Liebe Frau Schwarzer, it’s not the religion, stupid!

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Die Frauenrechtlerin gibt mal wieder die Prophetin und warnt vor unserer Blauäugigkeit – wir sollen den Islamismus nicht länger verharmlosen. Liebe Frau Schwarzer, damit uns das gelingt, sollten wir vor allem eines tun: Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Liebe Frau Schwarzer,

dass „Spiegel-Online“ meinte, Ihren Debattenbeitrag kostenpflichtig ins Netz stellen zu können, war charmant und wagemutig zugleich. Zum einen ist da das zu erwartende Krawallpotenzial (Warnung – Huch – Islam), zum anderen aber der Verdacht, dass Sie nichts Anderes als jenes vorbringen, dass Sie schon immer zum Islam und seinen Ausformungen schreiben.

Tatsächlich ist Ihr Beitrag ein Aufguss alter Thesen, die dadurch nicht richtiger werden. Und eine vertane Chance, Teile des Feminismus in Deutschland am Bau einer offenen Gesellschaft zu beteiligen. Das ist schade.

In einem Husarenritt bauen Sie eine abenteuerliche Argumentationskette auf. Die Gewaltorgien in der Kölner Silvesternacht verbinden Sie mit Amokläufen radikalislamischen Hintergrunds – alles im Namen Allahs. Das ist natürlich Quatsch. Wer genau hinschaute, konnte in den nordafrikanischen Gewalttätern der Silvesternacht sofort eine alkoholisierte und mit recht viel Anderem zugedröhnte Internationale der jugendlichen Verzweiflung ausmachen – junge Männer, die ihrer Perspektivlosigkeit entfliehen und in der Regel es mit Billigstarbeit auf dem Sklavenmarkt Europas oder gleich in der Kriminalität versuchen. Drogen bestimmen ihren Alltag; eine Moschee haben die meisten von ihnen von innen in ihrer Kindheit gesehen. Daher bleibt Ihre These, Frau Schwarzer, dass Allah und Islam, etwas mit „Köln“ zu tun gehabt hätten, unbewiesen wie falsch. Und glauben Sie mir, der Gewalttäter von Ochsenfurt mit der Axt – der hatte mit den Jungs vom Hauptbahnhof so wenig zu schaffen wie die mit ihm. Sie verdrehen da etwas.

So empörte sich Alice Schwarzer in einer Talkshow

Um aus dieser komischen Spirale herauszukommen, schreiben Sie dann: „Verschärfend hinzu kommt die Befeuerung dieser traditionellen Frauenverachtung durch die islamistische Propaganda, sie gießt Öl ins Feuer.“ Beispiele dafür bleiben Sie schuldig. Es gibt sie auch nicht. Das, was Sie „Islamismus“ nennen, spielt sicherlich auch eine negative Rolle in der Ausgestaltung der Geschlechterbeziehungen – aber eben nicht nur. Darüber wird gestritten. Aber eine Ölkanne haben die Prediger nicht in der Hand. Die Jungs vom Hauptbahnhof haben auch keine nötig.

Bitte etwas weniger Binse

Weiter stellen Sie diese Melange aus angeblich islamistisch befeuerter Gewalt der alltäglichen privaten Gewalt gegen Frauen in Deutschland gegenüber. „Die heimliche private Gewalt gilt nur dem einen Individuum - die demonstrative öffentliche Gewalt soll uns alle in Angst und Schrecken versetzen.“ Da kann ich Ihnen nicht mehr folgen, ich verliere den Faden. Dass die heimliche private Gewalt nur dem Individuum gelten solle, halte ich für eine ziemlich antifeministische Position: Natürlich geht es auch, in der Gesamtschau, um die Zementierung struktureller Gewalt gegen Frauen, um die Verteidigung so genannter Privilegien! Terroranschläge dagegen haben ihren ursächlichen Zweck in der Verbreitung von „Angst und Schrecken“, das ist eine Binse. Aber ihre Verbindung mit der Gewalt gegen Frauen leuchtet mir einfach nicht ein – und die Täter der Silvesternacht von Köln folgten auch nicht einer Mission, sie wollten nichts demonstrieren, Angst und Schrecken war ihnen egal, sie wollten einfach auf eine eklige Weise die Sau rauslassen.

Sie aber verharren in einer Welt, die Sie entweder schwarz oder weiß malen. Andere Töne kennen Sie nicht. „Hie immer mehr Staatschefinnen - da immer mehr Frauen unterm Schleier. Das muss unsere Welt ja zerreißen.“ Tja, Ihre Welt wird es sicherlich zerreißen, womöglich haben Sie deshalb die Kontrastfarben gewählt. Jedenfalls existiert in Ihrer Welt nicht, was die reale kennt: Eine Bewegung von Frauen, die auch Kopftuch tragen. Vor einem Monat zum Beispiel habe ich in Gaziantep, im Süden der Türkei, eine Exil-Syrerin kennen gelernt: eine mutige Aktivistin für die zivilgesellschaftliche Opposition in Syrien, sie streitet für ein demokratisches und säkulares Syrien gewaltfrei, sie ist Malerin – und trägt Kopftuch. Vielleicht sollten Sie sie einmal modisch beraten, ich gebe Ihnen gern ihre Nummer.

So einfach ist die Welt nun nicht

An dieser Stelle verwechseln Sie Äpfel mit Birnen, indem Sie iranisch-schiitische Revolutionspropaganda mit Muslimbruderschaft und salafistisch orientierten Regimen wie in Saudi Arabien in einen Topf werfen – obwohl alle drei nichts miteinander zu schaffen haben. Sie bekämpfen sich alle drei gegenseitig. Sie aber konstruieren eine Front, die es nicht gibt, nur, um den „Feind“ größer zu machen?

Frau Schwarzer, Sie werden in Deutschland noch dringend gebraucht. Zwar empfinden viele Feministinnen Sie längst nicht mehr als Ikone, aber einige hören Ihnen noch zu. Sie könnten Ihren Anteil haben am Bau des Deutschlands von morgen – und das Land bräuchte Frauen, die beim Gedanken an muslimische Männer nicht gleich Angstschweiß kriegen. Es geht nicht darum Probleme zu verschweigen. Verteufelung aber bringt uns alle nicht weiter. Holen Sie doch bitte mal den Tuschkasten heraus. Er hat so viele Farben.

Bild: dpa

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