Opferhilfsorganisationen schlagen Alarm: Rechte Gewalt in Deutschland nimmt zu
In Deutschland ist seit 2013 ein Anstieg rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt zu verzeichnen, der ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht hat.
Die Opferhilfsgruppe Ezra sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Zunahme rechter Gewalt und der Unterstützung für die rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD). Zurzeit liegt die Partei in Umfragen bundesweit auf Platz zwei. Es wird vermutet, dass sie bei den bevorstehenden Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern voraussichtlich deutlich zulegen wird.
Mayar, ein 20-jähriger Krankenpfleger, der während des Krieges aus Syrien geflohen ist und seit fast neun Jahren in Deutschland lebt, fühlt sich stark mit Deutschland verbunden. Er ist schließlich hier aufgewachsen ist. Er wurde selbst Opfer eines rechten Gewaltangriffs. Er erinnert sich:
"Er (der Täter) hat mich beleidigt und dann geschlagen. Dann würgte er mich, drückte mich gegen den Zug und würgte mich, wobei er seine Daumen in meinen Hals drückte. Seine Handlungen waren unmenschlich; seine Absicht war eindeutig nicht nur, mich zu verletzen, sondern mir schweren Schaden zuzufügen."
Mayar sagt, der Täter sei ein "bekannter Neonazi, der für seine Verbrechen bekannt ist". Obwohl dies weder das erste noch das letzte Mal war, dass der Täter ein Gewaltverbrechen begangen hat, war das Urteil eine Bewährungsstrafe.
Rassismus werde immer alltäglicher, berichtet Mayar
Mayar sagt, dass der Angriff einen großen Einfluss auf ihn hatte.
"Tagsüber können die Dinge normal sein. Ich kann immer noch mein Leben leben, aber es fällt mir schwer, spät abends aus dem Haus zu gehen. Besonders dort, wo ich wohne, an diesem Ort", sagt er.
Laut Mayar ist seine Gegend "sehr bekannt für Rechte", und er fügt hinzu: "Ich kann nicht einfach ausgehen, wann immer ich will. Oder ich bin selbst bei solchen Dingen sehr vorsichtig. Und das Wort 'Sicherheit' fehlt mir, wenn es darum geht, nachts rauszugehen".
Mayar erlebt die Zunahme des Rassismus aus erster Hand.
"Es ist schlimmer geworden als früher. Seit etwa einem Jahr stelle ich fest, dass es viel, viel häufiger vorkommt. Auf der Straße sieht man das inzwischen sehr oft. Ich selbst bin im Durchschnitt alle zwei Wochen, also alle ein bis zwei Wochen, entweder selbst Teil solcher Fälle auf der Straße oder ich bin Zeuge davon. Auch im Internet ist es für mich alltäglich geworden, Rassismus einfach zu sehen", sagt er.
Er macht dafür die wachsende Unterstützung für die AfD verantwortlich, die bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall geführt wird. In Thüringen hat das Landesverfassungsschutz die Thüringer AfD als "gesichert rechtsextreme Bestrebung" eingestuft.
Mayar erzählt von seinen Sorgen: "Wenn ich daran denke, dass ich irgendwann abgeschoben werden könnte, nur weil ich aus einem anderen Land komme, obwohl ich hier aufgewachsen bin, ist das traurig, macht mir Angst und ich fühle mich wie ein Fremder. Ab und zu frage ich mich: Gehöre ich zu den Arabern? Bin ich zu deutsch? Und für die Deutschen, bin ich zu sehr Araber? Das ist kein schönes Gefühl, definitiv nicht."
In Deutschland kam es im Januar zu landesweiten Massenproteste als bekannt wurde, dass AfD-Mitglieder ein geheimes Treffen mit deutschen und österreichischen rechten Politikern, darunter der Neonazi und Anführer der Identitären Bewegung Martin Sellner, abhielten, um einen "Remigrations"-Plan zu besprechen. Dabei ging es um die Abschiebung von Hunderttausenden, darunter auch eingebürgerte deutsche Staatsbürger, in ihre Herkunftsländer.
by Liv Stroud
Während die vom Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) veröffentlichten Zahlen die Angriffe im Jahr 2023 auf ein Rekordhoch von 3.384 beziffern, ist diese Zahl nur die Spitze des Eisbergs. Nicht alle Straftaten werden bei der Polizei und den Opferhilfestellen angezeigt, und die Zahlen stammen nur aus elf von 16 Bundesländern.
