will: Einen Neymar, einen Ronaldo, ein Paris Saint-Germain. Eher drängt sich die Frage auf, wer sich kaufen lässt. Wer ein Feigenblatt werden möchte, und wofür.
Kroos hatte dazu schon im vergangenen Sommer Stellung bezogen und in seinem Podcast von etwas gesprochen, nämlich „das eine, was mich von einem Wechsel abhalten würde“: die Missachtung der Menschenrechte.
Wo er recht hat, hat er recht. Kroos ist in einem fortgeschrittenen Profialter, in dem man schon darüber nachdenkt, dem Beruf weniger aufwändig, kräftezehrend und professionell nachzugehen und dafür dann auch noch mehr Geld zu verdienen. Klingt doch verlockend! Okay, das Feeling wird dann doch etwas anderes sein. Kroos, der derzeit erfolgreichste deutsche Fußballspieler und immer noch auf einem den Atem nehmenden Niveau, will jedenfalls nicht auf die Halbinsel. Und sagt das auch noch. Dabei ist Kroos nicht für eine besonders locker sitzende Klappe bekannt. Für seine Worte vom Sommer jedenfalls bezahlte er nun bei den beiden Supercup-Spielen in Riad die Rechnung.
Denn in saudischen Medien wurde gegen ihn mobilisiert. Das mit den Menschenrechten nahm wohl Mancher ihm übel. Kritik ist in Saudi-Arabien auch nicht wirklich angesagt. Und da Kroos kein saudischer Staatsbürger oder einer der minderprivilegierten Gastarbeiter ist, die man bei solcher Majestätsbeleidigung schlicht in einen Gefängniskeller verschwinden lässt, wurde er ausgepfiffen. Konsequent. Bei fast jedem seiner Ballkontakte. Kroos selber kommentierte später auf der X-Plattform: „That was fun today! Amazing crowd“ (deutsch: „Das hat heute Spaß gemacht! Tolles Publikum“). Humor hat er.
Kroos hat aufgezeigt, dass es eine unglückselige Entwicklung gibt. Der Fußball, es ist eine Phrase, aber leider stimmt sie, verliert immer mehr seiner Seele. Hören wir Kroos zu: „Und dann wird erzählt, dass man dort ambitioniert Fußball spielt – wobei es nur ums Geld geht“, kritisierte der 106-malige Nationalspieler. Am Ende sei es eine Entscheidung für das Geld und gegen den Fußball. „Und ab da beginnt es schwierig zu werden für den Fußball, den wir alle kennen und lieben.“
Wo soll das enden?
Und der Trend nimmt an Fahrt auf, denn mittlerweile wechseln nicht nur kurz vor der Pension kickende Altstars in die Wüste, sondern auch junge erfolgreiche Spielmacher. „Das ist ein unfassbar schlechtes Vorbild für ganz viele junge Jugendspieler, dass da Geld die Motivation ist.“
Wenn Sport im Allgemeinen und Fußball im Speziellen Vorbilder sind, dann geht uns gerade etwas abhanden. Fußball ist das ein Land Einende. Geht er nur noch nach dem meisten Geld und mutiert zur Waschanlage für Diktaturen, verträgt sich das schlecht mit jeglicher Moral.
Der Fußball entwickelt sich gar zu einem Negativvorbild. Es besagt, dass Demokratie und Freiheit weniger zählen – und vor allem für jene gelten, die über das nötige Kleingeld verfügen. Gut, dass Kroos das benannt hat.
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