Melnyk fordert bei "Anne Will": "Es gilt, dass man endlich die roten Linien überschreitet"

Der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk sprach angesichts der bevorstehenden Frühlingsoffensive gegen Russland von einer "Mammutaufgabe".  (Bild: ARD)
Der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk sprach angesichts der bevorstehenden Frühlingsoffensive gegen Russland von einer "Mammutaufgabe". (Bild: ARD)

Die erwartete Frühlingsoffensive der Ukraine gegen Russland soll Mitte Mai beginnen. Doch kann sie das Blatt wirklich wenden? Die Talkrunde bei "Anne Will" zeigte sich am Sonntag skeptisch.

Der Druck des Westens auf die Regierung von Wolodymyr Selenskyj wächst: Wann startet das ukrainische Militär die geplante Gegenoffensive gegen Russland? Nach Berichten über Explosionen auf der besetzten Krim-Halbinsel und Angriffen auf russische Bahnlinien scheint der Zeitpunkt nun gekommen: "Gegenoffensive der Ukraine - Kann sie die Wende im Krieg bringen?", fragte deshalb Anne Will in ihrer gleichnamigen Talkshow am Sonntagabend im Ersten.

"Es ist ein Hoffnungsschimmer für die Menschen, vor allem die, die in den besetzten Gebieten seit über 14 Monaten ausharren", sagte der per Videotelefonie zugeschaltete Ex-Botschafter der Ukraine in Deutschland und heutige Vize-Außenminister Andrij Melnyk. Gleichzeitig empfinde er jedoch auch einen gewissen "Erfolgsdruck", wenn der Ukraine im Falle des Scheiterns der Offensive die militärische Unterstützung entzogen würde. Der 47-Jährige betonte: "Das ist eine Frontlinie, die 1.300 Kilometer lang ist. Das muss man sich vor Augen führen." Die Verbündeten der Ukraine sollten sich darauf einstellen, "dass das kein leichtes Unterfangen, sondern eine Herkulesaufgabe sein wird".

"Gegenoffensive der Ukraine - Kann sie die Wende im Krieg bringen?": Diese Frage dikutierten der Ex-Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrij Melnyk (vorne, weiter im Uhrzeigersinn), der CDU-Politiker Norbert Röttgen, der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, Moderatorin Anne Will, SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken und Friedensforscherin Nicole Deitelhoff. (Bild: ARD)

Sorge vor der US-Wahl 2024

Bei der Unterstützung der Ukraine habe Deutschland einen "Quantensprung" gemacht, sagte Melnyk. Man sei mit "Schutzwesten und Helmen" gestartet, inzwischen sei man "ein Stück weiter", aber es gebe vor allem im Kanzleramt immer noch "Scheuklappen". Der Politiker forderte Kampfjets und Eurofighter. Wenn jeder westeuropäische Staat zehn Prozent seines Bestandes an die Ukraine abgäbe, "dann wären das schon 50 Kampfjets", erklärte er. Außerdem seien bisher nur 18 der 60 vorgesehenen Leopard-Panzer geliefert worden: "Das ist eine Mammutaufgabe, die bevorsteht", sagte Melnyk: "Es gilt, dass man endlich die roten Linien überschreitet."

Unterstützung bekam er vom ehemaligen Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger: Es sei eine falsche Vorstellung, dass eine einzelne Offensive plötzlich den Durchbruch brächte, warnte er: "Ich gehe davon aus, dass wir es eher mit einem langfristigen Prozess zu tun haben." Denn: "Im Kalkül des Kremls denkt man auch an den November 2024 und die Frage, was im Weißen Haus passiert." Ischinger spielte damit auf eine mögliche Wiederwahl des amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump an, eine Sorge, die auch den anwesenden CDU-Politiker Norbert Röttgen umtreibt.

Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, blickte sorgenvoll auf die US-Wahlen 2024. (Bild: ARD)
Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, blickte sorgenvoll auf die US-Wahlen 2024. (Bild: ARD)

"Man muss den Balten den Ernst der Lage nicht erklären"

Der Oppositionspolitiker nutzte die Sendezeit für Kritik an der Regierung von Kanzler Olaf Scholz. "Die Situation, die wir heute haben, ist durch ein unglaubliches Nichthandeln in den vergangenen sieben Monaten entstanden", bemängelte Röttgen, auch wenn er Verteidigungsminister Boris Pistorius unterstütze, der es "definitiv anders" wolle. Mit Blick auf Europa fuhr Röttgen fort: "Man muss den Balten den Ernst der Lage nicht erklären, denn sie wissen: Die Russen stehen an unserer Grenze." Gleiches gelte für die Menschen in Polen.

Der 57-Jährige kritisierte: "Die Amerikaner machen alleine mehr als alle Europäer zusammen." Er forderte: "Wir müssen einfach sehen, was hier auf dem Spiel steht: Es ist die Zukunft in Europa in den nächsten Jahrzehnten." Natürlich seien es die Ukrainerinnen und Ukrainer, die zuerst sterben - "aber es geht auch um uns: Es geht um die Zukunft Europas in den nächsten Jahrzehnten, ob sie friedlich sein wird, ob sie freiheitlich sein wird, ob wir wieder aufrüsten werden, ob wir wieder geteilt sein werden." All das, mahnte Röttgen, "wird auf diesem Schlachtfeld entschieden".

CDU-Politiker Norbert Röttgen machte den Ernst der Lage deutlich: "Es geht um die Zukunft Europas in den nächsten Jahrzehnten, ob sie friedlich sein wird, ob sie freiheitlich sein wird, ob wir wieder aufrüsten werden, ob wir wieder geteilt sein werden: Alles das wird auf diesem Schlachtfeld entschieden." (Bild: ARD)
CDU-Politiker Norbert Röttgen machte den Ernst der Lage deutlich: "Es geht um die Zukunft Europas in den nächsten Jahrzehnten, ob sie friedlich sein wird, ob sie freiheitlich sein wird, ob wir wieder aufrüsten werden, ob wir wieder geteilt sein werden: Alles das wird auf diesem Schlachtfeld entschieden." (Bild: ARD)