Manche Verurteilungen können Jahre dauern
Der Sprecher von der Opferberatungstelle Ezra, Franz Zobel, sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Gewalt und der Unterstützung der AfD.
"Hier hatten wir vor allem im Landkreis Sonneberg einen starken Anstieg. Das ist der Landkreis, in dem zum ersten Mal ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt wurde. Und dort haben wir einen massiven Anstieg der rechten Gewalt erlebt", sagt er.
Zobel verweist auf eine repräsentative Studie von Prof. Dr. Dancygier von der Princeton University, wonach zwischen 38,7 und 42,5 Prozent der Anhänger von Hassverbrechen die AfD wählen würden.
Rechte Parteien gefährlich für ganz Europa
Zobel sagt aber auch, dass der Anstieg der Angriffe nicht nur auf Thüringen oder gar Deutschland beschränkt ist:
"Die AfD und andere rechte Parteien in Europa sind sehr gut vernetzt und sie sind deshalb auch die größte Bedrohung für die Europäische Union und auch für die Idee von Europa und für die Menschen. Dieses Erstarken ist nicht nur in Deutschland oder in Ostdeutschland, sondern wir sehen das in ganz Europa."
Zobel sagt auch, dass sich viele AfD-Anhänger "einfach legitimiert fühlen, zuzuschlagen", und verweist auf Fälle von AfD-Politikern, die selbst Menschen angegriffen haben. Laut dem Enthüllungsmagazin Correctiv waren "48 AfD-Vertreter und -Mitarbeiter auf Kreis-, Landes- und Bundesebene in jüngster Zeit in Gewalttaten verwickelt".
28 dieser Politiker seien gerichtlich verurteilt worden oder es seien Strafbefehle gegen sie erlassen worden – und 14 seien noch politisch aktiv. Gegen mindestens fünf weitere AfD-Vertreter wird ermittelt, wobei es in einigen Fällen um tätliche Angriffe und Volksverhetzung geht.
Zobel sagt: "Die Täter wissen, dass ihnen keine Konsequenzen drohen. Wenn es welche gibt, dann erst nach Jahren und mit milden Strafen. Und dann müssen sie sich nicht für das politische Motiv – ihre Unmenschlichkeit – verantworten."
In Thüringen sollen die Urteile sehr milde ausfallen
Zobel sagt, Thüringen habe vor allem ein Problem mit der Justiz und viele der Urteile seien sehr milde:
"Wir haben Prozesse, die acht Jahre dauern, bis es am Ende zu einer Verurteilung kommt. Es gibt weitere Probleme, dass die Motive sehr, sehr selten erkannt werden. So findet man in den Urteilen selten wieder, dass es sich zum Beispiel um eine rassistische Straftat handelt."
Im Fall von Mayar zum Beispiel dauerte die Verurteilung mehrere Jahre.
"In dem Fall hier zum Beispiel handelt es sich um einen organisierten Neonazi, also er (der Täter) ist Teil der organisierten Neonazi-Szene. Er ist schon vorher mit über zehn Straftaten aufgefallen, er ist mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, und jetzt gibt es am Ende wieder eine Bewährungsstrafe", sagt der Sprecher von Ezra.
"Das ermutigt die Täter, rechte und rassistische Gewalttaten zu begehen, denn ohne Konsequenzen fühlen sich die Täter sicher."
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Laut der Tageszeitung taz sind die Richter im thüringischen Landkreis Gera sowohl auf lokaler als auch auf Bundesebene eng mit AfD-Politikern verbunden. Die taz zitiert Statistiken, in denen Richter in einstelligen Prozentzahlen zugunsten von Asylbewerbern entscheiden. Die Richter bestreiten, rechtsorientiert zu urteilen.