Netanjahu sieht sich mit Scholz einig: Hamas eliminieren
Jerusalem - Nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass er sich mit dem deutschen Gast darin einig gewesen sei, dass «die Hamas eliminiert werden muss». Es werde keinen Frieden geben, solange die islamistische Terrororganisation im Gazastreifen bestehen bleibt, sagt Netanjahu auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz in Jerusalem. «Wir haben keine Zukunft, wenn die Hamas, die zum Genozid an uns entschlossen ist, intakt bleibt.»
Vor einer geplanten Offensive in der südlichen Gaza-Stadt Rafah werde die Zivilbevölkerung in Sicherheit gebracht, sagt Netanjahu. Israel unternehme außerdem äußerste Anstrengungen, um Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen «über Land, über See und aus der Luft» zu ermöglichen.
Scholz stellt Vorgehen Israels in Gaza offen infrage
Scholz stellte das militärische Vorgehen Israels im Gaza-Krieg angesichts der hohen Opferzahlen offen infrage. Er betonte bei einem gemeinsamen Pressetermin zwar, dass Israel das Recht habe, sich gegen den Terror der islamistische Hamas zu verteidigen. Gleichzeitig legte er Netanjahu am Sonntag in Jerusalem nahe, seine Strategie im Gaza-Streifen zu überdenken.
In den gut fünf Monaten des Krieges sei die Zahl der zivilen Opfer extrem hoch gewesen, «viele würden sagen zu hoch», sagte Scholz. «Egal, wie wichtig das Ziel auch sein mag, kann es so schrecklich hohe Kosten rechtfertigen, oder gibt es andere Wege, dieses Ziel zu erreichen?», fragte Scholz.
Der Terror könne nicht allein mit militärischen Mitteln besiegt werden, sagte er weiter. «Wir brauchen eine Lösung für diesen Konflikt, die nachhaltige und dauerhafte Sicherheit gewährleistet.» Es brauche eine positive Perspektive für beide Völker, für Israelis und Palästinenser, «eine Perspektive für eine Zukunft, in der sich die Palästinenser verantwortungsvoll um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und sich selbst regieren können».
Scholz fordert in Akaba Waffenruhe
Scholz war am selben Tag zu einem Besuch in Israel eingetroffen, dem zweiten seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober. Zuvor hatte er im jordanischen Seebad Akaba den jordanischen König Abdullah II. getroffen.
Dort hatte der Bundeskanzler eindringlich eine Waffenruhe gefordert. «Es ist ganz klar, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Situation nicht noch schlimmer wird als sie ist», sagte der SPD-Politiker mit Blick auf eine mögliche israelische Bodenoffensive im Süden des Gazastreifens. «Ich glaube, dass eine große Zahl von Opfern bei einer solchen Offensive jede friedliche Entwicklung dann sehr schwer machen würde. Das wissen auch viele in Israel.»
Jordaniens König Abdullah II. forderte einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Nach seinem Treffen mit Scholz meldete der jordanische Königshof, die beiden hätten über dringende Maßnahmen diskutiert, die die internationale Gemeinschaft ergreifen müsse, um dieses Ziel zu erreichen.
König Abdullah II. machte sich den Angaben zufolge zudem dafür stark, dass die Zivilbevölkerung im umkämpften Palästinensergebiet besser geschützt wird. Der König warnte auch davor, die Zahlungen an das UN-Flüchtlingshilfswerks UNRWA einzustellen. Dies habe «gefährliche Auswirkungen» auch auf Jordanien.
Auch Treffen mit Angehörigen von Geiseln
Scholz will in Israel auch mit Präsident Izchak Herzog, Minister Benny Gantz sowie Angehörigen von Geiseln sprechen. Der Gaza-Krieg war am 7. Oktober durch einen Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel ausgelöst worden. Israel will die Zerstörung der Hamas erreichen und die Geiseln aus der Gewalt der Terrororganisation befreien. Man geht davon aus, dass noch rund 100 von ihnen am Leben sind.
Scholz war zehn Tage nach dem Hamas-Angriff erstmals nach Israel gereist, um dem Land die deutsche Solidarität zu versichern. «Die Sicherheit Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger ist deutsche Staatsräson», sagte er damals. «Unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es uns zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen.»
Deutsche Staatsräson: Scholz hält sich mit Kritik zurück
Mit Kritik an der israelischen Militäroperation gegen die Hamas, bei der nach Angaben der Gesundheitsbehörde der Hamas Zehntausende Menschen getötet worden sind, hat sich Scholz auch aus der deutschen Staatsräson heraus bis heute im Gegensatz zu anderen Verbündeten sehr zurückgehalten. Das wird in der arabischen Welt kritisch verfolgt. Scholz' Mahnungen sind allerdings Schritt für Schritt deutlicher geworden.
Der israelische Ministerpräsident hatte am Freitag die umstrittene Bodenoffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens genehmigt. Dort suchen derzeit nach Schätzungen 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Schutz vor den Kämpfen in den anderen Gebieten des Gazastreifens. Hilfsorganisationen warnen vor vielen weiteren zivilen Toten.
Örtlichen Medienberichten zufolge will Israels Kriegskabinett noch am Sonntag mit Netanjahu zusammenkommen, um über die Entsendung einer Delegation nach Katar zu entscheiden. Dort sollen in der Hauptstadt Doha die zuletzt ins Stocken geratenen Gespräche über eine Waffenruhe weitergehen, nachdem die Hamas den Vermittlern einen neuen Vorschlag vorgelegt hatte.
Deutschland beteiligt sich an Luftbrücke für Gaza
Während Scholz in Akaba den jordanischen König traf, bereitete die Luftwaffe knapp 400 Kilometer entfernt auf der «King Abdullah Airbase» in der Nähe der Hauptstadt Amman weitere Hilfsflüge vor. Damit beteiligt sich Deutschland an der jordanischen Initiative einer Luftbrücke für den Gazastreifen. Nachdem am Samstag die erste Lieferung von vier Tonnen Lebensmitteln - unter anderem Reis und Mehl - aus einem Transportflugzeug an Fallschirmen über dem Norden des Palästinensergebietes abgesetzt wurde, erfolgte am Sonntag der zweite Hilfsflug. Auch mehrere andere Staaten hatten Transportflugzeuge im Einsatz.
Erneut Proteste in Israel gegen Netanjahu-Regierung
Einen Tag vor dem Kanzlerbesuch demonstrierten Tausende Menschen in Tel Aviv und anderen israelischen Städten für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas und gegen die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu. Mancherorts legten Menschen kleinere Feuer, zündeten Rauchbomben und forderten in Sprechchören die Freilassung der Geiseln. Um einzelne Ansammlungen aufzulösen, setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Angehörige der Geiseln forderten ein neues Abkommen für die Freilassung und riefen die Regierung zu schnellem Handeln auf. «Sie haben keine Zeit mehr, wir haben keine Zeit mehr. Macht etwas jetzt, wir brauchen euch!», sagte eine Angehörige bei einer Kundgebung.