Neue Krankheit in Deutschland entdeckt: Was ist diese Spionomanie?

Männer wegen Spionageverdacht für Russland festgenommen – Russische Botschaft reagiert mit skurriler Erklärung

Die deutsche Polizei hat zwei Männer in Bayreuth festgenommen, die für Russland spioniert und mögliche Anschlagsziele in Deutschland ausgekundschaftet haben sollen. (Bild: Daniel Löb/dpa)
Die deutsche Polizei hat zwei Männer in Bayreuth festgenommen, die für Russland spioniert und mögliche Anschlagsziele in Deutschland ausgekundschaftet haben sollen. (Bild: Daniel Löb/dpa)

Glaubt man dem russischen Botschafter in Berlin, grassiert in Deutschland eine neue Krankheit: die Spionomanie. Sind wir jetzt alles paranoid geworden? Die Worte des Top-Diplomaten sagen mehr über sein Land als über uns. Die Männer waren halt ein wenig neugierig. Sie schauten sich militärische Einrichtungen in Deutschland genauer an – nur lautet der Vorwurf deutscher Sicherheitsbehörden, dass es sich um ein Ausspähen gehandelt habe, und sogar mit dem möglichen Ziel, damit Anschläge zu begehen.

Das hätte schon eine andere Qualität.

Nicht überraschend also, dass das Auswärtige Amt den russischen Botschafter einbestellt hat, um zu protestieren. Nun kann es sein, dass sich die Vorwürfe als unbegründet erweisen. In der parlamentarischen Demokratie herrscht der Rechtsgrundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten, und die zwei Männer sind dies noch nicht einmal. Aber nach jetzigem Stand ist wirklich nicht davon auszugehen, dass sich die Behörden diese Vorwürfe aus den Fingern gesaugt hätten, oder dass sie diese erfunden hätten.

Denn es gibt gewisse Erfahrungen. Die mannigfaltigen Spionagetätigkeiten des russischen Staates in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas sind seit Jahren dokumentiert. Auch die Manipulationen über Trollarmeen, welche die Sozialen Medien mit Fakenews fluten. Das Ziel ist klar formuliert: Der Westen soll geschwächt werden, und dafür greift man zu Mitteln der Unruhestiftung durch Desinformation. Andersrum machen wir sowas in Russland nicht. Ich meine: Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND wird auch seine Spione in Russland haben, das ist klar. Sollten sie aber Anschläge dort planen, wäre dies schon eine Überraschung; um es diplomatisch auszudrücken.

Die Vorwürfe werden geklärt werden

Der Verfassungsschutz hatte die beiden Männer nach eigenen Angaben seit Ende 2023 im Visier und scheint mitgekriegt zu haben, wie sie Fotos und andere Materialien über militärische Einrichtungen in Deutschland an einen russischen Regierungsmitarbeiter schickten. Um Bilder fürs Poesiealbum oder für eine Quartettkarten-Sammlung wird es sich nicht gehandelt haben.

Doch wie reagiert die russische Botschaft in Berlin? Auf ihrer Website gab es schon vorher eine "offizielle Stellungnahme". Sie beginnt mit den Worten: "Ein Virus geht in Deutschland um, das Virus der Spionomanie. Infiziert sind weite Teile der deutschen Politik und Medien. Eine seiner Nebenwirkungen zeigt sich in der antirussischen Stimmungsmache." Das ist direkt hübsch, ginge es nicht um Ernstes.

Nicht ohne Ironie spielt die Botschaft Russlands beim ersten Satz mit dem jenem ersten Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, die 1848 schrieben: "Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus." Dann folgt die originelle Wortschöpfung "Spiononomie", was wohl heißen mag: Man ist krankhaft besessen von der Idee, von Spionen umzingelt zu sein, sie überall zu sehen.

Ist das so in Deutschland? Ich meine, eher das Gegenteil seit Jahren auszumachen. Es scheint, als habe man sich zum Beispiel an die Cyberattacken aus Russland gegen Bundesbehörden wie den Bundestag gewöhnt und ging damit um, als handele es sich um einen etwas rüpelhaften Verwandten, der in der Nachbarschaft wohnt und eben über die Stränge schlägt. Privatwirtschaft und Behörden sind weit davon entfernt, paranoid zu sein. Spionagegefahren werden hierzulande heruntergespielt. Das vermag ich nicht zu bewerten, das ist vielleicht auch gesund: nicht immer daran zu denken, was an Negativem oder Schadhaftem geschehen könnte. Aber in diesem Fall nun Politik und Medien diese Krankheitsdiagnose auszustellen, zeugt nur von einem plumpen Ablenkungsmanöver.

Alle krank, außer Mutti

So kommentiert die Botschaft jetzt die Festnahme mit den Worten: "Wir betrachten die genannte Demarche als eine unverhohlene Provokation, die darauf abzielt, die in Deutschland ohnehin grassierende Spionomanie weiter anzuheizen, das Niveau der Russenfeindlichkeit in die Höhe zu treiben, die deutsch-russischen Beziehungen weiter zu zerstören und den von der Bundesregierung eingeschlagenen Kurs der uneingeschränkten Militarisierung und des Vollpumpens der Ukraine mit Waffen und militärischer Ausrüstung zu rechtfertigen."

Ja, es gibt Russenfeindlichkeit in Deutschland, und das ist sehr schlimm. Dagegen ist die Stimme zu erheben. Es gab in der deutschen Geschichte rassistische Vorstellungen gegenüber Slawischem, und dies spürt man bis heute. Und Russen sind zwar verantwortlich für ihre politische Führung, aber nicht mit ihr gleichzusetzen. Es bleibt aber auch, dass dieser Kreml nur zum Heulen ist. Was es aber nicht gibt, ist diese angebliche Spionomanie. Über sie reden am meisten ertappte Spione.

Interessanterweise bin ich bei einer Suche nach den Ursprüngen dieses wirklich selten benutzten Wortes auf einen Artikel aus dem Jahr 2016 gestoßen. In einem Interview sagte der russische Menschenrechtsaktivist Pawl Tschikow: "In der russischen Sprache wird der Begriff ausländischer Agent gleichgesetzt mit Spion und Verräter, mit jemandem, der im Interesse eines ausländischen Staates handelt. Es ist ein Konzept aus dem Kalten Krieg, ein Element der Spionomanie, die in Russland herrscht."

Tatsächlich scheint dieses Wort in Russland öfters benutzt zu werden als in Westeuropa. Immerhin wird das Land von einem Ex-Spion regiert; Wladimir Putin war einst in der DDR als Agent in Dresden stationiert. Und Nichtregierungsorganisationen in Russland, die Geld aus dem Ausland beziehen, müssen sich als "feindliche Agenten" bezeichnen – ein Irrsinn, aber praktisch, um mögliche Kritik mundtot zu machen. Das mag man, als Diktator.

Die russische Botschaft in Berlin sagte also in ihren Kommentaren mehr über sich selbst als über Deutschland. Muss man mal eben zur Kenntnis nehmen.

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