Ostdeutschland und das Naziproblem

Rechtsextreme auf einer Thügida-Demonstration in Jena (Bild: AP Photo/Jens Meyer)
Rechtsextreme auf einer Thügida-Demonstration in Jena (Bild: AP Photo/Jens Meyer)

Eine neue Studie untersucht Rechtsextremismus im Osten, das klingt nach Wessi-Klischees. Die Ergebnisse machen Angst.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt viele Dinge, die ich nicht verstehe. Dass das neue Dolomiti-Eis am Stiel nicht so schmeckt wie das alte, ist noch von geringerer Tragweite. Warum Martin Schulz in den vergangenen Wochen meinte, als Jesus übers Wasser laufen zu können ohne dabei eine Bergpredigt oder ähnliches zu verkünden, erschließt sich mir eben so wenig wie das Gejaule Vieler über die gestiegenen Straftaten von Einwanderern in Deutschland, während sie über die gestiegenen rechtsmotivierten Gewalttaten schweigen oder sie als natürlichen Reflex verkaufen, nach dem Motto: Ist doch klar, wenn die Bimbos kommen, liegen die Nerven bloß.

Zum Glück gibt es Wissenschaftler, die all unsere Fragen des Lebens zu beantworten suchen, zum Beispiel die nach dem Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge hat nämlich DER Osten ein besonderes Problem damit. Nun hat eine Forschungsgruppe aus Göttingen neue Ergebnisse vorgelegt. Da weiß man dann schon mehr.

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Natürlich ist die Überschrift zu diesem Text eine blöde Übertreibung. Nicht jeder, der Ressentiments gegen nicht ganz so bleiche Zeitgenossen hegt, ist gleich ein Nazi, da gibt es auch andere wenig schmeichelnde Umschreibungsversuche. Und Westdeutschland verfügt über eine reichhaltige Erfahrung mit neonazistischen Gruppen und altem Herrendenken, das in manchen Amtsstuben bis heute überdauert hat. Ich bin halt ein Wessi und nicht frei von Klischees, daher schreib ich ab und zu über Ostdeutsche und ihren Knacks mit so manchen Dingen, ist ja auch einfacher als über eigene Knackse zu schreiben – und relevant ist es. Stichwort polizeiliche Kriminalstatistik.

Echte und gefühlte Probleme

Die Studie fällt natürlich auch kein Urteil über DEN Osten, sondern hat sich drei regionale Hot Spots ausgesucht und diese näher beleuchtet. Dort ist sie auf Phänomene gestoßen, die ein echtes Problem darstellen. Die Wissenschaftler erkannten zum Beispiel einen „Wunsch nach einer kollektiven, möglichst positiven und moralisch reinen Identität“, Respekt vor dem Nächsten ist aber erstmal eine individuelle Angelegenheit. Auch sehen die Politologen ein verbreitetes Gefühl der Demütigung – das der Provinzler gegenüber den Städtern. Man sieht sich als Opfer, einerseits durch die tatsächlich überheblichen Westdeutschen und andererseits durch angeblich übervorteilte Einwanderer. Diese gibt es dort zwar kaum, aber gerade das schürt diese Haltung.

Dies führt zum nächsten misslichen Umstand, dem der ethnischen Homogenität. In den ostdeutschen ländlichen Räumen kennt man in der Regel nur Deutsche. Darunter sind auch viele Verlierer der Gesellschaft, wie überall. Die sind aber auch eben – Deutsche. Westdeutsche dagegen hatten die Chance, Zuwanderer als harte Malocher zu erleben. Dass deren Schulkinder so aufwachsen und lernen wie alle anderen, also eben keine übervorteilten Schmarotzer sind, wie manche es sich gern vorstellen. Schließlich kommt das Erbe der DDR hinzu. Im Regime pries man die Völkerfreundschaft, achtete aber peinlich darauf, dass Migranten wie „Gäste“ zu behandeln seien, da war eher weniger mit echtem Zusammenleben.

Immer diese Angst

All dies fällt uns nun vor die Füße, wie der Trend bei einigen Ostdeutschen, sich von politischen Organisationen oder zivilgesellschaftlichem Engagement fernzuhalten; war dies in der DDR doch vom Staat kontrolliert, von dem man sich besser nicht zu nah auf die Pelle rücken ließ. Immer wieder erfahre ich bei Bekannten aus Ostdeutschland, dass bei ihnen Momente einer Angst durchschimmern. Diese Ängste sind diffus und variieren, sie sehen jedenfalls das Glas eher halbleer als halbvoll und wittern rasch Gefahr. Das abzubauen ist mühselig.

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Ich hab vor kurzem jemanden kennen gelernt, der leistet solch eine tolle Aufbauarbeit, er ist aus Syrien in eine ostdeutsche Kleinstadt geflüchtet. Klar, es gebe die Rechten, sagte er mir, „viele zeigen mir mit ihrem Gesichtsausdruck, dass sie Abstand wahren wollen“. Er strich über seinen Bart. „Für mich aber ist das eine Art Mission. Die Leute wissen so wenig über uns. Ich zeige ihnen, dass wir gute Menschen sein können. Die lernen dazu. Heute grüßt man mich auf der Straße, auch ein paar Rechte.“ Manche von denen, sagt er, nennen ihn jetzt ihren Bruder. Seine Mission heißt Lächeln, das ist sein eigener Beitrag zur Nachhaltigkeit in Ostdeutschland. Er könnte längst umziehen, in eine westdeutsche Großstadt. Will aber bleiben. Man sollte Leuten wie ihm ein Denkmal bauen.

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